Politbarometer: BER-Skandal: Die SPD hebt ab
Es ist ein Phänomen. In Berlin stürzen Klaus Wowereit und seine SPD wegen des Flughafendebakels ab. In Brandenburg kletterten die Sozialdemokraten fast an die 40-Prozent-Grenze und Matthias Platzeck muss nur leichte Einbußen hinnehmen. Warum?
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Potsdam - Nein, kein Kommentar, kein Triumph, nur ein vielsagend-strahlendes Lächeln. „Wir wollen keine Umfragen gewinnen, sondern Wahlen“, sagte Brandenburgs Regierungschef Matthias Platzeck (SPD) lediglich. Und doch kann er nun noch gelassener nach Luckenwalde zum SPD-Parteitag fahren, wo er am heutigen Samstag zum SPD-Landesvorsitzenden wiedergewählt werden soll. Im Regine-Hildebrandt-Haus in Potsdam, wo man zwar ohnehin keine massiven Einbrüche befürchtete, aber mit diesen Traumzahlen für die SPD auch wieder nicht gerechnet hatte, gibt man in der Flughafenkrise nun bereits Entwarnung: Das sei durch.
Brandenburg paradox. Im Gegensatz zum Absturz von Klaus Wowereit in Berlin haben Platzecks Sozialdemokraten trotz des Skandals um die verschobene Eröffnung, den jahrelang verabsäumten Schallschutz für 24 000 Anwohner und explodierende Kosten beim Flughafen „Willy Brandt“ in der Wählergunst in den letzten Monaten sogar zulegen können. Nach einem aktuellen Politbarometer von Infratest im Auftrag von MAZ und RBB käme die SPD auf 39 Prozent, noch zwei Prozentpunkte mehr als im März, sechs Prozente mehr als zur Landtagswahl 2009. Bundesweit steht die SPD derzeit nur in Hamburg besser da, während sie in Berlin nur auf 27 Prozent kommt. Erst mit Abstand folgen in Brandenburg die CDU mit 22 Prozent und die mitregierenden Linken mit 21 Prozent. Und das, obwohl sich seit Wochen die Nachrichten über Pleiten, Pech und Pannen um das größte Infrastrukturprojekt der Region überschlugen, obwohl 67 Prozent der Brandenburger nicht glauben, dass der BER wirklich im Oktober 2013 eröffnet. Doch Platzeck, der BER-Vize-Aufsichtsratschef ist, kreidet man das kaum an. Ihm hat es in der Beliebtheit beim Wahlvolk kaum geschadet.
Die Zustimmungsrate für Platzeck sank zwar von 73 auf 67 Prozent, seinen bisher schlechtesten Wert, doch fast zwei Drittel der Märker sind mit dem Ministerpräsidenten zufrieden – und alle anderen Politiker im Lande lässt er immer noch weit hinter sich. Eine Alternative, eine Persönlichkeit, die es mit ihm aufnehmen könnte, ist nicht in Sicht. Als erster Oppositionspolitiker folgt auf Platz acht CDU-Fraktionschef Dieter Dombrowski, mit dem 21 Prozent der Märker zufrieden sind. Im Vergleich mit Wowereit fällt Platzecks Rückhalt im Volk besonders auf. Berlins Regierender war im gleichen Zeitraum von knapp 60 auf 38 Prozent Zustimmung abgesackt.
