Brandenburg: An seiner Grenze
Was hat er nur? Die Frage stellte man sich in Brandenburg des Öfteren in letzter Zeit, wenn es um Matthias Platzeck und dessen Gesundheit ging. Jetzt gibt es zumindest eine Antwort: Schlaganfall. Ein leichter, wie der Regierungs- und SPD-Chef sagt. Doch das wirft nur noch mehr Fragen auf. Unter anderem die nach seiner Leistungsfähigkeit und Zukunft. Und die, ob sich da einer übernimmt – und zu welchem Preis.
Stand:
Ist er selbst seine stärkste Opposition? Schafft der Organismus Matthias Platzeck, was CDU, FDP und Grüne – und früher die nun mitregierende Linke - beim Politiker Matthias Platzeck in 23 Jahren nicht gelungen ist: ihn aus dem Amt zu drängen? Erst als Umweltminister und seit elf Jahren als Regierungschef. Keine zu großen Klärwerke, für die er brandenburgweit als Umweltminister verantwortlich war, keine Stasi-Debatte um seinen Koalitionspartner, keine Polizeireform, keine Minister – darunter Freunde –, die ihre Ämter niederlegen müssen, keine Klüngeldebatten haben ihm dauerhaft etwas anhaben können. Nur der eigene Körper. Der bremst ihn aus. Schon wieder. Offenbar. Matthias Platzeck ist zum zweiten Mal in seinem politischen Leben aus gesundheitlichen Gründen gezwungen, sich mit seiner politischen Laufbahn zu befassen. Ernsthaft. 2006 war es der SPD-Bundesvorsitz, den er aufgeben musste – Hörstürze, danach Zusammenbruch. Und nun? Nun, nach dem Schlaganfall in der vorigen Woche, von dem er erst unwahr verbreiten ließ, er sei keiner, und den er nun einen kleinen zu nennen versucht, den er mit einem englischen Tarnnamen versehen hat – „minor stroke“. Das klingt nicht so schlimm, da ist das Wörtchen geringfügig drin.
Als könnte für seine Regierung, für seine Partei irgendetwas geringfügig sein, was Matthias Platzeck aus der Bahn wirft: Platzeck ist die SPD, die SPD – das ist in Brandenburg Platzeck. Platzeck ist die Landesregierung. Hinter oder neben ihm: kein Genosse von seinem Format. Von Format? Ohnehin nur wenige bis kaum einer in Brandenburgs Parteienlandschaft. Vierte Reihe ist hier schnell die zweite. Dritte flugs die erste. Platzeck ist da eine Ausnahme, kann noch immer Säle gewinnen, den Leuten das Gefühl geben, sich nur für sie vorbereitet zu haben, nur für sie zu reden. Fast egal, worum es geht. Fast egal, ob er etwas zu sagen hat. Ganz allein. Meist mit Gefühl. Weniger mit Politik. Er kann Stimmungen kippen.
Seine allerdings auch. Immer wieder ist er dünnhäutig. Meldet sich krank – mit unterschiedlichen Begründungen. Nun war es wieder einmal zu viel. Viel zu viel. So stellt sich nun, da er im Wortsinn angeschlagen ist, die Frage, ob Matthias Platzeck noch die Kraft hat, Brandenburg und die Landespartei sowie die Flughafengesellschaft Berlin-Brandenburg weiterzuführen. Und erstmals gilt: Es gilt als unwahrscheinlich.
Platzeck, so hieß es am Mittwoch in Potsdam, werde auf mittlere Sicht wohl wichtige Ämter abgeben müssen. Ob er auch als Regierungschef abtreten wird, blieb zunächst offen. Als möglicher Nachfolger wird auch in Berlin, in der Bundespartei, bereits der Chef der SPD-Bundestagsfraktion, Frank-Walter Steinmeier, gehandelt. Steinmeier ist mit Platzeck befreundet und hat seinen Wahlkreis in Brandenburg/Havel. Andere – gerade in Potsdam, aber auch in Berlin – bringen dagegen wieder Platzecks Innenminister Dietmar Woidke als Nachfolger ins Spiel. Steinmeier könnte immerhin nach der Bundestagswahl im Herbst Außenminister werden. Will Steinmeier da überhaupt? Woidke würde wollen. Kann er?
