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Wirtschaftswende, Investitionen, zwei Haushalte: Die wichtigsten Baustellen von Finanzminister Klingbeil
Als Finanzminister darf Lars Klingbeil so viel Geld verteilen wie keiner vor ihm. Erfahrung hat er kaum, die Ansprüche sind gigantisch. Was der Vizekanzler als Erstes liefern muss.
Stand:
Zwar findet sie einen Tag später statt als geplant, die Bedingungen sind dafür umso besser. Auf dem Rasen im Garten des Finanzministeriums, unter strahlend blauem Himmel, hat der scheidende Finanzminister Jörg Kukies (SPD) sein Amt am Mittwoch offiziell an seinen Nachfolger übergeben.
Er komme mit Vorfreude, aber auch sehr viel Demut, gibt Klingbeil zu. Die Übergabe geht in weniger als 15 Minuten über die Bühne: keine Geschenke, keine ausufernden Reden. Klingbeil hat keine Zeit zu verlieren. „Mein Anspruch ist, dass wir von Minute eins an loslegen“, sagt er vor Journalisten. Das Haus sei hoch motiviert und bereit, sein Tempo mitzugehen.
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Das wird nötig sein. Schließlich könnten die Herausforderungen, die auf den neuen Finanzminister warten, kaum größer sein. Welche Baustellen am drängendsten sind:
1 Wirtschaftswende einleiten
Die deutsche Wirtschaft befindet sich im dritten Jahr der Rezession. Die Bundesregierung will mit einer Vielzahl an Maßnahmen gegensteuern. Als Finanzminister spielt Klingbeil dabei eine entscheidende Rolle.
Es ist nicht nur mein Anspruch, Finanz-, sondern auch Investitionsminister zu sein.
Lars Klingbeil, Bundesfinanzminister
Der Investitions-Booster für Unternehmen soll direkt nach der Kanzlerwahl umgesetzt werden. Die geplanten und rückwirkend zum Jahreswechsel geltenden Sonderabschreibungen von 30 Prozent für Ausrüstungsinvestitionen sollen noch vor der Sommerpause ab Mitte Juli verabschiedet werden.
Unter anderem die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) fordert die geplante Senkung der Stromsteuer bereits zu Juli. Auch die steuerlichen Anreize für länger arbeitende Rentner sollen zügig kommen. Später muss Klingbeil zudem eine Unternehmenssteuerreform vorbereiten: Die Körperschaftsteuer soll ab 2028 jährlich um einen Prozentpunkt sinken.
2 Investitionen ermöglichen
„Es ist nicht nur mein Anspruch, Finanz-, sondern auch Investitionsminister zu sein“, bekräftigt Klingbeil bei der Amtsübergabe. Im März haben Union und SPD zusammen mit den Grünen das Grundgesetz geändert, um ein 500 Milliarden Euro schweres Sondervermögen für die Infrastruktur aufzusetzen. Darüber sollen zusätzliche Investitionen etwa für Schienen, Straßen, Krankenhäuser und Stromnetze finanziert werden.
Nicht nur die Opposition wird ihr Augenmerk darauf richten, dass das Geld wirklich zukunftsorientiert und wachstumsfördernd eingesetzt wird. Die genaue Verwendung soll einfach gesetzlich geregelt werden. Der marode Zustand der Infrastruktur duldet kaum Aufschub.
Zudem machen die Länderchefs Druck, dass ein Gesetz noch vor der Sommerpause kommt. Länder und Kommunen sollen ein Fünftel der Mittel erhalten. Nach welchem Schlüssel sie verteilt werden, ist noch unklar. Als Finanzminister und SPD-Parteichef wird Klingbeil sein Verhandlungsgeschick erneut unter Beweis stellen müssen.
3 Spardruck hochhalten
Einerseits kann Klingbeil so viel Geld verteilen wie kein Finanzminister vor ihm. Anderseits will Schwarz-Rot Bürger und Unternehmen massiv entlasten. Das Institut der Deutschen Wirtschaft beziffert das Volumen auf 50 Milliarden Euro im Jahr. Dazu klafft in den Haushaltsplanungen bis 2029 noch eine Finanzlücke von über 100 Milliarden.
Nicht umsonst schwebt Zeile 1627 des Koalitionsvertrages über allem, was sich Union und SPD vorgenommen haben: „Alle Maßnahmen stehen unter Finanzierungsvorbehalt.“ Nicht für alle Projekte dürfte Geld da sein. So mahnte Klingbeils entfernter Vorgänger Hans Eichel (SPD) kürzlich, das Geld „nicht etwa für Agrardieselsubventionen oder Mehrwertsteuersenkung für Restaurants zu verplempern“.
Enorm ist auch der Druck auf Klingbeil, den Kostenanstieg bei Rente, Gesundheit und Pflege zu dämpfen. Hier wird er ebenfalls zwischen Haushalts- und Sozialpolitikern moderieren und Kompromisse herbeiführen müssen.
4 Zwei Haushalte verabschieden
Zentral für viele Vorhaben ist, dass Schwarz-Rot zügig einen finalen Haushalt verabschiedet. Da sich die Ampel-Parteien nicht einig wurden, agiert die Regierung mit einem vorläufigen Haushalt. Ausgaben sind nach Artikel 111 Grundgesetz möglich, der Spielraum allerdings begrenzt.
Der Zeitplan für eine Verabschiedung bis zur Sommerpause gilt als extrem ambitioniert. Die neuen Minister:innen müssen ihre Einzelpläne an das Finanzministerium schicken, Klingbeil daraus eine Vorlage erarbeiten und das Kabinett einen Entwurf verabschieden.
Zumindest bis dahin will man kommen, sagt Klingbeil. Dieses Ziel habe er auch mit Kanzler Friedrich Merz (CDU) verabredet. „Wir wollen keine Zeit verlieren und legen jetzt sofort los“, sagt der Vizekanzler am Mittwoch.
Merz hat schon angekündigt, die parlamentarische Sommerpause nach hinten zu verschieben. Die Beratung und Zustimmung im Parlament halten Beobachter trotzdem für äußerst anspruchsvoll.
Parallel sollen zudem die Beratungen für den Haushalt 2026 starten. Ein Erfolg wäre es, wenn Klingbeil bis zum Sommer zumindest einen Entwurf erarbeitet hätte, über den im Parlament dann in der zweiten Jahreshälfte beraten werden könnte.
Die Haushalte für 2025 und 2026 zusammen zu beschließen, dürfte eher keine Option sein. Arbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) hatte im Tagesspiegel angeregt, über einen Doppelhaushalt nachzudenken. In der Union hält man davon wenig. „Die Verabschiedung eines Doppelhaushalts löst keines der Probleme“, sagte der CDU-Haushaltspolitiker Christian Haase dem Tagesspiegel. Man verliere dadurch nur Zeit.
Klingbeils Glück ist es, nicht bei null anfangen zu müssen. Sein Parteifreund und Vorgänger ist ihm wohlgesonnen. Bei der Übergabe ist Klingbeil voll des Lobes für den „lieben Jörg“. „Das Haus hat jetzt schon gute Vorarbeit geleistet“, versichert Kukies. Öffentliche Ratschläge wolle er Klingbeil nicht geben. „Vertraue auf die Qualität der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dieses Hauses.“
Der SPD-Chef erwidert, er wolle den Sachverstand und die Expertise des Hauses einbeziehen. Kritik fordere er explizit ein. Gleichzeitig stellt er klar: „Am Ende habe ich die Entscheidung als Minister.“
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