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Isaac Julien in seiner Ausstellung „Playtime“ mit Fotoarbeiten aus der gleichnamigen Videoinstallation.

© Hannes Wiedemann für den Tagesspiegel

Porträt des britischen Filmemachers Isaac Julien: Wie Kapital zu Kunst wird und umgekehrt

Der Star des Black British Cinema stellt im PalaisPopulaire aus. Erstmals zeigt er in Deutschland seine Videonstallation „Playtime“ über die Auswirkungen des Kapitalismus.

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„It’s a game,“ ruft James Franco in der Rolle des Kunsthändlers unglaublich frech und selbstbewusst in die Kamera. Fast möchte man wütend werden über so viel Zynismus. Lachend zeigt der Schauspieler bei seinem Spaziergang durch die Londoner Victoria Miro Galerie, in der sein Auftritt stattfindet, auf Bilder von Peter Doig, Glenn Ligon und Elaine Reichek an der Wand und spekuliert sardonisch lächelnd, welches Werk wohl als nächstes preislich durch die Decke geht.

Es ist ein Film, muss man sich zur Beruhigung sagen, genauer: eine Videoinstallation. Aber was für eine. „Playtime“ lautet der Titel von Isaac Juliens Reflektion über die Natur des Kapitals in fünf Kapiteln – vornehmlich am Beispiel von Protagonisten des Kunstbetriebs. Das Nachdenken begann für ihn beim eigenen Business.

Vor genau zehn Jahren entstand das Werk, inspiriert von den Auswirkungen der Finanzkrise 2008. Erstmals ist es jetzt in Deutschland zu sehen im Palais Populaire Unter den Linden, kein bisschen alt, sondern immer noch auf den Punkt. Die Regeln des Marktes haben sich seitdem nicht sonderlich verändert, eher hat die kapitalistische Dynamik zugelegt durch das Aufkommen der NFTs. Noch nicht einmal ein Werk ist mehr nötig, ein Code reicht für die Transaktion. Die aktuellen Bankencrashs erinnern daran, dass die Gefahr einer nächsten Krise immer besteht.

Installationsansicht von Isaac Juliens Videoinstallation „Playtime“ im PalaisPopulaire.

© Mathias Schormann

Und auch Isaac Julien ist wieder da, rechtzeitig zur Berliner Eröffnung eingeflogen aus den USA, wo er an der University of California in Santa Cruz lehrt. Ein finnischer Techniker hat wie bei all seinen Installationen Bild, Sound, Platzierung perfekt eingerichtet. Der 63-jährige Londoner strahlt über das ganze Gesicht.

Vermutlich macht er innerlich einen Haken: Auch das wäre geschafft, nachdem sein Auftritt Anfang Februar auf der Sharjah-Biennale in den Vereinigten Arabischen Emiraten mit „Once Again… (Statues Never Die)“ und parallel im Philadelphia Museum of Art mit einer Hommage an die brasilianische Architektin Lina Bo Bardi glatt über die Bühne ging. Wäre da nur noch ab April die Retrospektive in der Tate Modern in London, die dann ins K21 nach Düsseldorf und ins Bonnefantenmuseum nach Maastricht weiterzieht.

Tragische Figur. Der Künstler in Isaac Juliens Video „Playtime“.

© Isaac Julien, Courtesy: Wemhöner Collection

2023 ist Isaac Juliens Jahr. Bereits 2022 lief es grandios für ihn mit der Verleihung des Goslarer Kaiserrings als wichtigstem Vertreter des Black British Cinema. Im gleichen Jahr wurde er durch die Queen zum Ritter geschlagen. Mit „Sir“ spricht ihn deshalb PalaisPopulaire-Leiterin Svenja Gräfin von Reichenbach an.

Der Künstler lässt es sich gerne gefallen, trägt er doch auch den Kaiserring zur obligaten schwarzen Kleidung. Umstandslos zieht er ihn sich vom Finger, um das in den Aquamarin eingravierte Bildnis Heinrichs IV. besser zeigen zu können, und lässt sich umgekehrt den Ring des Gegenübers geben. Ein nahbarer Star, zu dessen besonderen Eigenschaften die Liebenswürdigkeit gehört, wie alle, die ihn kennen, bestätigen.

