Analyse zur Post-Platzeck-Ära: Andere Aussichten
Brandenburg, das war Platzeck-Land, stets SPD-regiert. Sein Rückzug verändert alles. Das politische Gefüge wird neu austariert. Aber wie? Was wird mit Dietmar Woidke anders? Welche Konsequenzen hat das für die Landtagswahl in Brandenburg 2014? Eine Analyse.
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Eigentlich ist es erstaunlich, es wäre im aufgeregten Berlin völlig undenkbar. Da geht Matthias Platzeck, notgedrungen. Er, „der Brandenburger“, wie ihn seine Partei einst plakatierte. Und ein Erdbeben bleibt aus. Obwohl mit dem Regierungschef, der das Land seit 2002 prägende und trotz des BER-Fiaskos immer noch mit Abstand beliebteste Politiker, plötzlich von der Bühne abtritt, verläuft die eingeleitete Amtsübergabe an den designierten Nachfolger und Innenminister Dietmar Woidke (SPD) in Potsdam bislang ruhig, ohne Erschütterungen, ohne offene Konflikte. In der SPD selbst, aber auch außerhalb. Keiner, der bisher Neuwahlen fordert, keiner, der Woidke attackiert. Fest steht, dass sich nach der Platzeck-Ära mit Woidke das politische Koordinatensystem im Land Brandenburg verändern wird. Aber wie? Welche Konsequenzen hat das für die Parteien, die sich längst auf die Landtagswahl 2014 vorbereiten? Insbesondere für die drei „Großen“, SPD, CDU und Linke, die nach dem Brandenburg-Trend der letzten eineinhalb Jahrzehnte wohl auch künftig die Koalition stellen werden?
„Der Wechsel birgt Chancen“, analysiert der Verwaltungswissenschaftler und Brandenburg-Experte Prof. Dr. John Siegel von der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg, wo er Professor für Wirtschafts- und Verwaltungswissenschaften, insbesondere Public Management, ist. Brandenburgs Politik kennt er bestens. Er hat einst an der Uni Potsdam studiert, gerade ein Gutachten für die Enquetekommission des Landtages gemacht, die Struktur-Reformen in Brandenburg vorbereitet, vorher einmal eines für das Finanzministerium zur Entwicklung der Landesfinanzen bis 2020. In der letzten Legislaturperiode beriet er die SPD-Abgeordnete Tina Fischer, die im Landtag den Ausschuss für Bürokratieabbau leitete.
Siegel erwartet, dass mit Woidke ein anderer Regierungsstil als der bisher „eher patriarchalisch-präsidiale“ unter den populären Landesvätern Matthias Platzeck und vorher Manfred Stolpe praktiziert wird. Brandenburg werde damit wohl ein Stück normaler, eben wie andere ostdeutsche Länder auch, mit einem Ministerpräsidententyp vergleichbar mit Erwin Sellering in Mecklenburg-Vorpommern oder Stanislaw Tillich in Sachsen, sagt er. Zugleich wird, so prophezeit Siegel, mit Woidke „das Verhältnis zwischen Regierung und Parlament neu austariert“. Zwar bleibe die Regierung das Machtzentrum, doch weniger stark als unter einer so starken Persönlichkeit wie Platzeck. Die Exekutive als Gravitationszentrum werde gegenüber den früheren Verhältnissen geschwächt, was für das Gewaltengefüge in Brandenburg aber kein Nachteil sein muss, sogar Vorzüge mit sich bringen kann.
Zu erwarten ist, dass Woidke – der von 1994 bis 2004 einfacher Abgeordneter, 2009/2010 selbst Chef der Landtagsfraktion war – offener mit Regierungsfraktion und Landtag umgehen wird, die Rolle der Fraktion und damit des Landtages gestärkt wird. „Ich denke, es wird weniger durchregiert“, sagt Siegel. Tatsächlich gab bislang vor allem die Staatskanzlei den Ton an und die Marschroute vor, galt insbesondere die bisher vom nun künftigen Innenminister Ralf Holzschuher geführte SPD-Landtagsfraktion mit wenigen profilierten Köpfen als weitgehend einfluss- und bedeutungslos, eher als Abnick-Truppe. Die soll künftig vom bisherigen Generalsekretär und Platzeck-Vertrauten Klaus Ness gelenkt werden, zumindest für märkische Verhältnisse ein Schwergewicht. Er ist innerhalb der SPD wegen seines rigiden Führungsstils und exekutierter Personalentscheidungen durchaus umstritten, sodass die Personalie einigen im Magen liegt, etwa dem früheren Innen- und Sozialminister Alwin Ziel. Doch in anderen Parteien ist Ness durchaus als Stratege gefürchtet, und er ist einer, der Truppen zusammenhalten und im Parlament „harte Attacken“ fahren kann.
