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„Wir verschärfen die Sanktionen“: Union und SPD einig bei Verkehr, Rente, Bürgergeld – und neuen Regeln für Sozialleistungen
Die Erwartungen waren enorm: Nach langen Verhandlungen im Koalitionsausschuss meldet der Kanzler eine Einigung bei strittigen Themen. Beide Parteien stehen unter Druck, zu handeln.
Stand:
Die Bundesregierung hat sich nach Angaben von Bundeskanzler Friedrich Merz in drei Themenbereichen auf gemeinsame Positionen verständigt. Es handele sich um die Verkehrsinfrastruktur, die Themen Rente und Aktivrente und die neue Grundsicherung, sagte der CDU-Vorsitzende bei einer Pressekonferenz in Berlin.
„Das Bürgergeld ist jetzt Geschichte“, verkündete CSU-Chef Markus Söder. „Dieses Kapitel ist beendet.“ Der SPD dankte der bayerische Ministerpräsident dafür.
Der Koalitionsausschuss hatte zuvor bis tief in die Nacht getagt. Nach rund achtstündigen Beratungen über mehrere strittige Themen waren die Spitzen von Union und SPD im Kanzleramt auseinandergegangen. Mit tiefen Augenringen und ernster Miene traten Merz, Söder, Klingbeil und Bas im Kanzleramt vor die Presse.
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Merz sprach am Donnerstag von einer „wirklich ausgesprochen guten Atmosphäre“ während der Gespräche. Es sei insgesamt ein guter Koalitionsausschuss gewesen. Söder sprach von einer Marathonsitzung. „Es war auch eine ernste Stimmung, weil wir auch ernste Zeiten haben.“ Man habe etliches weggearbeitet und dicke Bretter gebohrt. Alle vier Parteichefs dankten sich im Laufe der Pressekonferenz mehrmals beieinander, hörten einander zu. Nur Markus Söder tippte und scrollte größtenteils auf seinem Handy.
Koalition einigt sich auf mehr Härte beim Bürgergeld
Die weitgehendste Einigung gab es beim Bürgergeld. „Wir machen die Grundsicherung gerechter“, sagte Arbeitsministerin Bas. Die rund 5,5 Millionen Bürgergeld-Beziehenden müssen sich bei einer Umsetzung der Pläne daher auf strengere Auflagen einstellen. Dem Durchbruch im Koalitionsausschuss waren intensive Gespräche von Merz Bas vorausgegangen.
Mit den Änderungen sollen Teile der Anfang 2023 in Kraft getretenen Bürgergeld-Reform rückabgewickelt werden, die Leistung soll künftig einfach nur noch Grundsicherung für Arbeitssuchende heißen.
Im Zentrum stehen Verschärfungen, die die Pflichten der Bezieherinnen und Bezieher von Leistungen stärker hervorheben. Fördern und Fordern sollen besser in Balance gebracht, Missbrauch soll stärker unter Kontrolle gebracht werden.
Was soll neu sein?
Konkret soll mit härteren Sanktionen belegt werden, wer gegen die Regeln der Jobcenter verstößt und etwa einen Termin nicht wahrnimmt oder eine Arbeitsaufnahme verweigert. Wer als Empfänger von Grundsicherung einen Termin im Jobcenter schwänzt, dem soll die monatliche Überweisung sofort um 30 Prozent gekürzt werden.

© dpa/Kay Nietfeld
Erscheint er beim zweiten Termin wieder nicht, soll sie noch einmal um 30 Prozent gekürzt werden. Bleibt auch ein dritter Termin ungenutzt, sollen die Geldleistungen komplett eingestellt werden.
Wir verschärfen die Sanktionen bis an die Grenze dessen, was verfassungsrechtlich zulässig ist.
Arbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) über die Sanktionen beim Bürgergeld
Alle Leistungen inklusive der Unterstützung zur Unterkunft sollen gestrichen werden, wer auch im Monat darauf nicht erscheint. „Wer nicht mitmacht, wird es schwer haben“, sagte Bas. „Wir verschärfen die Sanktionen bis an die Grenze dessen, was verfassungsrechtlich zulässig ist.“ Härtefälle werden berücksichtigt.
Auch das Vermögen der Betroffenen soll weniger geschont werden. Karenzzeiten sollen wegfallen. Das Schonvermögen soll stattdessen an die Lebensleistung geknüpft werden.
Kranken Menschen drohen keine Verschärfungen
Gleichzeitig betont Bas, dass die Verschärfungen nicht für Menschen mit gesundheitlichen oder psychischen Beeinträchtigungen gelten. „Wir wollen nicht die Falschen treffen“, sagte die Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) nach einem Treffen des Koalitionsausschusses im Bundeskanzleramt in Berlin.
Konkret bedeute dies, „dass psychisch kranke Menschen oder Menschen, die schwere andere gesundheitliche Hemmnisse haben“, nicht automatisch in der gleichen Weise sanktioniert würden, wenn sie etwa Beratungstermine verpassten oder Jobangebote nicht angenommen würden.
Koalition plant gezielte Kaufanreize für E-Autos
Abseits davon planen Union und SPD neue gezielte Kaufanreize für Elektroautos. Vorgesehen ist ein Förderprogramm insbesondere für Haushalte mit kleinem und mittlerem Einkommen als Unterstützung für den Umstieg auf klimaneutrale Mobilität und die Nutzung emissionsfreier Fahrzeuge, wie es in einem Beschluss des Koalitionsausschusses heißt.
Entscheidung zu Verbrenner-Aus vertagt
In einer Kernfrage sind sich Union und SPD weiter uneins: Wie steht Deutschland zum endgültigen EU-weiten Aus für Neufahrzeuge mit Verbrennermotor im Jahr 2035? Die Union – allen voran Kanzler Merz – wollte das Verbrenner-Aus in dieser Form kippen. Die SPD wollte daran festhalten. Man habe da noch nicht zu einer abschließenden Bewertung gefunden, sagte Merz bei der Pressekonferenz auf Nachfrage.
Nächtlicher Verhandlungsmarathon
Das Spitzentreffen hatte am frühen Mittwochabend begonnen. Schon der Auftakt verlief dabei anders als geplant. Eigentlich sollte es um 17 Uhr losgehen. Doch wenige Minuten später verließen erst Jens Spahn, Carsten Linnemann (beide CDU) und Alexander Hoffmann (CSU) zu Fuß und später Friedrich Merz im Dienstwagen das Kanzleramt schon wieder.
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Der Grund: Im Bundestag wurde namentlich über die Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes abgestimmt. Fast alle Mitglieder des Koalitionsausschusses mussten noch einmal in den Reichstag, um die von der Ampel eingeführte Turbo-Einbürgerung nach drei Jahren wieder abzuschaffen. Danach ging es zurück ins Kanzleramt, wo das Gipfeltreffen mit rund 45-minütiger Verspätung begann.
Union und SPD hatten sich dafür eine umfangreiche Tagesordnung vorgenommen. Aus Koalitionskreisen hieß es, man habe gegen 23 Uhr rund zwei Drittel davon abgearbeitet, nur unterbrochen von einem gemeinsamen Abendessen.
Die Erwartungen an den Bundeskanzler aus der Union vorab waren immens. Bei CDU und CSU hieß es von mehreren Spitzenpolitikern vorab, man erwartete einen „Koalitionsausschuss der Ergebnisse“.
In der Fraktionssitzung am Dienstag sollen Medienberichten zufolge einige Abgeordnete ihren Frust bei Merz abgeladen haben. Weil Reformen ausblieben, die AfD weiter zulege und sich zu oft die SPD mit ihren Positionen durchsetzen würde. Mehrere forderten daher, Merz müsse beim Koalitionsgipfel endlich mehr Führungsstärke zeigen. (Mit dpa/AFP)
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