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Beschluss der Regierungskoalition: Wird das Maßnahmenpaket der Flüchtlingskrise gerecht?

Die große Koalition hat Maßnahmen beschlossen, um die steigenden Flüchtlingszahlen zu bewältigen. Einrichtungen sollen Sachleistungen statt Geld bekommen.

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Deutschland ist herausgefordert. Wer so großzügig Flüchtlinge aufnimmt, muss auch die Bedingungen schaffen, um sie menschenwürdig unterzubringen und zu integrieren. Dieser Aufgabe hatten sich in der Nacht zum Montag die Spitzen der schwarz-roten Koalition gewidmet. Sie beschlossen ein umfangreiches Maßnahmenpaket, das nun in den Details umzusetzen ist.

Reichen sechs Milliarden Euro, um das Flüchtlingsproblem zu bewältigen?

Sechs Milliarden Euro im und aus dem Bundeshaushalt sollen es richten – auch wenn es Berechnungen gibt, die von Kosten um zehn Milliarden Euro ausgehen. Doch letztlich sind Berechnungen unwägbar, weil sie auf den Schätzungen der Flüchtlingszahlen beruhen. Im vorigen Winter noch wollte sich der Bund die von den Ländern erwartete Verdopplung im Jahr 2015 (auf 500 000) nicht zu eigen machen – die nun wohl noch im Sommer eintritt. Ob es aber die jetzt geschätzten 800 000 Flüchtlinge werden, weiß niemand – es können mehr werden, wie etwa Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) erwartet, es können auch weniger sein, denn vom Balkan kamen zuletzt deutlich weniger Zureisende.

Die sechs Milliarden Euro verteilen sich auf zwei Blöcke. Zum einen wird erwartet, dass dem Bundesetat direkt drei Milliarden Euro an Kosten entstehen werden. Das meiste davon wird Bundessozialministerin Andrea Nahles (SPD) aufzubringen haben. Sie rechnet damit, dass sie 2016 zwischen 1,8 und 3,3 Milliarden Euro zusätzlich benötigen wird. Auf ihren Etat kommen Mehrausgaben für Hartz-IV-Leistungen zu, außerdem wird mehr Geld benötigt, um Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt zu integrieren. 400 Millionen Euro zusätzlich soll das Auswärtige Amt für internationale Krisenbewältigung bekommen. Daneben werden dem Bund direkte Kosten entstehen durch die Zusage, bei Liegenschaften des Bundes, die den Ländern und Kommunen schon jetzt mietfrei zur Verfügung gestellt werden, künftig auch das Herrichten zum Zweck der Flüchtlingsunterbringung zu bezahlen, also in die Renovierung und Sanierung zu investieren. Was das kosten wird, ist unklar. Zudem will der Bund bei der Bundespolizei 3000 neue Stelle schaffen, was deutlich mehr als 100 Millionen Euro kosten dürfte. Fazit: Es ist unklar, ob drei Milliarden wirklich genug sind.

Wird den Bundesländern ausreichend geholfen?

Das betrifft den zweiten Block der Finanzzusagen: Hilfen an Länder und Kommunen, die der Bund versprochen hat. Sie sollen nun 2016 dreimal so hoch sein wie in diesem Jahr, also bei drei Milliarden Euro liegen. Wie das umgesetzt wird, ist völlig unklar. Allerdings ist in dem Koalitionspapier nicht mehr von einer Grundgesetzänderung die Rede, um den bisher nicht möglichen direkten Geldtransfer vom Bund an die Kommunen einzuführen. Damit bleiben die Länder als Adressat. Diese sind für die Erstaufnahme von Flüchtlingen zuständig. Da die Erstaufnahmekapazität nach dem Koalitionsbeschluss wachsen soll, weil vor allem chancenlose Asylbewerber erst gar nicht auf die Kommunen verteilt werden, steigen die Kosten der Länder. Diese dürfte der Bund zum Teil übernehmen und die drei Milliarden Euro dafür einsetzen. Vereinbart ist, dass der Bund sich künftig „dauerhaft, strukturell und dynamisch“ an den Flüchtlingskosten beteiligt. Denkbar wäre daher eine an der tatsächlichen Zahl der Flüchtlinge orientierte Beteiligung an den Erstaufnahmekosten.

Finanziert werden sollen die Mehrausgaben von sechs Milliarden Euro durch die Mehreinnahmen in diesem Jahr. Diese könnten sich auf deutlich mehr als fünf Milliarden Euro belaufen. Daher wird es wohl einen Nachtragshaushalt für das laufende Jahr geben; in dem könnte festgelegt werden, dass die Mehreinnahmen als Rücklage für die Flüchtlingskosten im kommenden Jahr dienen. Damit wären die Bundesmilliarden sozusagen schon finanziert. Die sogenannte schwarze Null, also der Etat ohne neue Schulden, ist aus heutiger Sicht in beiden Jahren nicht in Gefahr, wenn die Koalitionsfraktionen in den laufenden Verhandlungen für 2016 nicht ausgabefreudiger werden als bisher.

