zum Hauptinhalt
Im nächsten Jahr verlangen viele Krankenkassen höhere Beiträge. Allerdings können gesetzlich Versicherte auch jederzeit zu günstigeren Anbietern wechseln.

© dpa

Steigende Beiträge bei den Krankenkassen: Wo es 2016 wehtut

Im neuen Jahr wird es bei vielen Krankenkassen deutlich teurer. Woran liegt das? Und wohin kann man wechseln, um Geld zu sparen? Ein Überblick.

2016 werden die meisten der 123 gesetzlichen Krankenkassen ihre Beiträge erhöhen. Der Gesundheitsminister spielt die Steigerungen herunter. Doch aufs Jahr gerechnet summieren sie sich pro Versicherten auf bis zu 305 Euro. Und wer sich zum Wechsel vom dann teuersten zum preisgünstigsten Anbieter entscheidet, kann im Jahr mehr als 450 Euro, in manchen Regionen sogar mehr als 760 Euro sparen – ohne auf eine einzige gesetzlich garantierte Leistung verzichten zu müssen. Ein Überblick.

Womit haben die Versicherten zu rechnen?

Nach den Berechnungen des Schätzerkreises wird der durchschnittliche Zusatzbeitrag für gesetzlich Krankenversicherte im kommenden Jahr bei 1,1 Prozent des Bruttolohns liegen - das sind 0,2 Prozentpunkte mehr als 2015. Der Gesamtbeitrag steigt dadurch von 15,5 auf 15,7 Prozent. 8,4 Prozent haben die Arbeitnehmer zu tragen.

Bei 3000 Euro brutto bedeutet das sechs Euro mehr im Monat. Dies entspreche, sagt Gesundheitsminister Hermann Gröhe, gerade mal einer halben Kinokarte oder einer Currywurst mit Pommes. „Kein Grund zum Alarmismus.“

Allerdings legt jede Kasse selber fest, welchen Zusatzbeitrag sie von ihren Versicherten über die gesetzlich vorgegebenen 14,6 Prozent hinaus nimmt. Daher fallen die Erhöhungen sehr unterschiedlich aus. Die Spanne reicht von Null bis zu 0,6 Prozentpunkten. Die günstigste Kasse nimmt noch immer gar keinen Zusatzbeitrag, die teuerste bereits 1,5 Prozent. Die Erhöhungen im nächsten Jahr haben die Arbeitnehmer ganz allein zu wuppen. Der Beitrag der Arbeitgeber bleibt bei 7,3 Prozent.

Warum steigen die Beiträge?

Ein Grund ist zunächst mal die Reformwut der großen Koalition. Das Krankenhausstrukturgesetz, die Verpflichtung der Kassen zu deutlich höhere Präventionsausgaben, mehr Anreize für Landärzte, bessere Hospizversorgung und Palliativmedizin, Digitalisierung des Gesundheitswesens: Das alles geht, auch wenn es nottut und langfristig Ersparnisse bringen mag, zunächst mal mächtig ins Geld. Nach Berechnungen des Rheinisch-Westfälischen Wirtschaftsinstituts (RWI) kosten die Reformen, die Gröhe auf den Weg gebracht hat, in den nächsten fünf Jahren bis zu 40 Milliarden Euro.

Die Arzneiausgaben sind, nach ruhigeren Jahren und einer Lockerung der bisherigen Preisdämpfung, im vergangenen Jahr so gestiegen wie selten zuvor. Die Krankengeldausgaben sind, wegen immer länger Ausfallzeiten insbesondere durch psychische Erkrankungen, stark gestiegen. Zahlreiche Flüchtlinge werden, wenn sie erst ihren Aufenthaltsstatus und Hartz-IV-Anspruch haben, das Kassensystem zusätzlich belasten.

Und dazu kommen, alles überwölbend, die größten aller Preistreiber: medizinischer Fortschritt und alternde Bevölkerung.

Was sind die günstigsten Versicherer?

Die einzige gesetzliche Kasse, die weiterhin komplett auf Zusatzbeiträge verzichtet, ist die Metzinger BKK. Die Krankenversicherung ist bei ihr also auch 2016 für 14,6 Prozent zu haben – allerdings nur für Baden-Württemberger. Wer im Osten lebt, kann es ebenfalls sehr günstig bekommen. Sowohl die für Sachsen und Thüringen zuständige AOK Plus als auch die AOK Sachsen-Anhalt belassen ihren Zusatzbeitrag bei 0,3 Prozent.

Die billigste bundesweite Kasse bleibt die HKK aus Bremen mit 400.000 Versicherten. Sie muss diesmal zwar auch erhöhen, macht sich aber den Spaß, ihren neuen Zusatzbeitrag mit 0,59 Prozent haarscharf unter allen Konkurrenten zu halten. Die günstigste bundesweit geöffnete Betriebskrankenkassen, die BKK Firmus, kommt ebenso wie die Innungskrankenkassen Gesund Plus und Brandenburg/Berlin immerhin auf 0,6 Prozent.

Bei welchen Kassen wird es am teuersten?

Richtig heftig wird es bei der Deutschen Angestellten Krankenkasse (DAK). Der drittgrößte Versicherer muss die Beiträge für seine 6,1 Millionen Kunden um 0,6 Punkte anheben. Damit werden die Hamburger zum teuersten Versicherer, ihr Zusatzbeitrag liegt 2016 bei 1,5 und der Gesamtbeitrag bei 16,1 Prozent. DAK-Versicherte zahlen damit dann im Monat bis zu 38,56 Euro und im Jahr bis zu 462,74 Euro mehr als bei der HKK.

