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Rekrut des Panzerbatallions 154.

© imago/Rainer Unkel/imago stock&people

„Wir brauchen die Wehrpflicht jetzt“: Ist die Bundeswehr für das Trump-Zeitalter zu klein?

Der neue Wehrdienst konnte von der Ampel nicht mehr beschlossen werden. Angesichts der zugespitzten Sicherheitslage wird die nächste Bundesregierung das nachholen müssen – mindestens.

Stand:

Das Verteidigungsministerium spricht von „Trendumkehr“. Eigentlich aber wurde nur das Schrumpfen fast gestoppt. Zum Jahresende 2024 dienten 181.150 Soldatinnen und Soldaten – 350 weniger als zwölf Monate zuvor. Damals umfasste das Minus im Vergleich zu Ende 2022 sogar 1550 Stellen.

Den relativen Erfolg schreibt das Ministerium den ersten Gegenmaßnahmen zu, die zu wirken begonnen hätten, etwa mehr „regionalisierte Werbung und Recruiting-Events“. So stieg die Zahl der Bewerbungen für den Militärdienst im Jahr um 19 Prozent – von 43.195 auf rund 51.200. Das führte zu 20.300 Einstellungen in die aktive Truppe, ein Plus von 1500 und rund acht Prozent. Zudem wurden etwa 8000 der rund 24.000 Soldatinnen und Soldaten, die vergangenes Jahr die Streitkräfte regulär hätten verlassen sollen, davon überzeugt, weiterzumachen.

Selbst von der alten Zielgröße weit entfernt

Das ändert freilich noch nichts daran, dass die Armee weiter meilenweit von ihrer Sollgröße entfernt ist. Aktuell verlangt die Nato eine Verstärkung auf 203.000 Soldatinnen und Soldaten bis 2031. Diese Zielmarke wird jedoch noch dieses Jahr angehoben. Schon bevor US-Präsident Donald Trump und sein Vize J. D. Vance auf der Münchner Sicherheitskonferenz Amerikas Engagement in Europa infrage stellten, war klar, dass das Gipfeltreffen der Allianz Ende Juni in Den Haag neue „Minimum Capability Requirements“ beschließen würde.

Schon jetzt ist die Personaldecke extrem dünn, die Bundeswehr hat der Nato alle verfügbaren Kräfte gemeldet. Zudem steht in den nächsten beiden Jahren der Aufbau der deutschen Litauen-Brigade mit 5000 Männern und Frauen an.

Die Personalfrage stellt sich nach den Ereignissen der vergangenen Tage aber noch dringender als ohnehin schon, da von der Absicherung einer möglichen Friedensvereinbarung für die Ukraine mit europäischen Truppen die Rede ist.

Die Bundeswehr ist viel zu klein – schon für unsere bisherigen Zusagen an die Nato, für ein Europa mit weniger amerikanischen Soldaten aber erst recht.

Der frühere Wehrbeauftragte Hans-Peter Bartels (SPD)

„Natürlich wird sich Deutschland als größter Nato-Partner in Europa an jeder sinnvollen friedenssichernden Maßnahme beteiligen“, sagte Verteidigungsminister Boris Pistorius am Mittwoch im Deutschlandfunk. Außerdem werde man „ersetzen müssen“, so der Sozialdemokrat, „was die Amerikaner dann weniger machen“.

„Die Bundeswehr ist viel zu klein – schon für unsere bisherigen Zusagen an die Nato, für ein Europa mit weniger amerikanischen Soldaten aber erst recht“, sagt der frühere Wehrbeauftragte Hans-Peter Bartels (SPD). Er hält eine aktive Truppe von 250.000 Soldatinnen und Soldaten für notwendig, erstes Ziel müsse eine Verdoppelung der jährlichen Rekrutenzahl auf 40.000 sein. Was dafür nötig ist, ist aus Bartels’ Sicht klar: „Wir brauchen die Wehrpflicht jetzt. Die nächste Regierung muss die sofortige Wiedereinführung in ihren Koalitionsvertrag schreiben.“

Um die klassische Variante, wie sie im Jahr 2011 ausgesetzt wurde, geht es ihm nicht. Zunächst eher um „die bereits diskutierte Auswahl von Freiwilligen auf Basis obligatorischer Musterungen“, wie sie Pistorius vergangenen Sommer präsentierte. „Wir kämen aber nicht mehr an einer Pflicht vorbei, wenn Freiwilligkeit allein zur Bedarfsdeckung nicht ausreicht.“

Die Fragebogen kommen auf Wiedervorlage

Per Fragebogen für alle 18-Jährigen in Deutschland wollte der Minister die Bereitschaft für einen freiwilligen Dienst ermitteln. Hauptziel dieses Fragebogens sollte sein, für die Zukunft mehr Reservisten an der Hand zu haben – und mittels eines positiven Bildes von der Truppe den einen oder die andere von einer Verpflichtung zu überzeugen.

Auch Pistorius sprach sich ursprünglich für verpflichtende Einberufungen aus, falls der Kreis der Freiwilligen nicht groß genug sein sollte. Er hatte dies jedoch weder bei Grünen und Liberalen noch in seiner SPD durchsetzen können. Anschließend argumentierte er, die Bundeswehr könne anfangs ohnehin kaum zusätzliche Ausbildungsplätze bereitstellen – von 5000 weiteren Rekruten war die Rede.

Spätestens die Münchner Sicherheitskonferenz hat gezeigt, dass die Personalfrage eine Priorität der neuen Regierung sein muss.

Unionsfraktionsvize Johann Wadephul

Der Gesetzentwurf wurde nach dem Ampel-Aus aber nicht mehr verabschiedet, da die Fristen im Bundestag nicht mehr eingehalten werden konnten. Die Vorbereitungen laufen nach Angaben des Ministeriums jedoch unverändert, „damit das Projekt in der neuen Legislatur verzugsfrei weitergeführt werden kann“.

Die Chancen dafür stehen gut. „Die Wehrpflicht ist einer der Punkte, die wir als Union in Koalitionsverhandlungen einbringen werden“, sagt Fraktionsvize Johann Wadephul: „Wir werden auf dem vorliegenden Modell von Minister Pistorius mit verpflichtenden Fragebögen zur Wehrerfassung aufbauen, glauben aber, darüber noch hinausgehen zu müssen.“ Spätestens am Wochenende in München sei klar geworden, „dass die Personalfrage eine Priorität der neuen Regierung sein muss“. 

Die Gesprächsbereitschaft beim potenziellen Koalitionspartner ist da. „Wir setzen auf das Modell von Boris Pistorius zur Stärkung der Reserve“, so der SPD-Verteidigungsexperte Falko Droßmann, „versperren uns aber auch nicht weiterer, klug abgewogener Schritte, wenn sie angesichts der internationalen Lage notwendig sein sollten.”

Parteifreund Bartels beharrt schon mal auf einer Verdoppelung der Rekrutenzahl: „Wenn die Bundeswehr das nicht stemmt, kann sie sich auch gleich auflösen.“

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