Dass die Länder mit dem Drei-Milliarden-Angebot zufrieden sind, ist nicht anzunehmen. Woidke hat es bereits als zu gering kritisiert. Die Ministerpräsidenten, die sich am Mittwoch treffen, dürften daher mehr verlangen. Woidkes Forderung läuft auf eine Verdopplung hinaus: Der Beschluss vom Sonntag bedeutet nach seinen Worten eine Übernahme von einem Viertel der Flüchtlingskosten von geschätzten zehn Milliarden Euro, es müssten aber mehr als 50 Prozent sein. Das wird der Bund nicht mitmachen. Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) wird ihnen entgegenhalten, dass die derzeit sprudelnden Steuerquellen ja auch den Ländern höhere Einnahmen bringen, die sie ins kommende Jahr verlagern können.

Es soll verstärkt Sachleistungen statt Bargeld geben – ist das ein Tabubruch?

In dem Beschluss vom Sonntag ist festgehalten: „Bargeldbedarf in Erstaufnahmeeinrichtungen soll so weit wie möglich durch Sachleistungen ersetzt werden.“ Damit wird die Einschränkung also vor allem auf jene Flüchtlinge begrenzt, die als chancenlose Bewerber länger in diesen Erstaufnahmelagern bleiben sollen als bisher. Zudem lässt sich der Beschluss so lesen, dass die Einschränkung flexibel gehandhabt werden kann.

Kosovo, Albanien und Montenegro sollen sichere Herkunftsstaaten werden – ist das durchsetzbar?

Dafür braucht die Bundesregierung die Unterstützung des Bundesrats. Und hier kommt keine Mehrheit ohne die Grünen zustande, die derzeit in neun von 16 Bundesländern mitregieren. Die Partei hält eine Ausweitung der sicheren Herkunftsländer zwar für eine „überflüssige Schikane“, wie die Grünen-Vorsitzende Simone Peter am Montag sagte. Doch eine Zustimmung im Bundesrat schließen die Grünen nicht kategorisch aus. Die Ergebnisse vom Sonntagabend seien eine „ordentliche Verhandlungsgrundlage“, sagt etwa Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Anders als beim Asylkompromiss im vergangenen Herbst reichen dieses Mal allerdings nicht die Stimmen aus dem Südwesten, um dem Regierungsvorschlag zu einer Mehrheit zu verhelfen. Als Entgegenkommen wertet man bei den Grünen die Bereitschaft der großen Koalition, für Menschen aus dem Westbalkan (Bosnien-Herzegowina, Mazedonien, Serbien, Kosovo, Albanien und Montenegro) mehr Möglichkeiten zu schaffen, in Deutschland eine Arbeit oder Ausbildung aufzunehmen. Wer einen Vertrag mit tarifvertraglichen Bedingungen vorweisen kann, soll hierher kommen dürfen. Die Grünen erwarten darüber hinaus weitere Zugeständnisse.

Ist die CSU nach ihrer Kritik an Merkels Öffnungs-Coup wieder versöhnt?

Bayern gehört zu den Bundesländern, in denen am meisten Flüchtlinge ankommen und untergebracht werden. Kommunen, Hilfskräfte und Polizei stehen daher unter besonders großem Druck. Für die bayerische Landesregierung erzeugte die Entscheidung von Kanzlerin Angela Merkel, am Wochenende Flüchtlinge in großer Zahl aus Ungarn aufzunehmen, obwohl das den europäischen Regeln widerspricht, daher den Eindruck, dass nun „die Tore für alle noch weiter geöffnet werden“, wie ein CSU-Mann am Montag sagte. Deshalb drang die CSU-Spitze darauf, das Versprechens im Koalitionsbeschluss festzuschreiben, dass solche Entscheidungen „Ausnahme“ bleiben. Beim ersten Treffen der CSU-Landesgruppe im Bundestag nach der Sommerpause gab es nach Angaben von Teilnehmern am Montag zahlreiche emotional aufgeladene Berichte aus den Wahlkreisen, in denen von Hilfsbereitschaft, aber auch von Warnungen vor Überforderung die Rede war. „Wir helfen, wo wir können“, fasste ein Landesgruppenmitglied zusammen, „aber so kann es auf Dauer nicht weitergehen.“ Dass die Koalition die Bundespolizei personell aufstocken, Bargeldleistungen eindämmen und die Zahl der sicheren Herkunftsländer erhöhen will, lobte CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer, sei „ein wichtiger Zwischenschritt, um Menschlichkeit und Ordnung bei der Asylfrage sicherzustellen“.

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