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No Entry, no Exit. Weder für den Verbleib in der EU noch für einen Weg hinaus gibt es derzeit eine Mehrheit.

© Rui Vieira/AP/dpa

Vor dem EU-Gipfel: Brexit-Verhandler geben auf

Theresa May verweigert unter dem Druck des rechten Parteiflügels die Zustimmung zur Zollunion. Der Zeitplan der EU ist nicht mehr zu halten.

Die Tragödie nimmt ihren Lauf. Ein ungeordneter Brexit ist noch ein Stück wahrscheinlicher geworden. Die jüngste Verhandlungsrunde zwischen dem EU-Beauftragten Michel Barnier und seinem britischen Kollegen Dominic Raab am Sonntag erbrachte nicht den erhofften Fortschritt. Bis zum EU-Gipfel am Mittwochabend sollten sie einen Entwurf mit den zentralen Details des Ausscheidens Großbritanniens aus der Europäischen Union vorlegen, damit die Staats- und Regierungschefs den Vorschlag diskutieren und Vorentscheidungen zu strittigen Punkten treffen können.

Sherpas lehnen weiteres Treffen vor dem Gipfel ab

Die politischen Vorgaben aus London und Brüssel liegen jedoch zu weit auseinander. Deshalb entschieden die "Sherpas", die Leiter der Delegationen, dass sie sich vor Mittwochabend nicht erneut treffen wollen, um nach möglichen Lösungen zu suchen. Der Zeitplan der EU für einen geregelten Brexit lässt sich nun nicht mehr einhalten.

In Brüssel gibt man der britischen Regierungschefin Theresa May die Schuld für das Scheitern. Barnier und Raab hätten „auf der technischen Ebene“ eine weitgehende Übereinkunft erzielt, berichtete das Magazin „Politico“. May habe sich jedoch am Sonntag geweigert, diese inoffizielle Übereinkunft abzusegnen. Sie hatte zum Ziel, dass Großbritannien für die vorhersehbare Zukunft Teil einer Zollunion bleiben kann. Das britische Kabinett sollte am gestrigen Montag zustimmen.

Nach Drohung mit Revolte gibt May nach

Diese Lösung wollen die Anhänger eines „harten“ Brexit in der konservativen Partei jedoch nicht akzeptieren. Der von May gefeuerte frühere Brexit-Verhandler David Davis forderte das Kabinett in der „Sunday Times“ zur „Revolte“ auf, falls May sich für die Zollunion entscheide. Denn damit gebe sie den „größten Vorteil“ des Brexit auf: dass Großbritannien künftig eine eigene Handelspolitik ohne die EU führen kann. May gab nach.

Mit dem Scheitern wird ein harter Brexit wieder wahrscheinlicher. Der kann dramatische Folgen für den Friedensprozess in Irland haben. Genau das wollten Barnier und Raab mit ihren Vorschlägen zur Zollunion vermeiden. Falls Großbritannien nicht in einer Zollunion mit der EU bleibt, muss es eine klare Zollgrenze zwischen dem EU-Binnenmarkt und dem Vereinigten Königreich geben.

Sorge um den irischen Friedensprozess

Wenn diese Zollgrenze zwischen dem EU-Mitglied Irland und Nordirland verläuft, das Teil des Vereinigten Königreichs ist, gefährdet das den Friedenprozess zwischen Katholiken und Protestanten; Irland würde durch eine neue Grenze geteilt. Würde die Zollgrenze hingegen mitten durch die Irische See zwischen der aus England, Schottland und Wales bestehenden Hauptinsel und der Provinz Nordirland auf dem gegenüberliegenden Ufer gezogen, würden die englandtreuen Unionisten zum Problem. Sie befürchten, dass dies langfristig eine Loslösung von London bedeutet. Ihre Partei DUP stützt die Regierung May im Parlament in London; ohne die DUP-Abgeordneten verliert May die Mehrheit.

Die Tories haben diese vorhersehbaren Konflikte in ihrem Brexit-Wahlkampf verschwiegen. Mit jeder Ausgestaltung des Brexit sind gewisse Nachteile verbunden: mit der Zollunion der Verzicht auf eine souveräne Handelspolitik; mit dem harten Brexit eine Gefährdung der irischen Versöhnung. Die Konservativen sind gespalten in ihren Meinungen, welchen Weg mit seinen unvermeidlichen Nachteilen sie einschlagen wollen. Die Verhandler brauchen jedoch eine Richtungsvorgabe, um technische Vorschläge zu machen, wie die jeweilige Variante funktionieren kann.

Nicht der Brexit ist das eigentliche Problem, sondern die Art und Weise wie er von den Beteiligten angegangen wird.

schreibt NutzerIn Mostrichmeister

Die Woche kann mit Mays Machtverlust enden

„Jetzt muss die hohe Politik eingreifen“, heißt es in Brüssel. Am Mittwoch trifft Theresa May auf ihre 27 EU-Kollegen. Die werden sie auffordern, sich zu entscheiden. Was will sie: Zollunion oder harten Brexit oder etwas Drittes? Nicht nur Großbritannien, auch die EU muss Vorbereitungen treffen – für ein Abkommen oder für einen Brexit ohne Abkommen mit all dem absehbaren Chaos. Es hat jedoch einen Grund, warum May die gewünschte Klarheit vermieden hat. Sobald sie sich zu einer Richtung bekennt, ist ihre Regierung am Ende. Für keine Variante gibt es eine Mehrheit.

So steht May vor einer Woche, die mit ihrem Machtverlust enden kann – es sei denn, die EU-Kollegen gewähren ihr einen weiteren Aufschub ohne eindeutige Richtungsweisung. Doch das können sie nicht mehr, ohne Schaden für ihre eigenen Länder und die EU heraufzubeschwören. Ende März ist der Stichtag für den Brexit. Die Entscheidungen müssen jetzt im Oktober fallen und ein Abkommen vorgelegt werden, damit es beim November-Gipfel der EU verabschiedet werden kann und damit Zeit bleibt, die praktische Umsetzung vorzubereiten.

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