Dass Woidke ein solider Ministerpräsident sein kann, der bei den Leuten im Lande ankommt, traut man ihm allgemein zu. Offen ist dagegen, ob Woidke sich mit dem zusätzlichen Neben-Job als Parteichef nicht zu viel zumutet, ob er, der nüchterne Nicht-Ideologe, diese Rolle überhaupt ausfüllen kann. Selbst in der SPD haben daran so manche Zweifel. Die märkischen Jusos hätten eine Doppelspitze bevorzugt, so wie unter Ministerpräsident Manfred Stolpe, als die Landes-SPD von 1990 bis 2000 vom damaligen Minister Steffen Reiche geführt wurde. Das war intern auch erwogen, aber schnell verworfen worden. Zu groß schien das Risiko, dass die Landes-SPD das gefährdet, worin sie ihre traditionelle Stärke sieht, nämlich die Geschlossenheit nach außen, besonders in Wahlzeiten. Zu groß war die Sorge, dass stattdessen öffentliche Differenzen zwischen Ministerpräsident und SPD-Chef (etwa Sozialminister Günter Baaske oder Klara Geywitz) programmiert gewesen wären, oder, auf der anderen Seite, der Parteichef/die Parteichefin nur den Ruf gehabt hätte, als blass und unprofiliert zu gelten. De facto läuft es nun darauf hinaus, dass die als schlagfertig, strategisch und analytisch geltende designierte SPD-Generalsekretärin Klara Geywitz sich – wie Ness für Platzeck – um die Partei kümmern wird, Woidke sich aufs Regieren konzentriert, und Ness die Fraktion zusammenhält. „Ob die SPD ohne Platzeck Erfolg haben wird, hängt davon ab, ob dieses Triumvirat funktioniert, ob die drei an einem Strang ziehen, miteinander klarkommen“, sagt Siegel. Das wiederum ist so eindeutig nicht. Denn das Verhältnis von Woidke und Ness war in der Vergangenheit von Spannungen begleitet.
Doch, wie man es auch dreht, unterm Strich bringt der plötzliche Abtritt Platzecks – jenseits der emotionalen Aufwallungen, der Trauer und Melancholie wegen der menschlichen Tragödie – durchaus neue Dynamik in die SPD. Der Generationswechsel wird beschleunigt, die Aufgaben müssen auf mehr Schultern verteilt werden, wie Siegel sagt. „Eine langfristige strategische Personalentwicklung, wie es die CSU in Bayern praktiziert, hat es hier ja nicht gegeben.“
Für die nächste Landtagswahl 2014 in Brandenburg hat sich mit dieser Neuaufstellung die Ausgangslage damit aber fundamental verändert. Bislang lag bei den letzten Wahlen 2004 und 2009, und Umfragen, zuletzt mit 35 Prozent vor der CDU mit 27 Prozent und den Linken mit 21 Prozent (Mai), die SPD immer sicher vorn. Nun ist das Rennen völlig offen. Die anderen Parteien, alle auf Platzeck als SPD-Spitzenkandidaten eingestellt, wurden davon überrascht. Vor allem die CDU kann profitieren, für die dank des Bundestrends, der Kanzlerin Angela Merkel, zudem momentan sogar ein Wahlsieg in Brandenburg bei der Bundestagswahl im Herbst möglich ist, erstmals in der Geschichte des Landes – womit die Union ein Jahr vor der Brandenburg-Wahl zusätzlich Rückenwind bekäme. Andererseits ist der größte Feind der CDU seit 1990 die CDU. Zwar ist äußerlich Ruhe eingekehrt, doch das innere Gefüge ist immer noch instabil. Mehr noch, gerade für die neue Lage ist die CDU plötzlich nicht optimal aufgestellt – mit der Doppelspitze, der nach dem Sturz von Saskia Ludwig vollzogenen Trennung von Partei- und Fraktionsvorsitz. Einerseits hat die Partei mit dem Landeschef, dem Lausitzer Arzt Michael Schierack, einen designierten Spitzenkandidaten, der bei den Brandenburgern ankommen könnte. Doch Schierack ist im Lande weithin unbekannt, ähnlich wie Woidke, der dies aber mit dem Amtsbonus als Ministerpräsident und dem geplanten Präsenzpensum aufholen kann. Öffentlich tritt für die CDU aber vor allem der Oppositionsführer im Landtag auf, Fraktionschef Dieter Dombrowski.
Die Linken sind etwas besser aufgestellt, machen ihren Fraktionschef Christian Görke genau deshalb zum Spitzenkandidaten. Trotzdem wächst bei den Linken die Sorge. Weniger wegen der Landtagswahl an sich, sondern wegen der Zeit danach. Zwar geht Görke fest davon aus, dass die rot-rote Koalition bis zum Ende halten wird. Doch nach internen Analysen der Linken sind die Chancen für Rot-Rot II im Land nun geringer geworden. Es ist bekannt, dass Woidke der CDU näher steht als den Linken, mit denen er sich auch in der rot-roten Regierung oft Konflikte lieferte. Hinzu kommen die inneren Verhältnisse bei den Linken. „Die Linken sind sehr mit sich beschäftigt, personell ausgezehrt“, meint etwa Siegel.
Nun ist Brandenburg mit seiner Bevölkerung traditionell eher ein unaufgeregtes, wenig wechselbereites Land. So könnten die Chancen der SPD, auch mit Woidke stärkste Partei zu bleiben, vielleicht doch gar nicht so schlecht sein. Und dann? Die inhaltlichen Schnittmengen zwischen SPD und CDU sind längst groß, wie in vielen anderen ostdeutschen Ländern auch, wo bereits Große Koalitionen regieren. Und da ist der Mega-Trend, sind die objektiven Erfordernisse. In der kommenden Legislaturperiode wird es vor allem darum gehen, Brandenburg – neben seinen guten Wirtschafts- und Sozialdaten – demografie- und zukunftsfest zu machen, den Landeshaushalt zu sanieren, unpopuläre Kreis- und Strukturreformen durchzusetzen. Gewinnt die SPD wieder, wird sie mit dem koalieren, mit dem das berechenbarer, verlässlicher geht.
Im Nach-Platzeck-Brandenburg.
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