Ebenso hat er seine großen Themen Rassismus und Klassismus nie aus den Augen verloren. In Goslar zeigte er im vergangenen Winter anlässlich der Verleihung des Kaiserrings „Looking for Langston“ von 1989, mit dem seine internationale Karriere begann. Für die hochpoetische Auseinandersetzung mit Langston Hughes, der Harlem Renaissance und schwulem schwarzen Begehren in den 1920er Jahren in New York erhielt er im gleichen Jahr auf der Berlinale den Teddy Award. Auch deshalb fühlt sich Berlin für ihn wie ein Heimspiel an. Eine Affinität zu Deutschland besteht ohnehin, lehrte er doch zwischen 2009 und 2015 an der Karlsruher Hochschule für Gestaltung

Als Gegenstück zu „Looking for Langston“ präsentierte Julien in Goslar die zwanzig Jahre später entstandenen „Lessons of the Hour“, eine Hommage an den Afroamerikaner und berühmten Abolitionisten Frederick Douglass. Beide Filme arbeiten collagenhaft mit Sound und Bildern, die in einen Fluss aus visuellen Eindrücken hineinziehen, auch wenn sich dem unvorbereiteten Betrachter vieles nicht sogleich erschließt.

Die vollendete Komposition aus Dokumentarischem und gespielten Szenen, die im kleinen Goslarer Museum Mönchehaus nur auf einem einzelnen Screen zu sehen war, aber ansonsten auf mehreren Projektionsflächen gezeigt wird, verrät den Ästheten, der immer auch eine politische Agenda hat.

Wie passt dazu „Playtime“ – abgesehen von den fantastischen Montagen, dem perlenden Ineinandergreifen von Farben und Strukturen? Den Filmemacher interessiert genauso das Thema Migration und was die Menschen dazu bringt, ihre Heimat zu verlassen. Krieg, Klima, Kapital sind die treibenden Kräfte. Julien reizte es diesmal, das Kapital darzustellen, das wie die Schwerkraft erst in seinen Auswirkungen sichtbar wird.

Das Ergebnis ist ein komplexer Essayfilm mit fünf Protagonisten, von denen der verzweifelte Künstler in seinem vollkommen entleerten Traumhaus am Rande Reykjavíks besonders erbarmungswürdig erscheint. Der Zusammenbruch des Finanzsystems 2008 hatte in Island die gravierendsten Auswirkungen, das Land stand vor dem Staatsbankrott. Das Bild des gescheiterten Künstlers vor einem kreisrunden gelben Fenster wird zum Sinnbild des Absturzes. Wie Ikarus hat er sich der Sonne zu nahe gewagt. Die für Island typischen Dämpfe über Wasser und Land symbolisieren die Vaporisierung der Geldmittel.

Nach seinem eigenen Verhältnis zum Kapital gefragt, lacht der Filmemacher und sagt ohne zu zögern, dass es anders als bei einem Schriftsteller, der nur wenige Produktionsmittel benötigt, bei ihm eine große Rolle spiele. Schließlich muss er alle bezahlen, die am Set für ihn arbeiten. Umso mehr war es für ihn ein Glück, vor 13 Jahren dem Industriellen und Sammler Heiner Wemhöner, der in Herford und im chinesischen Changzhou Fabriken besitzt, in seiner Galerie in Shanghai begegnet zu sein.

Wemhöner kaufte dort damals die Arbeit „Ten Thousand Waves“ und unterstützt ihn seitdem. Aus seiner Sammlung stammt auch „Playtime“. Dass die Installation nun ausgerechnet im Ausstellungshaus eines Geldinstituts gezeigt wird, gefällt Julien umso mehr. Wemhöners eigener Showroom, ein pittoresk heruntergekommener Neuköllner Ballsaal, braucht noch zwei Jahre bis zur Eröffnung. Corona und ausstehende behördliche Genehmigungen zögerten den Umbau immer weiter hinaus.

Natürlich wird Julien darin seinen festen Platz erhalten, ebenso wie er in den großen internationalen Museen vertreten ist. Der Brite hat es geschafft. Von der Gründung der Sankofa Film and Video Collective vor 43 Jahren noch während seines Studiums an der St. Martin’s School of Art In London, um Schwarzen Künstler:innen zu unterstützen, bis hierher war es ein weiter Weg. „Es hat lange gedauert bis zur Anerkennung“, sagt Julien heute. Seitdem hat sich viel getan. Der Goldene Löwe für Sonia Boyce auf der Biennale in Venedig gilt ihm als Meilenstein.

Wie es weitergeht, das nächste Projekt? „Manchmal will ich es gar nicht wissen“, antwortet Isaac ausweichend. „Das kann auch gefährlich sein. Es muss sich entwickeln.“ So viel verrät der Filmemacher denn doch, dass ihn gerade Skulpturen beschäftigen. Und so wie er über den Brexit schimpft, den er eine imperial implosion nennt, könnte es auch damit zu tun haben. Stoff genug.

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