
© REUTERS/Fabrizio Bensch
Keine Mehrheit für Merz im ersten Wahlgang: Wie es bei der Kanzlerwahl jetzt weitergeht
Union und SPD kommen auf 328 Sitze, zwölf mehr als die Kanzlermehrheit – doch diese hat Friedrich Merz am Dienstag verfehlt. Für die nächste Abstimmung hat der Bundestag viel Zeit.
Stand:
In der Tagesordnung des Bundestages hat alles seinen festen Platz, ist dieser Dienstag durchgetaktet bis zum Abend. Die Sitzung hat um 9 Uhr begonnen, direkt mit der Wahl des Bundeskanzlers.
Die Union hat Friedrich Merz (CDU) vorgeschlagen. Kurz nach 10 Uhr wurde die Sitzung unterbrochen, nach Verkündung des Wahlergebnisses: Merz hat die Kanzlermehrheit verfehlt. Er erhielt in geheimer Abstimmung 310 von 621 abgegebenen Stimmen und damit 6 weniger als die nötige Mehrheit von 316.
Das ist ein Novum: Noch nie ist nach einer Bundestagswahl und erfolgreichen Koalitionsverhandlungen ein designierter Kanzler bei der Wahl im Bundestag gescheitert. Wie geht es nun weiter?
Die CDU/CSU-Fraktion stellt 208 Abgeordnete, ihr Koalitionspartner SPD 120 Abgeordnete, das sind zusammen 328 Parlamentarier. Der gesamte Bundestag hat 630 Abgeordnete. Der Kanzler benötigt im ersten Wahlgang „die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages“, so schreibt es das Grundgesetz, Artikel 63, vor.
Merz braucht also nicht nur die Mehrheit der abgegebenen Stimmen, sondern aller Abgeordneten, ob sie an der Wahl teilnehmen oder nicht. Nötig sind also mindestens 316 Stimmen der 630 Abgeordneten, die sogenannte Kanzlermehrheit.
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Stimmt die Opposition überhaupt geschlossen gegen Merz?
Damit hat die schwarz-rote Koalition zwölf Abgeordnete mehr, als die Kanzlermehrheit erfordert. Die Wahl ist geheim und findet „ohne Aussprache“ statt, auch das legt das Grundgesetz fest. Es lässt sich nach Merz’ Scheitern im ersten Wahlgang also, anders als bei namentlichen Abstimmungen, nicht nachvollziehen, wer für oder gegen ihn gestimmt, wer sich enthalten und wer den Stimmzettel ungültig markiert hat.
Sowohl in der Unionsfraktion als auch in der SPD dürfte es, aus extrem unterschiedlichen Gründen, Groll gegen Merz oder die künftige Koalition geben. Ungewiss blebt ebenfalls, ob alle Oppositionsabgeordneten, wie zu erwarten gewesen wäre, gegen Merz votiert haben. Wer zum Beispiel um jeden Preis Neuwahlen vermeiden will, etwa aus Sorge um das eigene Mandat, könnte verführt gewesen sein, Merz zu wählen.
Die im ersten Wahlgang verfehlte Kanzlermehrheit ist eine Premiere bei der Kanzlerwahl seit 1949 und ein kapitaler Fehlstart für Merz, womöglich sogar das Ende von Schwarz-Rot. Die Dynamik eines solchen Szenarios lasse sich kaum vorhersehen, hieß es unter Spitzenpolitikern vor der Abstimmung.
Nun kann der Bundestag innerhalb von 14 Tagen einen zweiten Versuch starten, so sieht es das Grundgesetz vor. Abermals ist eine Kanzlermehrheit erforderlich. Am heutigen Dienstag, so hieß es aus den Parteien, wird es keinen zweiten Wahlgang geben. Der Mittwoch oder der Freitag gelten als nächste Termine.
Übrigens: Sobald ein Kanzler mit der Kanzlermehrheit gewählt ist, muss der Bundespräsident ihn ernennen. Das Staatsoberhaupt habe da keinen Ermessensspielraum, schreibt der Staatsrechtler Stefan Ulrich Pieper in einem Aufsatz „Zur Rolle des Bundespräsidenten bei der Regierungsbildung“.
Im dritten Wahlgang reichen die meisten Stimmen
Sollte auch der zweite Wahlgang keinen Kanzler hervorbringen, ändern sich die Regeln. „Unverzüglich“ müsste, so schreibt es das Grundgesetz vor, ein dritter Wahlgang stattfinden. In diesem wäre derjenige Kandidat gewählt, der die meisten Stimmen erhält, also eine relative Mehrheit bekommt. Eine Kanzlermehrheit wäre dann nicht erforderlich.
Sofern aber ein Kandidat in diesem dritten Wahlgang sogar die Kanzlermehrheit erreicht, muss der Bundespräsident ihn innerhalb von sieben Tagen ernennen. Bei einer Wahl mit nur der relativen Mehrheit hätte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier dagegen zwei Optionen: Entweder ernennt er ihn binnen sieben Tagen – oder er löst den Bundestag auf.
Oberstes Ziel des Grundgesetzes sind nach den Erfahrungen von Weimar stabile Regierungsverhältnisse. Daher haben Minderheitsregierungen in Deutschland, anders als in einzelnen Bundesländern oder in Staaten in Nordeuropa, keine Tradition.
Angesichts der hohen Umfragewerte für die AfD dürfte Steinmeier im Falle eines dritten Wahlgangs den Gewählten wohl ernennen, um dem Land in der tiefen Krise Europas keinen neuerlichen Wahlkampf zuzumuten. (mit dpa)
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