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Brandenburgs Polizeireform ist gescheitert, sagt die Opposition.

© Olaf Moeldner/dpa

Polizeireform in Brandenburg: Bedingt einsatzbereit

Brandenburgs Polizeireform wurde evaluiert. Das Ergebnis zeigt, wie gravierend die Folgen sind. Ein Überblick über die Zustände der Polizei.

Potsdam - Brandenburgs Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD), seit fast einem Dreivierteljahr im Amt, ist es schon leid. Im Landtag platzte es ihm deshalb schon mal heraus. Er warte auf eine Rede des CDU-Innenexperten Björn Lakenmacher, in der mal nicht von der völlig gescheiterten Polizeireform von Rot-Rot die Rede sei, sagte er. „Ich bin gespannt, wann ich das nicht mehr höre. Vielleicht beweist die Polizei in Brandenburg, wie sehr Sie unrecht haben.“ Dabei müsste Schröter es besser wissen. Ein Blick in die erste Version des 137-seitigen Entwurfs des Evaluationsberichts zur Polizeireform vom März dieses Jahres reicht aus. Das Ergebnis ist zum Teil verheerend.

Als die Reform 2011 durchgesetzt wurde, setzten die Verantwortlichen völlig unrealistische Grundannahmen durch, etwa beim Personalabbau. Von den einst 8900, aktuell noch 8200 Beamten sollten bis zum Jahr 2020 nur 7000 übrig bleiben. Wegen der steigenden Zahl von Diebstählen, wegen Grenzkriminalität und Autoklau musste die Landesregierung bereits gegensteuern. Die Reformpläne bestanden den Realitätstest nicht. Der Personalabbau wurde abgebremst, 7800 Stellen sollen übrig bleiben. Aber auch das wird nicht reichen, wie aus dem Evaluationsbericht hervorgeht. Dass mit sinkender Einwohnerzahl auch die Kriminalität und die Zahl der Einsätze abnehmen, hat sich als falsch erwiesen. Ein Blick auf die Zustände in Brandenburgs Polizei.

Revierpolizei

Bei der Revierpolizei gibt es schon jetzt weniger Beamte, als es das Sparziel bis 2020 vorsieht. Aktuell sind es 536, geplant sind 549. Durch zusätzliche Aufgaben können sie ihre eigentlichen Aufgaben nur beschränkt wahrnehmen, heißt es im Bericht. Der Grund: Die Revierpolizei wird herangezogen, um Lücken beim Wach- und Streifendienst zu füllen und für Justiz und Ordnungsbehörden Amtshilfe zu leisten. Zudem entstehen Lücken durch Verwaltungsaufgaben. Der Aufbaustab des neu gegründeten Landespolizeipräsidiums hatte vorgesehen, dass die Revierpolizei zwischen 8 und 20 Uhr Bürgersprechstunden anbieten soll. Das ist laut Bericht „nicht vollumfänglich umgesetzt worden“. Die Revierpolizei ist demnach nicht in der Lage, dieses Angebot und die vollständige Besetzung der Reviere zu gewährleisten.

Wach- und Wechseldienst

Obwohl die Zahl der Polizeieinsätze im Land von 2010 bis 2014 um elf Prozent sank, ist die Pro-Kopf-Belastung für jeden Beamten im Wach- und Wechseldienst gestiegen – laut Bericht „aufgrund des Personalrückgangs“. Die Zahl der Einsätze pro Streifenwagen stieg von 3066 im Jahr 2012 auf 3188 Einsätze im Jahr darauf. Zudem heißt es im Bericht: „Zu keinem Zeitpunkt konnte die (...) definierte Anzahl von 124 Funkstreifenwagen“, die pro Tag auf Brandenburgs Straßen unterwegs sein sollte, erreicht werden. Ursache ist der Ausfall erkrankter Beamter, die geringe Zahl junger Beamter von der Fachhochschule der Polizei und die hohe Zahl von Pensionierungen. Deshalb wurde in den Polizeiinspektionen schon 2014 die erst im Zuge der Sparmaßnahmen für 2020 geplante Stellenzahl erreicht „oder sogar unterschritten“. Zudem wurde bei der Polizeireform der Personalschlüssel für die Streifenbesatzungen zu gering bemessen. Um einen Streifenwagen zu besetzen, wären nach den damaligen Vorgaben 6,5 Beamte nötig gewesen. Das ist nach Einschätzung der Experten zu wenig. Nötig wären sieben Beamte, um täglich 124 Streifenwagen im Land auf die Straße zu schicken.

