Brandenburg: Bis Toresschluss
An vielen Schleusen in Berlin und Brandenburg wird gestreikt. Nächste Woche könnten weitere Streiks folgen. Einen alten Kapitän stört das wenig, er will ohnehin mit der Binnenschifffahrt Schluss machen
- Matthias Matern
- Thomas Loy
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Berlin/Potsdam - Für das Frachtschiff Paloma ist die Fahrt nach Hamburg an der Charlottenburger Schleuse in Berlin vorerst zu Ende. Die Tore bleiben geschlossen. Schleusenstreik. „Drei Tage eingesperrt“, sagt der Matrose beim Vertäuen. Sein Chef, Kapitän Günter Ewald, 73, ist schon zu lange im Geschäft, um sich darüber aufzuregen. Den Streik findet er eigentlich ganz richtig, „nur sollten sie das mal richtig durchziehen, nicht nur drei Tage lang“. „Der Ramsauer“, Bundesverkehrsminister, CSU, habe es nicht besser verdient.
In Berlin und im nach Süden angrenzenden Brandenburg sind laut Dienstleistungsgewerkschaft Verdi alle Schleusen im Bereich des Wasser- und Schifffahrstamtes (WSA) Eberswalde in Nordbrandenburg und im Süden Mecklenburg-Vorpommerns immerhin 18 von 39 Schleusen betroffen, darunter viele touristisch relevante wie die Schleusen in Himmelpfort, Zehdenick, Wesenberg und Diemitz. Das WSA Brandenburg an der Havel soll dem Vernehmen nach erst in der nächsten Woche bestreikt werden. Eine entsprechende Notdienstvereinbarung mit Verdi sei bereits unterzeichnet worden, hieß am Donnerstag. Der Gewerkschaft zufolge beteiligen sich derzeit an dem Streik 500 Mitarbeiter. Der Streik ist ohne Vorbild. „So was hat es an den Schleusen noch nicht gegeben“, sagt Verdi-Sprecher Andreas Splanemann.
Der Streik ist Teil eines bundesweiten Arbeitskampfes. Verdi wehrt sich gegen die Umstrukturierung der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes und befürchtet den Verlust von bundesweit 3000 Stellen. Bereits Ende 2012 hatte es wie berichtet erste Warnstreiks gegeben. Nachdem Ramsauer laut Verdi bislang keine Bereitschaft gezeigt hatte, auf die Forderung nach Beschäftigungsgarantien einzugehen, waren Anfang des Monats zunächst die Mitarbeiter der Schifffahrtsverwaltungen in den alten Bundesländer in den Ausstand getreten. In Duisburg etwa war es an den Schleusen ebenfalls zu tagelangen Staus gekommen. Auch Neckar, Mosel und Saar waren dicht.
Weil der Streik in Berlin und Brandenburg angekündigt war, bildeten sich vor den Schleusen keine Schlangen. Während einige Berufsschiffer Zwangsurlaub machen mussten, disponierte die Fahrgastschifffahrt von Stern und Kreis auf einen Notfahrplan um. „Wir mussten 45 Brückentouren über Spree und Landwehrkanal streichen“, sagt Stern- und Kreis-Geschäftsführer Jürgen Loch. Andere Touren fanden nur eingeschränkt statt. Täglich laufe ein Minus von 30 000 Euro auf. Loch empfindet den Streik als „unerhört und populistisch“, weil das Bundesverkehrsministerium schon eine Jobgarantie für die Mitarbeiter der Schifffahrtsämter ausgesprochen habe. „Diese Zusage hat einen höheren rechlichen Wert als ein Tarifvertrag.“ Loch kündigte bei den laufenden Tarifverhandlungen für das eigene Personal einen härteren Kurs an. „Das Budget für Lohnerhöhungen streikt Verdi uns gerade weg.“
Splanemann hält Ramsauers Jobgarantie für „Schall und Rauch“. Sollte die Bundesregierung im Herbst abgewählt werden, sei auch die Zusage wertlos. Deswegen beharre man auf eine tarifvertragliche Regelung. Verdi hatte den angekündigten Schleusenstreik noch mal kurzfristig ausgeweitet. „Die Streikbereitschaft ist hoch.“ Nur eine Notbesetzung sorgt dafür, dass Polizei- und Rettungsboote im Ernstfall geschleust werden können.
Auch an den Brandenburger Schleusen blieb es am Donnerstag ruhig. „Dadurch, dass in Berlin alle Schleusen bestreikt werden, kommt offenbar kaum etwas an“, sagte Michael Reckzeh, Personalratsvorsitzender des WSA Eberswalde. Lediglich an einigen Schleusen wie in Bredereiche seien die Wartestellen alle voll. „Aber die meisten Bootstouristen haben sich wohl auf den Streik eingerichtet, bleiben lieber auf den Seen oder machen Stadtausflüge“, berichtete Reckzeh weiter. Anders als bei den Kollegen vom WSA Berlin wurde im Bereich der Eberswalder Verwaltung nur am Donnerstag gestreikt – aus Rücksichtnahme auf die vielen Wassertouristen. „Wir machen nur einen Tag zu, weil wir wissen, dass in der Region auch viele Familien mit dem Boot auf Reise sind. Denen wollen wir es nicht zumuten, mehrere Tage an einer Schleuse warten zu müssen“, so Reckzeh.
Allerdings hatten laut Reckzeh am Donnerstag viele Freizeitkapitäne in der Schifffahrtsverwaltung angerufen und sich nach bestreikten Schleusen erkundigt. „Die meisten haben Verständnis geäußert. Nur einer soll mal etwas lauter geworden sein.“ Auch Charterbootverleiher und Marinabetreiber hätten Unterstützung signalisiert. Schließlich seien sie auf eine möglichst reibungslose Abfertigung an den Schleusen angewiesen. Sollte es zum befürchteten Personalabbau kommen, hätte das auch negative Folgen für den Wassertourismus, gab Reckzeh zu bedenken.
Deutliche Kritik am Schleusenstreik hatte hingegen wie berichtet der Geschäftsführer der brandenburgischen Tourismusgesellschaft (TMB), Dieter Hütte, geäußert: „Hier wird nicht irgendein Unternehmen oder eine Verwaltung, sondern im Grunde genommen der Gast bestreikt.“
Der Bundesverband der Binnenschifffahrt schätzt den Streik für viele Schiffer als existenzbedrohend ein und fordert Ramsauer auf, gerichtlich dagegen vorzugehen. Schiffsführer Günter Ewald ist da anderer Ansicht. Ramsauers Sparpolitik sei dafür verantwortlich, dass die Schleuse Parey nur noch zehn Stunden am Tag betrieben werde und an der Mühlendammschleuse in Berlin das Personal so reduziert wurde, dass im Krankheitsfall nur noch eine Kammer geöffnet sei.
Vielleicht geht ihm der Auftrag, in Hamburg ein Maschinenteil abzuholen, jetzt durch die Lappen, aber eigentlich wollte Ewald schon im vergangenen Jahr mit der Binnenschifffahrt Schluss machen und sich zur Ruhe setzen. Nur sein Schiff, die Paloma, Jahrgang 1953, bestens in Schuss, habe leider keinen Käufer gefunden. Thomas Loy und Matthias Matern
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