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Wiedereinführung der Praxisgebühr: Was für den Vorschlag des Kassenärzte-Chefs spricht – und was dagegen
Kassenärzte-Chef Andreas Gassen forderte eine Kontaktgebühr für Patienten bei Arztbesuchen. Das soll die Kostenexplosion im Gesundheitswesen einschränken. Wie sinnvoll ist das?
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Eine Idee aus den Nullerjahren feiert dieser Tage ein Comeback: die Praxisgebühr. Vor Weihnachten hatte sich bereits die Wirtschaftsweise Monika Schnitzer dafür ausgesprochen. Nun legt der Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Andreas Gassen, nach.
In der „Bild“ schlug er eine „Kontaktgebühr“ bei jedem Arztbesuch vor. „Sie könnte, wie zum Beispiel in Japan, bei drei oder vier Euro liegen und sollte von den Krankenkassen eingezogen werden“, sagte er.
Bereits von 2004 bis Ende 2012 mussten gesetzlich Versicherte in Deutschland eine Praxisgebühr zahlen. Eingeführt hatte sie die damalige Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD).
Ärztehopping soll begrenzt werden
Wegen der finanziellen Schieflage der gesetzlichen Krankenversicherung wird nun eine Wiedereinführung diskutiert. Obwohl der Gesetzgeber ein Sparpaket von zwei Milliarden Euro für die Kassen beschlossen hat, müssen mehr als 30 von ihnen zum Jahreswechsel erneut die Beiträge erhöhen.

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Mit der Kontaktgebühr „könnte die Einnahmebasis der Kassen erhöht werden“, sagte Gassen. Sie müsse sozialverträglich gestaltet werden, schränkte er aber ein, damit niemand überfordert werde. Die frühere Praxisgebühr brachte rund zwei Milliarden Euro im Jahr ein. Zur Einordnung: 2027 muss in der gesetzlichen Krankenversicherung eine Finanzlücke im zweistelligen Milliardenbereich gefüllt werden.
Hauptzweck der neuen Praxisgebühr wären nicht die zusätzlichen Einnahmen, sondern die Zahl der Arztbesuche und damit Kosten zu reduzieren. Im weltweiten Vergleich gehen die Deutschen nämlich mit 9,6 Besuchen pro Jahr sehr oft zum Arzt. In Schweden sind es nur 2,3 jährliche Besuche pro Einwohner. Der Schnitt der OECD-Länder lag 2021 bei sechs Arztbesuchen.
Experten sehen in Deutschland eine Tendenz zum sogenannten Ärztehopping. Da die Behandlungen für sie kostenlos sind, holen sich Versicherte oft eine zweite oder dritte Meinung, wenn sie mit den Diagnosen ihrer Ärzte unzufrieden sind.
Dieses Ärztehopping sollte schon die Praxisgebühr von Ulla Schmidt verhindern. Damals mussten Patienten jedoch nur einmal im Quartal zehn Euro zahlen, die Gebühr wurde beim ersten Ärztebesuch erhoben. Danach fielen keine weiteren Kosten an. Eine Lenkungswirkung wurde so nicht erzielt.
Deshalb wurde die Praxisgebühr 2012 wieder abgeschafft. Die nun von Gassen vorgeschlagene Gebühr bei jedem Arztbesuch bietet eine höhere Chance, die Fallzahlen in den Praxen zu reduzieren.
Gebühren in der Notaufnahme?
Für die Kliniken schlug der Vorstandschef der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), Gerald Gaß, ähnliche Maßnahmen vor. Er will die Zuzahlung bei Klinikaufenthalten von zehn auf 20 Euro pro Tag verdoppeln. Das bringe den Krankenkassen zusätzlich rund 800 Millionen Euro im Jahr, sagt er der „Bild“.
Gaß möchte zudem den Andrang in den Rettungsstellen begrenzen. Auch die geplante Notfallreform der schwarz-roten Koalition soll dafür sorgen, dass die Bürger sich im Regelfall nur noch dann in der Notaufnahme behandeln lassen, wenn eine Leitstelle ihnen dies empfohlen hat. „Wer künftig ohne Kontaktaufnahme und Beratung durch die Leitstelle die Notfallzentren an den Krankenhäusern nutzt, sollte dafür eine Gebühr bezahlen“, sagte Gaß nun. „Ich finde 30 bis 40 Euro angemessen.“
Sie bestrafen ausgerechnet die Versicherten, die medizinische Hilfe besonders oft benötigen, und setzen Fehlanreize, ärztliche Leistungen aus Angst vor Kosten zu meiden.
Michaela Engelmeier, Vorstandsvorsitzende des Sozialverbandes Deutschland (SoVD) über Kontaktgebühren
Die Forderungen nach zusätzlichen Gebühren für Patienten sorgen indes auch für Kritik. „Kontaktgebühren bei Arztbesuchen sind der falsche Weg, um die Finanzen der Krankenkassen zu stabilisieren“, sagte die Vorstandsvorsitzende des Sozialverbandes Deutschland (SoVD), Michaela Engelmeier, dem Tagesspiegel.
„Sie bestrafen ausgerechnet die Versicherten, die medizinische Hilfe besonders oft benötigen, und setzen Fehlanreize, ärztliche Leistungen aus Angst vor Kosten zu meiden“, sagte Engelmeier. Das gefährde nicht nur die individuelle Gesundheit, sondern erhöhe langfristig auch die Ausgaben, sagte sie mit Blick auf die mögliche Verschleppung von Krankheiten.
Linke fordert Beitrag von Wohlhabenden
Einen „Angriff auf die Armen und Kranken im Land“ sieht der gesundheitspolitische Experte der Linken, Ates Gürpinar, in den Vorschlägen. Es dürfe nicht sein, dass Ärmere am Ende des Monats kein Geld mehr für den Arztbesuch hätten, sagte er dem Tagesspiegel.
Gürpinar forderte, die Wohlhabenderen stärker für die Sanierung des Gesundheitssystems heranzuziehen – mit einer Erhöhung der sogenannten Beitragsbemessungsgrenze. Damit müssten Gutverdiener für einen größeren Teil ihres Einkommens Sozialbeiträge zahlen.
Letztlich brauche man eine solidarische Kranken- und Pflegeversicherung, in die alle einzahlten, sagte Gürpinar. Nur so gelte: „Starke Schultern tragen mehr, Reiche und Gesunde stehen für Ärmere und Kranke ein.“ Für eine solche Bürgerversicherung sprach sich auch die SoVD-Vorsitzende Michaela Engelmeier aus.
Die mitregierenden Sozialdemokraten wollen weitere Belastungen für die Versicherten nur mittragen, wenn auch Kliniken, Ärzte und die Pharmaindustrie einen Sparbeitrag leisten. Einseitige Sparvorschläge zulasten der Versicherten führten in die Sackgasse, sagte Christos Pantazis, gesundheitspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, bereits an den Weihnachtsfeiertagen.
Wie eine umfassende Reform der gesetzlichen Krankenversicherung aussehen könnte, wird sich im Frühjahr zeigen. Ende März wird eine Expertenkommission der Bundesregierung dafür einen Vorschlag machen.
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