Zudem müssen immer wieder Streifenwagenbeamte auch Personen im Polizeigewahrsam oder die Reviere selbst bewachen und können nicht auf der Straße sein. Daneben nehmen laut Evaluierungsbericht Ordnungsämter, Ausländerbehörden, Jugendämter und Gericht die Polizei über die Maßen in Anspruch. Was nach dem Gesetz die Ausnahme sein sollte, ist in Brandenburg die Regel: dass die Polizei den Transport von Untersuchungshäftlingen übernehmen muss. In fünf Prozent aller Einsätze wird die Polizei zudem zu Ruhestörungen gerufen, obwohl dafür die Ordnungsämter zuständig sind. Personal fehlt auch für Verkehrskontrollen. Der Rückgang bei Verkehrsdelikten wird laut Bericht „von der Staatsanwaltschaft auf eine reduzierte Kontrolldichte der Polizei zurückgeführt“.

Wasserschutzpolizei

Auf dem Wasser kommt die Wasserschutzpolizei mit der Arbeit gar nicht mehr hinterher. Der Berufsschifffahrtsverkehr ist zwar in etwa gleich geblieben, doch die Freizeitschifffahrt und die Zahl der Charterboote auf Brandenburgs Flüssen und Seen wachsen. Der Wassertourismus ist eine Boombranche. Die derzeit 173 Stellen bei der Wasserschutzpolizei stellen laut Bericht „nicht hinreichend sicher“, dass Fracht- und Freizeitverkehr gleichermaßen überwacht und „die Präsenz in der Fläche ohne Einschränkungen aufrechterhalten werden“ kann.

Viel zu oft sind die Beamten nicht auf ihren Booten, sondern müssen Verwaltungs- und Führungsaufgaben in der Direktion für die Wasserschutzpolizei übernehmen, weil die Führungsstäbe in den Direktionen dies – wohl auch wegen Personalmangels – „nicht wirksam und effizient“ erledigen.

Bereitschaftspolizei

Die 560 Beamten der Bereitschaftspolizei, mit vier Einsatzhundertschaften und einer Technischen Einsatzeinheit, sind laut Bericht voll ausgelastet, aber „ohne den Bedarf vollumfänglich abdecken zu können“. Wörtlich heißt es in dem Papier: „Nicht nur die regelmäßig wiederkehrenden Einsatzlagen im Bereich Fußball und Versammlungen gilt es abzusichern. Durch die Auseinandersetzungen mit neuen Schwerpunkten wie Asylpolitik, Islamismus, Grenzkriminalität ist keine Entspannung der polizeilichen Lage abzusehen.“ Es gab mehr Einsätze an Wochenenden und Feiertagen als Wochentagen. Überdies verstößt Brandenburg mit den 560 Stellen gegen das Abkommen mit dem Bund zur Bereitschaftspolizei. Demnach müsste es in Brandenburg 604 Beamte geben. Zudem werden Bereitschaftspolizisten regelmäßig abzogen, um beim Personenschutz auszuhelfen, weil dort Stellen gestrichen und nicht nach der Zahl der Schutzpersonen, beispielsweise Politiker, berechnet wurden. Auch werden Bereitschaftspolizisten wegen des Personalmangels zum Opfer- und Zeugenschutz herangezogen.

Spezialeinheiten

Das Mobile Einsatzkommando hat nur noch 53 statt zuvor 60 Stellen. Der Evaluationsbericht stellt dazu fest: „Der Bedarf an professionellen Observationskräften zur Bekämpfung der schweren und organisierten Kriminalität konnte seit Umsetzung der Polizeistrukturreform nicht annähernd gedeckt werden.“ Eine Entspannung sei nicht zu erwarten, hinzu komme die anhaltend hohe Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus, weshalb – auch auf Empfehlung der Innenministerkonferenz – mehr Personal notwendig sei. Die Einheit „Operative Technk“, die für den elektronischen Lauschangriff, Überwachung und Ortung von Handys zuständig ist, hat nur begrenzte Möglichkeiten. Gleichzeitig können Aufträge für das Mobile Einsatzkommando und das Spezialeinsatzkommando nicht erledigt werden.

Das Spezialeinsatzkommando verfügt über 46 Stellen, aufgeteilt in drei Einsatzgruppen. Außerhalb der Dienstzeit ist immer eine Gruppe in Rufbereitschaft, die bei Alarm binnen einer Stunde am Dienstort einsatzbereit sein muss. Nur mit mehr Personal und Bereitschaftsdiensten in den Polizeiräumen könnte diese Zeit verkürzt werden.

Bei der Überwachungstechnik hinken Brandenburgs Spezialkräfte hinterher, Probleme gibt es mit der Überwachung verschlüsselter Kommunikation. „Zur zukunftsfähigen Fortentwicklung der Kommunikationsüberwachung fehlen sowohl personelle als auch materielle Ressourcen“, heißt es im Bericht. Wegen des geringen Personalbestands können Anforderungen zur Mobilfunküberwachung „häufig nicht beziehungsweise nur mit erheblicher zeitlicher Verzögerung bedient werden“. Von zwei sogenannten Imsi- Catchern, mit denen der Handystandort in einer Funkzelle bestimmt und Handys abgehört werden, kann wegen Personalnot immer nur einer eingesetzt werden.