Es ist ein Phänomen, dass Platzeck, seit 12 Jahren SPD-Landeschef, seit zehn Jahren Ministerpräsident, so unbeschadet durch die BER-Krise kommt, dass seine SPD sogar noch zulegen kann. Manche macht das ratlos. „Ich würde auch gern wissen, wo man diese Teflonbeschichtung erwerben kann, dass das alles abgleitet“, sagt etwa Grünen-Landtagsfraktionschef Axel Vogel. „Es ist schon verrückt.“ Und der designierte CDU-Landeschef Michael Schierack vermutet, „dass der Flughafen für viele Brandenburger nicht die Bedeutung hat wie für die Berliner“. Zudem habe sich Platzeck immer geschickt hinter Wowereit versteckt. Dann fügt Schierack hinzu. „Aber eine Erklärung habe ich auch nicht.“ Und CDU-Landtagsfraktionschef Dieter Dombrowski sagt zwar, der „Mythos ist angekratzt“, es gehe mit der Zustimmung zu Platzeck abwärts. Aber auch er, der jüngst noch den Rücktritt des Ministerpräsident forderte, kommt um die Feststellung nicht umhin, dass die Abwärtsbewegung zumindest sehr langsam verläuft. Die Gründe sieht Dombrowski tiefer liegend, in einem Land, das über Jahrhunderte obrigkeitsorientiert war, in dem es seit 1990 traditionell einen hohen Rückhalt für Ministerpräsidenten wie nirgendwo sonst in der Bundesrepublik gebe. Da habe es Opposition schwerer als anderswo. „Da ist ein Stück Gewöhnung der Brandenburger dabei, die es vom ersten Tag der Landesgründung nur SPD-regiert kennen“, sagt Dombrowski. Da sei schon so etwas „ein gewisses Grundvertrauen“ da. Ein Satz, der auch von Platzeck stammen könnte. Hinzu komme, so Dombrowski, dass Wowereit, „der Partymeister von Berlin“, und der als ernsthaft wahrgenommene Platzeck, sehr unterschiedliche Persönlichkeiten seien.
Wer Gründe für die Nachsicht der Brandenburger mit dem Regierungschef trotz des BER-Skandals sucht, wie vorher bei den Stasi-Erschütterungen in Folge der rot-roten Regierungsbildung, oder Affären und Rücktritten von Innenminister Rainer Speer und Bildungsminister Holger Rupprecht, der findet Antworten auch in aktuellen Studien. Die Zeit, wo im Lande viele auf den neuen Flughafen hofften, der 40 000 Jobs bringen sollte, sind vorbei. Gerade erst bescheinigte eine Analyse des Instituts der Deutschen Wirtschaft für die arbeitgebernahe Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, dass das rot-rot regierte Brandenburg schon ohne den Airport das dynamischste ostdeutsche Bundesland ist. Die Arbeitslosigkeit war seit 1990 noch nie so niedrig wie jetzt, fiel unter die Zehn-Prozent-Marke. Den Leuten ging es seit der deutschen Einheit nie so gut. Die Steuereinnahmen im Lande sprudeln, was es Platzeck wiederum leicht machte, eine halbe Milliarde für den BER – eine Summe, die in diesem armen Land normalerweise eine Regierung sprengen könnte, so viel wie der Hochschul- und Kita-Etat des Landes – kaum bemerkt in den Haushalt 2013/2014 einzubuchen. Und zwar ohne den Rotstift direkt ansetzen zu müssen. Und die Brandenburger sind, wie eine Studie über die Ängste der Deutschen ergab, die „zuversichtlichsten Ostdeutschen“. Nirgendwo in der Bundesrepublik seien die Leute so zufrieden mit ihren Politikern. Ein Befund, der sich mit einer älteren Tiefen-Umfrage der Nachwende-Enquetekommission des Landtages deckt. Nirgends in Deutschland sei die Identifikation mit dem Land so hoch.
Aber auch Platzeck, machtbewusst, sensibel für Erosionen, hatte auf die Gefahr reagiert. Er verzichtete auf den Sommerurlaub, tourte durchs Land. Beim BER-Schallschutz, wo er und seine Regierung es zugelassen hatten, dass nie genügend Geld eingeplant war, die Leute bei Bewilligungen mit Billigstandards betrogen wurden, setzte er beim Bund und Berlin am Ende ein 400-Millionen-Programm durch. Freilich erst, nachdem das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg den systematischen Rechtsbruch gestoppt hatte. Solche Feinheiten erreichen die Tiefe des Landes nicht, wo die Leute andere Sorgen haben. Und nach dem Trommelfeuer von Opposition und Medien konnte man vor Ort wie einst bei Manfred Stolpe bisweilen gar schon eine Art Mitleids- und Solidarisierungseffekt für Platzeck erleben.
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