Platzeck ist bemüht, Stärke zu demonstrieren: Er will am Donnerstag wieder arbeiten gehen. Für zwei Tage. Dinge erledigen, die gemacht werden müssten, sagt er. Pflichtbewusst? Preußisch? Oder unvernünftig? Blind für die tatsächliche, die eigene Lage? Verantwortungsvoll der Partei gegenüber – verantwortungslos sich selbst und der Familie gegenüber? In der Woche danach beginnt das, was als Urlaub geplant war und was er auch noch so nennt. Oder doch eher die Rehabilitation?
Platzeck sprach ausdrücklich von einem leichten Schlaganfall. Mediziner halten dies angesichts der von Platzeck geschilderten Symptome und Folgeschäden für nicht glaubhaft. Platzeck selbst gibt an, beim Gehen noch unter „einem Linksdrall“ zu leiden. Auch müsse er auf Anraten seiner Ärzte Training des „Gleichgewichts und der Koordination“ betreiben – was für schwerere Folgen spricht. Sein Sehvermögen und das Laufen waren, berichtet er, durch den Schlaganfall eingeschränkt.
Platzeck war nach zwei Woche zusammengebrochen, in denen er versucht hatte, in alter Manier den Deichgrafen zu geben, als der er beim Oderhochwasser 1997 bundesweit bekannt geworden war: Nun beim Elbe-Hochwasser war er auf vielen Deichen zu sehen, hatte für Bilder posiert und mit Helfern und Betroffenen gesprochen – Stippvisiten hier, Kurzauftritte dort. Trotz gesundheitlicher Probleme im Vorfeld hatte er weder seinem für den Katastrophenschutz zuständigen Innenminister Woidke noch seiner Umweltministerin Anita Tack (Linke) den Vortritt gelassen.
Nur ein halber freier Tag sei ihm geblieben, sagen Freunde. Nur einen halben freien Tag habe er seiner Familie gegönnt, sich privat gelassen, sagen andere, die durchaus sehen, dass er eine Wahl hätte beim Belegen seines Terminkalenders. Wenn er es denn wollte. Egal, wie: Am vorvorigen Sonntagabend saß er – der Ministerpräsident des unter den Hochwasserländern am wenigsten geschädigten – in der ARD bei Günter Jauch auf dem Talksessel. Beste Sendezeit. Bundesweit. Danach war Schluss. Der Köper streikte. Sendepause. Wieder: Bergmann-Klinikum, Potsdam. Station „Sanssouci“ – ein Stationsname, zu schön, um wahr zu sein.
Platzeck selbst benutzt für das, was ihn ereilte, den englischen Ausdruck „minor stroke“; „minor“ bedeutet aber in diesem Fall nicht „unbedeutend“ oder „geringfügig“. Er wird benutzt, um solche Ereignisse von Erkrankungen zu unterscheiden, die mit einem weitgehenden und schwerwiegenden Kontrollverlust einhergehen. Aber auch solche „minor“-Ereignisse führen zu einer abnormen Blutversorgung und damit zu einem Ausfall bestimmter Gehirnfunktionen. Dieser Ausfall wird entweder durch den Bruch von Blutgefäßen und damit durch übermäßige Durchblutung oder aber – in der Mehrzahl der Fälle – durch den Verschluss von Blutgefäßen und damit durch die fehlende Versorgung mit Sauerstoff verursacht. Ein Schlaganfall verlangt regelmäßig eine aufwendige und zeitintensive Rehabilitation. Einer von fünf Patienten mit Symptomen eines „minor stroke“ erleidet in der unmittelbaren Folgezeit einen schweren Schlafanfall mit tödlichem Risiko. Geringfügig?