Kriminalpolizei

Entgegen der Annahmen für die Polizeireform ist die Kriminalität gleichbleibend hoch, bei den Diebstählen gibt es entgegen der Annahmen Zuwächse. Insgesamt habe sich die neue Struktur mit Kommissariaten in den Inspektionen und vier Direktionen bewährt, allerdings stufen Führungskräfte diese als „nicht ausreichend effektiv und flexibel“ ein. Laut Evaluationsbericht fehlt auch Kripo-Personal in den Inspektionen, Direktionen, vor allen aber gibt es nicht ausreichende Kriminaltechniker und Fahnder. In diesen Bereichen sei die „personelle Ausstattung (...) unzureichend“.

Am augenfälligsten sind die Fehleinschätzungen für den Personalabbau bei der Kriminalpolizei bei der politisch motivierten Kriminalität, die Zahl der Fälle stieg seit 2011 um 35 Prozent, bei politischen Gewalttaten sogar um 77 Prozent. Rechtsterrorismus und islamistischer Terrorismus stellen die Polizei laut Bericht vor wachsende Herausforderungen, seit dem Aufdecken des Neonazi-Terrortrios NSU hat der Staatsschutz zusätzliche Aufgaben übernommen. All dem ist der Staatsschutz aber mit nur noch 139 statt der vormals 235 Stellen nicht mehr gewachsen. Mit der aktuellen Stellenzahl ist bereits die Zielmarke für das Jahr 2020 erreicht. Die „Mobilen Einsatztrupps gegen Gewalt und Ausländerfeindlichkeit“ (Mega) können durch den Personalabbau von 85 auf 56 Stellen nicht mehr alle Einsätze bei Neonazi-Konzerten und Demonstrationen abdecken.

Mit dem geplanten Stellenabbau ist zudem „das Niveau der Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität und der Korruption“ nicht zu halten. Der Grund: Der Ermittlungsaufwand ist enorm gestiegen: Telefonüberwachung, verdeckte Observation auch im Ausland und Auswertung digitaler Technik und Kommunikation. Die Polizei hat mit „internationalen Verflechtungen“ zu tun. Nicht eingetreten ist zudem die Annahme, dass die Kriminalität in der Grenzregion wegen des erhöhten Polizeieinsatzes zurückgeht.

Auch beim Kampf gegen internationale Banden in der grenzüberschreitenden und gegen die organisierte Kriminalität klaffen Lücken in der Polizeiarbeit. Durch die Auflösung der LKA-Außenstelle in Cottbus ist eine „effiziente Bekämpfung der organisierten Kriminalität“ im Süden Brandenburgs „gegenwärtig nicht gewährleistet“.

Große Defizite gibt es zudem bei der Internetkriminalität – denn die nimmt zu: Es gibt mehr Betrugsfälle, Vermögens- und Fälschungsdelikte und mehr allgemein registrierte Straftaten im Internet. Zudem ist das Internet in stetem Wandel. Das Volumen der auszuwertend Daten hat sich seit 2010 mehr als verdoppelt, auch bei der Kinder- und Jugendpornografie. Weil es nicht mehr Personal gibt, steigt die nötige Zeit für die Auswertung der Daten rapide – bei Kinder- und Jugendpornografie auf 9 bis 18 Monate, teils sogar 24 Monate. Bei der Auswertung von Handy und Tablets, was immer häufiger nötig ist, braucht die Polizei je nach Priorität ein bis knapp drei Jahre. Bei gleicher Personalstärke seien bei der „Datensicherung und -auswertung Bearbeitungszeiten von bis zu drei Jahren wahrscheinlich“. Und als Warnung heißt es im Bericht, dass für zahlreiche Straftaten eine Verjährungsfrist von drei Jahren gilt – und die Gefahr besteht, dass bei den Ermittlungen beschlagnahmte Datenträger „ohne Prüfung herausgegeben werden müssen und eine Strafverfolgung“ möglicherweise nicht erfolgen kann.

Polizeihunde

In den vier Direktionen soll jederzeit ein Fährtenspürhund verfügbar sein, deshalb sollte es je Direktion acht Hunde geben. Diese Zahl wird in drei Direktionen überschritten – und reicht dennoch nicht aus. Die Vorgaben der Polizeireform sind „mit dem derzeitigen Personalansatz (...) nicht umsetzbar, da die Berechnung der Arbeitszeit eines Diensthundeführers fehlerhaft“ war, heißt es im Bericht. Eine „ständige Verfügbarkeit von Fährtenspürhunden“ könne „nicht vollumfänglich gewährleistet werden“.

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