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Stellungnahme. Das Interesse der Landesregierung war äußerst begrenzt: Mehrere bei der feierlichen Übergabe des Berichts der Enquete-Kommission für Regierungsvertreter reservierte Stühle blieben frei (siehe Foto), nur einer war besetzt.

© Ralf Hirschberger/dpa

Brandenburg: Abschied von der kleinen DDR

Zum Abschluss der Enquete-Kommission kommt wieder der „Brandenburger Weg“ ins Spiel

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Potsdam - Plötzlich war er wieder da – der „Brandenburger Weg“. Als hätte es vier Jahre Enquete-Kommission zur Aufarbeitung der Nachwendejahre und den Folgen der SED-Diktatur in Brandenburg nie gegeben. Als wären Versäumnisse bei Stasi-Überprüfungen und Ignoranz gegenüber Opfern der SED-Diktatur nie festgestellt worden.

Bei der feierlichen Übergabe des Abschlussberichtes der Kommission am gestrigen Freitag an Landtagspräsident Gunter Fritsch (SPD) lobte dieser, die Enquete-Kommission habe den „Brandenburger Weg“ nach 1990 bestätigt, der auf Konsens über Parteigrenzen hinweg statt auf Konflikt gesetzt hat. Ausgerechnet Fritsch, der sich noch im Juli 2013 bei der Vorstellung eines polemischen Buches über die Enquete-Kommission zur DDR-Aufarbeitung, in dem dem Gremium „Gesinnungsschnüffelei“ vorgeworfen wird, abfällig über das Gremium und die Motivation der Opposition zu dessen Einsetzung 2010 geäußert hatte – und der damit nach Einschätzung des Parlamentarischen Beratungsdienstes seine Neutralitätspflicht verletzt hat.

Da fiel es am Freitag kaum mehr ins Gewicht, dass auch der Linken-Politiker Peer Jürgens sagte, die große Einigkeit der Kommission beim Beschluss des Abschlussberichtes zeige, dass man „auf den Brandenburger Weg zurückgekommen“ sei.

Dabei war es doch gerade jener „Brandenburger Weg“ unter Ex-Ministerpräsident Manfred Stolpe, der Brandenburg den Ruf als „Kleine DDR“ und den Vorwurf eingebracht hat, Auseinandersetztungen mit der Vergangenheit zu behindern. Und der am Ende im Jahr 2009, nach Bildung der ersten rot-roten Koalition in Brandenburg, auf Druck von CDU, FDP und Grünen zur Einsetzung der Enquete-Kommission geführt hat.

Die Bilanz der Arbeit der Enquete-Kommission fällt denn auch unterschiedlich aus, obwohl der Abschlussbericht mit mehr als 400 Seiten und 80 Handlungsempfehlungen einvernehmlich bei einer Gegenstimme und einem Minderheitenvotum beschlossen worden war und Anfang April vom Landtag verabschiedet wird.

„Die Tür ist offen. Die Karten liegen endlich auf dem Tisch. Das ist ein Abschied vom Leitbild der Kleinen DDR“, sagte die FDP-Abgeordnete Linda Teuteberg. Das Land gehe heute anders mit der DDR-Geschichte um, das Klima habe sich verändert. Die öffentliche Anhörung von Zeitzeugen habe die Diskussion über das Leiden der Opfer der SED-Diktatur im Land verändert. Teuteberg bemängelte zugleich, dass die Rolle des früheren Ministerpräsidenten Manfred Stolpe (SPD) nicht stärker thematisiert wurde.

Die CDU-Abgeordnete Beate Blechinger sagte, die Kommission sei ein „ehrgeiziges Projekt“ gewesen, das trotz anfänglicher Skepsis „zu einem erstaunlichen Ergebnis gefunden“ habe. „Erstmals stand die Sichtweise der Opfer im Mittelpunkt, vorher standen die Täter im Fokus.“

Nach einem schwierigen Start mit allerlei Konflikten um die Bewertung der Vergangenheit und Blockaden durch die SPD habe die Kommission eine gute Landung hingelegt, sagte Vogel. Das Ende der Kommission sei kein Abschluss der Aufarbeitung, erklärte Grünen-Fraktionschef Axel Vogel. Das demokratische Bewusstsein im Land müsse weiter gestärkt werden, hier seien Mängel festgestellt worden. Brandenburg sei jedoch mit der Auseinandersetzung mit der Zeit nach 1989 „Avantgarde“ der Bundesländer, sagte Vogel. Auch er wertete die Arbeit der Kommission als Absage an den „Brandenburger Weg“. Hier habe ein Umdenken eingesetzt.

Einig waren sich die Vertreter von Opposition und rot-roter Regierungskoalition, dass es in Brandenburg zwei schwere Versäumnisse gegeben habe: die Aussetzung der Stasi-Überprüfung der Landtagsabgeordneten bis zum Jahr 2009 unddie späte Einsetzung der Stasi-Beauftragten Ulrike Poppe im Jahr 2010. „Dies war einzigartige Praxis in Ostdeutschland“, räumte die Ausschussvorsitzende Susanne Melior (SPD) ein. Teuteberg beklagte einige „weichgespülte Formulierungen“ in dem Abschlussvericht. Zwar hatten Gutachter einen Zustand der Anarchie bei den Stasi-Überprüfungen in den 1990er-Jahren festgestellt, doch im Abschlussbericht ist nicht von „Versäumnissen“, sondern nur von „Lücken“ die Rede. Vogel sagte: „Der Geist Stolpes war immer präsent.“ Selbst der Linke-Abgeordnete Peer Jürgens sagte, er hätte sich bei Stasi-Überprüfungen in den Nachwendejahren mehr Mut gewünscht.

Jürgens sagte, er hoffe, dass sich der Landtag die Handlungsempfehlungen „zu Herzen nimmt“. Im Vordergrund müssten vor allem die Behebung von Fehlern bei der Umwandlung von LPG-Agrarbetrieben der DDR, Fortbildungen für Lehrer, aber auch ein besserer Zugang von Menschen mit ostdeutschen Lebensläufen zu Spitzenpositionen in der Landesverwaltung stehen.

Nach den Empfehlungen der Kommission sollen weiterhin alle Landtagsabgeordneten und letztmalig auch leitende Landesbeamte und Juristen auf frühere Stasi-Tätigkeiten überprüft werden. Ehemals politisch Verfolgte sollen durch Vereinfachungen bei Rehabilitationsverfahren und einen Härtefallfonds unterstützt werden. Empfohlen wird auch, SED und Blockparteien der DDR bei der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit stärker in den Blick zu nehmen. Zudem sollen die Themen SED-Diktatur und demokratischer Rechtsstaat verstärkt im Schulunterricht behandelt und den Schülern der Zugang zu Gedenkstätten erleichtert werden.

Dass es sich nur um Handlungsempfehlungen handelt, bleibt abzuwarten, ob die künftige Landesregierung diese auch umsetzten wird. Darauf will die Aufklärungsbeauftrage Ulrike Poppe nun besonders achtgeben, wie sie sagte.

Allerdings war das Interesse der Landesregierung am Freitag äußerst begrenzt. Mehrere bei der feierlichen Übergabe des Berichts für Regierungsvertreter reservierte Stühle blieben frei (siehe Foto), nur einer war besetzt.

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