Darüber, wie lange Platzeck, der der Landesregierung – mit Unterbrechung als Stadtoberhaupt in Potsdam – seit 1990 angehört, nach seinem Urlaub noch Regierungschef sein kann, gehen die Einschätzungen weit auseinander. Platzeck selbst sagte auf die Frage, ob er alle Ämter behalten wolle nur sybillinisch: „Ich will wieder hundertprozentig fit werden.“ Wer will das nicht? Was sagt das über seine Zukunft? In Brandenburg wird im nächsten Jahr ein neuer Landtag gewählt. Er ist die SPD-Spitze. Platzeck wolle noch bis dahin durchhalten, hieß es aus seiner Partei. Doch dort hieß es auch, dass man in den nächsten Tagen und Wochen alles auf den Prüfstand stellen müsse. Ein Regierungsmitglied sagt: „Er hat sich zu viel aufgeladen – die Partei ihm aber auch. Er muss sich entlasten, wir ihn aber erst recht.“ Platzecks Ziehvater, Ex-Ministerpräsident Manfred Stolpe, sagte, er sei sich sicher, dass sein Nachfolger wieder voll arbeitsfähig wird. Platzeck habe sich „in den zurückliegenden Monaten im Interesse des Landes unheimlich viel zugemutet“. Als Beispiele nannte Stolpe den Einsatz im Elbhochwasser und für den neuen Hauptstadtflughafen BER in Schönefeld. Brandenburgs SPD-Generalsekretär Klaus Ness sieht keinen Anlass für eine Personaldebatte: „Ich habe keine Zweifel, dass der Regierungschef seine Aufgaben in Zukunft wieder voll wahrnehmen wird.“ Er gehe davon aus, dass sein Landesparteivorsitzender wieder vollkommen gesund wird. Was auch immer das heißt nach einem Schlaganfall, von dem man sich erholen kann. Dessen Folgen man durch Training im Alltag umgehen, kaschieren kann. Auf den aber oft der nächste folgt.
Dabei ist Platzecks Problem durchaus das seiner Landespartei: Kein Nachwuchs ist neben ihm gewachsen, der seine Nachfolge antreten könnte. Als Einzigem aus dem Brandenburgischen wurde immer wieder Woidke die Platzeck-Nachfolge zugetraut. Von einer Frau mit Format ist weit und breit nichts zusehen. Platzeck hat sich und ist umgeben von Leuten, die ihn aus der zweiten Reihe beraten, die ihm, dem Aktenfaulen, ein Programm mitgeben, die ihn mit Themen versorgen, über die er reden kann. Politisch hat sich Platzeck stets nur mit Freunden oder Vertrauen umgeben, nicht aber nach Talenten gesucht, die gefördert werden könnten. Nach dem Absturz im Bund hat er sich eine eigene Wohlfühlzone gesucht – immer mehr der Osten statt Deutschland. Er, der einst Bürgerbewegte, wirkt immer mehr wie einer, der das MDR-Programm und Super-Illu zu schätzen weiß. Eingeigelt.
Mit Blick auf die Landtagswahl wächst nun aber auch in seinem Potsdam, das er so richtig nie verlassen hat, die Angst in der Partei, Platzeck könne als das in den Wahlkampf ziehen, was man im Politischen in den USA als „lame duck“ bezeichnet – lahme Ente: als Politiker, von dem klar ist, dass er nicht mehr lange im Amt ist. Ein politischer Vertrauter Platzecks: „Es wird bei allem immer auch um seine Gesundheit gehen – die Frage, ob er das noch kann, dieses noch schafft und jenes nicht zu viel sein könnte. Wir müssen jetzt genau überlegen, wie wir damit umgehen. Aber zuerst muss Matthias in Ruhe sehen, wie es ihm wirklich geht und wie belastbar er ist.“
Belastbar? Platzeck? Die Frage nach seinem eigenen Einsehen. 2006 – den SPD-Bundesvorsitz nach nur wenigen Monaten aus gesundheitlichen Gründen abgegeben: zwei Hörstürze, der Doppelstress als Bundeschef in Berlin und als Landesvater in Potsdam sowie private Angelegenheiten – er war dem wortwörtlich nicht gewachsen. Ein Nervenzusammenbruch. Es folgten häufige Krankmeldungen – meist begründete als Erkrankungen der Atemwege, Infekte und Grippen sowie andere Viruserkrankungen. Immer wieder war über Bluthochdruckerkrankungen und psychische Probleme spekuliert worden. Privatsache. Im Frühjahr hatte er eine seiner jährlichen Israelreisen abgesagt – wegen einer Viruserkrankung. Kurz darauf fiel er aus; angeblich weil er sich den Ischiasnerv eingeklemmt habe – was medizinisch nicht geht, sein Regierungssprecher aber trotzdem meldete. Zwei Tage nach dieser offiziellen Begründung für sein Fehlen im Flughafenaufsichtsrat erschien Platzeck auf dem Landesbauerntag – mit blau-grün-roten Hämatomen im ganzen Gesicht und einer mächtigen Platzwunde am Kopf. Er sei beim Joggen gestürzt, habe sich dabei derart lädiert und den Nerv eingeklemmt, sagte er diesmal.
