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Brandenburg: Alte Bunker und Bücher

Regierungschef Platzeck besuchte erstmals die frühere Militärstadt Wünsdorf, mit der es aufwärts geht

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Wünsdorf - Es ist eines der Millionengräber der Stolpe-Ära. Kein Wunder, dass Matthias Platzeck diesen Ort seit seiner Wahl zum Ministerpräsidenten vor vier Jahren gemieden hat. Gestern besuchte er erstmals die „Waldstadt Wünsdorf“, wo bis 1994 das Oberkommando erst der sowjetischen und dann der russischen Streitkräfte in Deutschland seinen Sitz hatte. Sein Vorgänger Manfred Stolpe wollte auf dem 55 Hektar großen Kasernen- und Wald-Areal einst 10 000 bis 12 000 Bundesbeamte ansiedeln. Wünsdorf sollte die schönste und größte Beamtenstadt Deutschlands werden. Der Plan scheiterte kläglich, wie auch andere Konzepte, aus Wünsdorf ein Modell zu machen. Etwa 250 Millionen Euro hatte die Landesregierung in dieses größte Konversionsprojekt Deutschlands nach Schätzungen gepumpt, ehe 2001/2002 der Geldhahn im Sog der Pleite der Landesentwicklungsgesellschaft (LEG) zugedreht wurde. Es habe „Höhen und Tiefen gegeben“, umschreibt Platzeck bei seinem Besuch diplomatisch das unschöne Kapitel.

Inzwischen geht es in Wünsdorf aufwärts, wenn auch sehr langsam. Zwar leben statt der einst prognostizierten 10 000 gerade mal 2500 Menschen in den sanierten Kasernen, zwar arbeiten nur knapp 1000 Landesbedienstete in umgesiedelten Behörden. Aber die Bücher- und Bunkerstadt zieht zunehmend mehr Besucher an, so der Geschäftsführer der Trägergesellschaft, Werner Borchert, für den Jammern ein Fremdwort ist. Etwa 23 000 zahlende Gäste besuchen jährlich die 1937 bis 1939 von der Wehrmacht erbauten Bunker, tausende Buchliebhaber stöbern oft Stunden in den Antiquariaten, die zum Teil in den einstigen kaiserlichen Pferdeställen untergebracht sind. Wünsdorf ist altes Militärgelände. „Das Konzept alte Bücher und Bunker funktioniert“, sagt Borchert.

Was Platzeck wohl am meisten überraschte: Die 1998 gegründete und von der Landesentwicklungsgesellschaft subventionierte Bücherstadt finanziert sich heute selbst. Angesichts leerer Landeskassen erwarte er auch keine Zuschüsse, sagt Borchert, der Platzeck nur um „Flankenschutz“ für zwei neue Projekte bittet: Ein russisches Militär-Museum und ein „Lese-Hotel für junge Leute“ sollen bis 2010 mit privaten Investitionen entstehen. „Wir wollen noch mehr junge Leute nach Wünsdorf holen – gewissermaßen zum außerschulischen Lernen“, erläutert Borchert. Bei Bildungsminister Holger Rupprecht hat er offene Ohren gefunden. „Mit moralischer Unterstützung der Landesregierung können wir etwas von dem retten, was hier in den Sand gesetzt wurde“, sagt Borchert, der Wünsdorf „zu einer Stätte der Mahnung und Erinnerung“ machen möchte.

Auch der Landrat des Erfolgskreises Teltow-Fläming, Peer Gieseke, sieht die Bücher- und Bunkerstadt nicht mehr als „Sorgenkind“, auch wenn, wie er betont, noch einiges zu tun bleibt. Es gibt noch viele unsanierte Gebäude, die zunehmend verfallen. Und trotz der einmaligen Waldlage stehen sanierte Wohnungen und Gewerberäume leer. Der Waldstadt fehlt auch ein Zentrum. „Jeder Ort braucht eine Mitte“, sagt Platzeck, der es aber vermeidet, irgendwelche Hoffnungen zu wecken. „Wünsdorf stehen alle Möglichkeiten offen, die andere auch haben, aber keine besonderen“, betont er. Die Zeit der politischen Prestigeprojekte ist endgültig vorbei.

Immerhin gibt es schon den „Zapfhahn“, ein helles und freundliches Restaurant an zentraler Stelle und mit guter Küche, das ein bayerischer Wirt in Lederhosen betreibt. Ausgerechnet in der einstigen Militärstadt Wünsdorf, die viele bereits abgeschrieben hatten. Und oberhalb der Gasträume hat der Landkreis unterm Dach eine Galerie eingerichtet. Sie ist von Zossen nach Wünsdorf umgezogen – „wegen der Synergieffekte“, so der Landrat. Die Besucherzahl habe sich verzehnfacht.

Landrat Giesecke wünscht sich eine „breitere Sozialstruktur“ in der neuen Waldstadt – die Wohnungen sind fast alle im sozialen Wohnungsbau entstanden. Es sind nicht gerade die gut Betuchten, die dort wohnen – unter ihnen viele Russlanddeutsche, Arbeitslose, die zunehmend auch aus Berlin kommen. Die Landesbediensteten, die in Wünsdorf arbeiten, haben sich dort kaum angesiedelt. Um so wichtiger ist Giesecke, dass im Zuge der Sparpolitik des Kabinetts keine Behörden abgezogen werden.

Froh ist der Landrat, dass die Neo-Nazis die alten Wehrmachts-Bunker nicht als Wallfahrtsort auserkoren haben: Das liege wohl daran, dass hier viele Männer des 20. Juli Dienst taten, vermutet er, darunter auch Graf von Stauffenberg. Eine kleine Ausstellung würdigt auch diese Seite der Geschichte Wünsdorfs.

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