Spürbar zur Kasse bittet auch die Kaufmännische Krankenkasse KKH, der Zusatzbeitrag für ihre 1,8 Millionen Versicherten steigt um 0,3 Punkte auf 15,8 Prozent. Mindestens ebenso teuer dürfte es für die gut dreieinhalb Millionen Versicherten der IKK Classic werden, die sich erst am Montag festlegen will.

Die beiden größten Anbieter dagegen – die Techniker Krankenkasse (9,6 Millionen Versicherte) und die Barmer GEK (8,5 Millionen) – orientieren sich am Durchschnitt, sie erhöhen nur um jeweils 0,2 Punkte. Die Techniker liegt mit ihrem Zusatzbeitrag dann bei 1,0 Prozent, die Barmer bei 1,1 Prozent.

Bei 1,1 Prozent landen auch der künftige Fusionspartner der Barmer, die Deutsche BKK (1,1 Millionen) und die AOKen Bayern, Nordwest, Bremen, Rheinland-Pfalz/Saarland und Hessen. Die AOK Baden-Württemberg begnügt sich mit 1,0 Prozent. Die für Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern zuständige AOK-Nordost (1,75 Millionen) bleibt bei 0,9 und die AOK Niedersachsen sogar bei 0,8 Prozent.

Warum gibt es so große Beitragsunterschiede zwischen den Kassen?

Die pauschale Antwort, die auch Gesundheitsminister Gröhe gerne gibt, lautet: Es liegt daran, wie die Kassen wirtschaften. Manche seien eben besser aufgestellt als andere, hätten mehr Rücklagen gebildet, arbeiteten effizienter. Doch ist allenfalls ein Teil der Wahrheit.

Dass manche Kassen klammer sind als andere, hängt auch damit zusammen, dass sie weniger Geld aus dem gemeinsamen Gesundheitsfonds erhalten, als sie für ihre Versicherten ausgeben müssen. Eigentlich dürfte das nicht so sein. Ein Risikoausgleich, der sich unter anderem am Alter der Versicherten und den Therapiekosten von 80 Krankheiten orientiert, sollte Chancengleichheit herstellen und Rosinenpicken verhindern.

Doch das hochkomplizierte Konstrukt hat eine Schlagseite, da es sich nur an den Ausgaben im Bundesdurchschnitt orientiert. Kassen, deren Versicherte in Regionen mit geringeren Leistungsausgaben leben, kommen bei dem Ausgleich günstiger weg. Versicherer mit Schwerpunkten in Ballungszentren – also dort, wo es mehr Ärzte und Klinikbetten gibt, die natürlich auch ihre Nachfrage produzieren – zahlen drauf.Und auch den einstigen Hochrisikopool, in dem alle Kassen für die ganz besonders teuren Fälle zusammenlegten, gibt es so nicht mehr.

Dass das derzeitige Verteilsystem die Sparsamen keineswegs belohnt, lässt sich an der AOK Plus und der AOK Sachsen-Anhalt zeigen. Beide leisten sich pro Kopf und Jahr, wie das „Handelsblatt“ herausgefunden hat, die höchsten Verwaltungskosten und sind aufgrund der Zuweisungen aus dem gemeinsamen Topf dennoch die Reichsten.

Was können die Versicherten tun?

Die Kasse wechseln. Schließlich ist der gesetzliche Leistungskatalog auch bei günstigeren Anbietern der gleiche. Und bei Beitragserhöhungen haben die Versicherten ein Sonderkündigungsrecht. Es gilt bis zum Ablauf des Monats, in dem die Beitragsänderung wirksam wird. Bis dahin muss die Mitgliedsbescheinigung der neuen Kasse bei der alten eingegangen sein. Informationen über günstigere Kassen gibt es auf der Internetseite des GKV-Spitzenverbands. Und jeder muss, unabhängig von Alter oder Gesundheitszustand, bei der Kasse seiner Wahl aufgenommen werden. Allerdings rät der Verband, sich einen Wechsel genau zu überlegen. Guter Service, ein dichtes Filialnetz, persönliche Ansprechpartner oder freiwillige Leistungen wie die Erstattung von Osteopathie, Heilpraktikerleistungen, Kinderwunschbehandlungen oder Zahnreinigungskosten können einen etwas höheren Beitragssatz durchaus relativieren.

Wie geht es für die Versicherten weiter

Nach einer Prognose des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW) wird sich der durchschnittliche Zusatzbeitrag bis 2020 verdoppelt haben – von derzeit 0,9 auf 1,8 Prozent. Das liege vor allem an den Ausgaben, die pro Jahr im Schnitt um 4,5 Prozent stiegen. Die Tendenz dieser Ausgabendynamik sei „anhaltend höher als die Dynamik der Einnahmen, und dies trotz der derzeitig günstigen Arbeitsmarktlage“, heißt es in der Studie.

Der Chef des Ersatzkassenverbands, Christian Zahn, schätzt den künftigen Beitragsanstieg auf 0,2 Punkte pro Jahr. Und der Essener Gesundheitsökonom Jürgen Wasem rechnet damit, dass die Beiträge 2017 im Schnitt sogar um mindestens 0,3 bis 0,4 Punkte steigen.

Kassenfunktionäre und Politiker verlangen daher, die Arbeitgeber bei Ausgabensteigerungen wieder mitzahlen zu lassen. Kein Wunder: Prognosen zufolge haben die Versicherten im kommenden Jahr bereits 14,4 Milliarden Euro über Zusatzbeiträge alleine tragen. Es müsse „nun ernsthaft über eine Rückkehr zur paritätischen Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung gesprochen werden“, drängen auch die SPD-Experten Karl Lauterbach und Hilde Mattheis (SPD).

Die Union und ihr Gesundheitsminister sind noch nicht so weit. Aus ihrer Sicht ist es wichtiger, die Arbeitskosten niedrig zu halten.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false