Ein bundesweit angesehener Berliner Facharzt mit jahrzehntelanger Erfahrung – auch mit Politikern – hat Sorge. Er, der wegen der ärztlichen Standesregeln nicht namentlich genannt werden wollte, sagt, Platzecks Gesundheitszustand sei offensichtlich nicht gut: „Natürlich nehmen Schlaganfallerkrankungen bundesweit zu. Aber Herr Platzeck ist doch noch sehr jung mit 59 Jahren. Es ist ein klares Zeichen, dass seine gesundheitliche Grundkonstitution von Natur aus nicht die robusteste ist – das zeigen auch die Vorerkrankungen.“ Die nun von Platzeck selbst beschriebenen Symptome und Folgeerscheinungen sprächen dagegen, dass es sich um einen leichten Schlaganfall gehandelt hat: „Hier muss mindestens von einem mittelschweren ausgegangen werden. Ein leichter ist nach drei bis vier Tagen beschwerdefrei ausgeheilt. Das ist hier nicht der Fall.“
Ein gewöhnlichenrArbeitnehmer, so der Mediziner weiter, würde mindestens ein Vierteljahr ausfallen – mit Reha-Maßnahmen und anderen Behandlungen. „Unbedingt notwendig“, so der Facharzt weiter, „ist Prophylaxe, um eine Wiederkehr, einen neuen Schlaganfall zu verhindern.“ Die Wiederholungsgefahr sei sehr groß, wenn die Lebensumstände nicht geändert werden. So weitermachen? „Das ginge nur, wenn der Schlaganfall defektfrei ausgeheilt ist.“ Ist das nicht der Fall, wird ihm der Beruf noch mehr zusetzen – „dann kommt der nächste Schlaganfall – ganz bestimmt“. „Liegt ihm etwas an sich, dann bleibt ihm eigentlich nur der Rücktritt von den stressigsten Ämtern, dem als Regierungschef und dem als Aufsichtsratschef der Flughafengesellschaft. Dann kann er – wie Willy Brandt oder Helmuth Schmidt, die beide gesundheitlich schwer angeschlagen waren zum Ende ihrer Amtszeiten als Bundeskanzler – weiter im politischen Raum aktiv bleiben: Er kann in Brandenburg Parteichef bleiben, kann andere Ämter behalten.“ Platzeck müsse einfach erkennen, dass für ihn das gesundheitliche Risiko höher ist als für andere: „Er hatte jetzt großes Glück – noch einmal.“ Patienten wie Platzeck müssten dauerhaft von Risikofaktoren entlastet werden: „Stress und alle Umstände, die etwa Schlafmangel herbeiführen, müssen reduziert werden.“ Seine Diagnose: „Das, das muss man ganz deutlich sagen, ist aber als Ministerpräsident nicht möglich: Sie können das Amt des Ministerpräsidenten nicht zum Acht-Stunden-Job mit Fünf-Tage-Woche und einer halben Stunde Mittagsschlaf und regelmäßigen, gesunden Mahlzeiten und Entspannungsphasen machen: Die Krankheit ist mit diesem Amt nicht vereinbar. “
Mitarbeit: Johann Legner und Alexander Fröhlich
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