Von Claus-Dieter Steyer und Alexander Fröhlich: Alarm in der Prignitz
Die Elbe erreicht Höchststände, die Dämme halten / Nebenflüsse treten über die Ufer
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Lenzen – Die Elbe in der Prignitz hat am Freitag zwar den Stand für die höchste Hochwasseralarmstufe erreicht, doch Katastrophenalarm wird nicht ausgerufen. „Wir beherrschen die schwierige Situation mit eigenen Kräften“, sagte Landrat Horst Lange beim Blick auf die Landkarte mit dem 75 Kilometer langen Elbabschnitt zwischen Havelberg und Lenzen. „Anders als beim Hochwasser 2002 brauchen wir also keine Bundeswehr.“ Feuerwehr, Technisches Hilfswerk und die vielen freiwilligen Helfer beim Sandsackfüllen reichten aus. Die Deiche seien schließlich in den vergangenen acht Jahren fast komplett erneuert worden. Rund 75 Millionen Euro haben die Dämme entlang dem Fluss gekostet, der jetzt wie ein riesiger See wirkt. „Da kommt nach menschlichem Ermessen kein Wasser durch“, meinte der Landrat. „Und drüber dürfte auch kein Tropfen schwappen.“
Schmelzwasser und außergewöhnliche Niederschlagsmengen haben Flüsse und Bäche in diesem Winter stark ansteigen lassen. Seit dem Frühjahr 2010 gab es in Brandenburg insgesamt schon fünf Hochwasserlagen an Oder, Schwarzer Elster, Havel, Spree und jetzt auch an der Elbe. Der Hochwasserscheitel, der am gestrigen Freitag den Raum Tangermünde im Norden Sachsen-Anhalts passierte, wird den Experten zufolge bis Samstag Wittenberge erreichen. Ab Montag werden dann leicht sinkende Wasserstände erwartet.
Gestern lag der Hochwasserscheitel in Wittenberge bei 7,30 Metern – das nur vier Zentimeter weniger als bei der Jahrhundertflut vom August 2002. Damals bewahrten nur Tausende Sandsäcke und der Einsatz von Amphibienfahrzeugen der Bundeswehr den Landstrich vor einer großflächigen Überflutung. Heute ist dagegen bis zur Deichoberkante noch genügend Platz. „Das Geld der Steuerzahler ist hier wirklich gut eingesetzt worden“, sagte der Chef des Landesumweltamtes Matthias Freude. 90 Prozent der Deiche sind saniert. „Nur wenige Kilometer Deich haben wir noch nicht erneuert, und prompt rutschten hier größere Erdmassen ab“, sagte Freude. Mit Kiesladungen und Sandsackbarrieren wurden die Löcher geschlossen. Auch der „Böse Ort“, wo die Elbe bis zum vergangenen Jahr eine 90-Grad-Biegung machen musste, sei dank der Rückverlegung der Deiche heute ganz friedlich.
Auch hier in der Prignitz zeigt sich, dass weite Teile Brandenburgs kein Wasser mehr aufnehmen können, die Böden sind komplett durchnässt. Die Nebenflüsse der Elbe wie Havel und Mulde stauen sich auf und treten über die Ufer, weil sie nicht in den großen Strom abfließen können. „Die sonst kaum bekannte Löcknitz staut sich inzwischen rund 20 Kilometer von der Elbe-Mündung zurück ins Landesinnere“, erklärte der Prignitzer Einsatzleiter Bode Schwiegk die Lage. „Sie wird ihr Wasser einfach nicht los, weil die Elbe viel zu stark angeschwollen ist.“
Um Gehöfte und Stallungen entlang der Löcknitz zu schützen, werden seit Freitag zwei Sommerpolder bei Lenzen an der Grenze zu Mecklenburg geflutet. Das ist überhaupt das erste Mal der Fall. Diese insgesamt 2300 Hektar große Niederungen waren zwar schon zu DDR-Zeiten im Jahr 1973 als Hochwasserschutz angelegt, aber bislang noch nie gebraucht worden. Umweltministerin Anita Tack (Linke) öffnete die Einlassbauwerke. Hier zeige sich, wie Überschwemmungsräume den Druck auf die Deiche mildern können, sagte sie. Durch zwei Öffnungen schießen jetzt bis zu sieben Kubikmeter Wasser auf Felder und Wiesen. Normalerweise fließt die Löcknitz maximal mit einem Kubikmeter pro Sekunde von den Ruhner Bergen in Mecklenburg durch die Prignitz zur Elbe.
So ganz trauen die Anrainer aber dem augenblicklichen Frieden in der Prignitz nicht. In der Stadt Wittenberge rief Bürgermeister Oliver Hermann die Einwohner auf, weiterhin beim Füllen der Sandsäcke zu helfen. Erst bei einer Reserve von 25 000 Säcken sei ein Katastrophenfall einigermaßen beherrschbar, sagt er. Am Abend fehlten nur noch einige hundert Stück.
Durch den Rückstau von der Elbe klettern auch die Wasserstände auf der unteren Havel. Ab dem Pegel Grütz unterhalb von Rathenow bis zur Mündung in die Elbe erwarten die Hydrologen weiter steigende Pegel. Auch ein Nebenfluss der Havel, der Rhin, mache „große Probleme“, sagte Freude. Der Rhin überströme an einer Stelle den Deich und fließe in einen Flutungspolder. An der Stepenitz, einem weiteren Elbe-Nebenfluss, musste in der Nacht zu Freitag laut Umweltamtspräsident Freude eine Straße mit 10 000 Sandsäcken gesichert werden.
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