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Polizisten führe eine Festgenommene ab.

© imago images/ZUMA Wire

Getötete Sarah Everard: Wut über Polizeigewalt bei Mahnwache in London

Der Mord an einer jungen Londonerin löst eine politische Debatte über Gewalt gegen Frauen aus. Die Polizei prügelt eine Mahnwache für das Opfer auseinander.

Der Mord an der jungen Londonerin Sarah Everard hat Großbritannien aufgewühlt und die Gewalt gegen Frauen auf die politische Tagesordnung gerückt. Zehntausende von Frauen berichten in diesen Tagen auf sozialen Netzwerken von ihrer Angst, allein durch die Straßen der Millionenmetropole zu laufen.

Die Londoner Polizei löste am Samstagabend eine gerichtlich verbotene Mahnwache für das Mordopfer mit ruppigen Methoden auf, weshalb sich Rücktrittsforderungen gegen die Behördenleiterin Cressida Dick richten. Die konservative Innenministerin Priti Patel sprach von „erschütternden Szenen“ und forderte einen umfassenden Bericht über die Ereignisse an.

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Polizei nimmt Tatverdächtigen fest

Die 33-jährige Sarah Everard hatte Anfang März einen Freund im gutbürgerlichen Süd-Londoner Stadtteil Clapham besucht. Gegen 21 Uhr machte sie sich auf den Heimweg zu ihrer Wohnung, die sich rund 50 Minuten Fußweg entfernt befand. Dabei durchquerte sie den beliebten Park Clapham Common. Zuhause kam die Frau nie an.

Knapp eine Woche nach ihrem Verschwinden nahm Scotland Yard einen Tatverdächtigen fest, über den bald schockierende Einzelheiten bekannt wurden. Wayne C., 48, gehörte nicht nur der Elite-Einheit an, die für den Personenschutz von Angehörigen der Regierung und des Königshauses zuständig ist.

Er war auch zum Tatzeitpunkt wegen Exhibitionismus in einem Schnellrestaurant vom Dienst suspendiert. Am vergangenen Freitag wurden bei Ashford in der Grafschaft Kent gefundene sterbliche Überreste als die Leiche der jungen Frau identifiziert.

Polizei greift hart gegen Mahnwache durch

Vorkämpferinnen gegen die Diskriminierung von Frauen wie die Labour-Abgeordnete Jessica Phillips nutzten den Internationalen Frauentag dazu, auf die Alltagsgewalt hinzuweisen. Als die Organisation „Reclaim the streets“ zu einer Mahnwache in Clapham Common aufrief, wurde die Zusammenkunft von der Polizei und später auch im High Court mit Blick auf die Corona-Einschränkungen verboten.

Mahnwache für die getötete Sarah Everard in London.
Mahnwache für die getötete Sarah Everard in London.

© JUSTIN TALLIS/AFP

Diese erlauben derzeit lediglich Treffen von zwei Personen in öffentlichen Parks. Am Samstag bekundeten dennoch Hunderte Frauen still ihren Schmerz und ihre Solidarität, unter ihnen auch Kate Middleton. Aus der Zeit vor ihrer Heirat mit Prinz William könne sie sich noch genau an das Bedrohungsgefühl auf Londons Straßen erinnern, ließ die Herzogin von Cambridge mitteilen.

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Am Abend kam es zu vier Festnahmen, als die Polizei versuchte, den Gerichtsbeschluss durchzusetzen. Die Fotos einer mit Handschellen gefesselten, am Boden liegenden jungen Frau prangten am Sonntag auf den Titelseiten der Zeitungen und lösten vielerorts Empörung aus.

„Schreckliche Szenen“

Londons Labour-Bürgermeister Sadiq Khan nannte das Vorgehen der Polizei „unakzeptabel und unangemessen“. Die Chefin des Innenausschusses im Unterhaus, Yvette Cooper, sprach von „schrecklichen Szenen“. Sie könne die Entscheidung des Einsatzleiters nicht verstehen.

Die Empörung wird auch von jüngsten Entwicklungen in der Strafjustiz verstärkt. Seit 2013 sind bei der Polizei dreimal mehr Anzeigen wegen Vergewaltigung eingegangen als in den sieben Jahren zuvor. Hingegen ist die Zahl der Anklagen gefallen.

Experten führen dies auf die besondere Schwierigkeit der Verfolgung von Sexualdelikten zurück. Da in 90 Prozent der Fälle die Beteiligten einander kennen, verlangt die Polizei von der Beschuldigerin häufig umfassende Auskünfte über ihr Verhältnis zum Beschuldigten, nicht zuletzt Zugang zu ihrem Mobiltelefon. Offenbar ziehen viele Frauen daraufhin ihre Anzeige zurück.

Londoner legen Blumen an dem Ort nieder, an dem die junge Frau gefunden wurde.
Londoner legen Blumen an dem Ort nieder, an dem die junge Frau gefunden wurde.

© Henry Nicholls/Reuters

Einwände gegen ein neues Polizeigesetz

Zwei Faktoren tragen zur politischen Aufladung des Themas bei. Anfang Mai bestimmen die Briten viele Kommunalvertretungen, in Wales und Schottland zudem die Regionalparlamente neu. Nach schweren Fehlern in der Bekämpfung der Corona-Pandemie hat die konservative Regierung von Boris Johnson wieder Aufwind, weil das Covid-Impfprogramm glänzend funktioniert.

Die Opposition sucht also nach Angriffspunkten gegen die Regierungspartei. Der Vorwurf, die Torys würden zu wenig für Frauen tun, könnte Resonanz finden.

Politische Brisanz erhält das Vorgehen der Polizei zusätzlich wegen der massiven Einwände gegen ein neues Polizeigesetz, das die Regierung in dieser Woche durchs Parlament bringen will. Die Vorlage räumt den Ordnungsbehörden zusätzliche Kompetenzen ein und erschwert friedfertigen Protest.

Die schrecklichen Szenen von Clapham Common hätten ihre Opposition gegen diesen Aspekt des Gesetzeswerks unterstrichen, teilt die Justizexpertin Joanna Cherry von der schottischen Nationalpartei SNP mit. Bündiger drückt es der Labour-Lord Andrew Adonis aus: „Polizei und Innenministerium haben bereits genug Kompetenzen. Eine Demokratie, die ihre Bürger an friedlichem Protest hindert, ist keine Demokratie.“

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