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Auf der Tagesordnung der Enquete-Kommission des brandenburgischen Landtags stand am Freitag das im Vorfeld heftig diskutierte Gutachten zum Elitenwechsel in Parteien, das nicht nur SPD und Linken, sondern auch der heutigen Opposition Versäumnisse attestiert.

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Enquete-Kommission: „Brandenburger Weg“ holt alle ein

Enquete rollt Stasi-Kontakte Stolpes nicht neu auf und debattiert Parteien-Versäumnisse bei Aufarbeitung

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Potsdam - Brandenburgs Enquete-Kommission zur SED-Diktatur rollt die Stasi-Kontakte von Ex-Ministerpräsidenten Manfred Stolpe (SPD) nicht neu auf. Ein Vorstoß des Wissenschaftlers und Stasi–Experten Helmut Müller-Enbergs und des Grünen-Fraktionschefs Axel Vogel, den Fall Stolpe über ein zusätzliches Gutachten auf etwaige neue Erkenntnisse seit dem Untersuchungsausschuss 1994 untersuchen zu lassen, scheiterte am Freitag an der rot-roten Mehrheit (sieben Nein-, sechs Ja-Stimmen) im Gremium. In der ersten Sitzung nach der Sommerpause ging es diesmal für Brandenburgs Parteien selbst ans Eingemachte, nämlich um eigene Schwierigkeiten bei der Aufarbeitung der Vergangenheit.

Auf der Tagesordnung stand das im Vorfeld heftig diskutierte und von der PNN bereits veröffentlichte Enquete-Gutachten zum Elitenwechsel in Parteien, das nicht nur SPD und Linken, sondern auch der heutigen Opposition, nämlich den früheren Blockparteien CDU und FDP sowie selbst den Bündnisgrünen Versäumnisse, attestiert, von einem „Kartell des Schweigens“ in den Aufbaujahren spricht. Und es sorgte nun prompt für Kontroversen, besonders in Bezug auf die CDU. Der zugespitzt formulierende Gutachter Christoph Wunnicke erneuerte sein Fazit, dass in der Union – wie auch der FDP – jede Aufarbeitung von Blockpartei-Verstrickungen unterblieben sei. Aufarbeitung werde in der CDU „angekündigt, nie durchgeführt, wenn doch so unkonkret wie möglich“, sagte Wunnicke, dessen kritisches Urteil offenbar auch auf eigene biografische Erfahrungen „als Pfarrerssohn in der Uckermark“ zurückgeht. Zwar gebe es einen Elitenwechsel in CDU-Parteispitze und Landtagsfraktion. „Es gibt keine Altlasten in der Parteiführung. Die Altlasten trägt die Partei vor Ort.“ Er kritisierte, dass die CDU nur frühere Stasi-Spitzel als Täter ansehe. Der Ansatz müsse aber breiter gesetzt werden. Wunnicke fordert, dass die Union die aktive Mitverantwortung der Block-CDU in Brandenburg bei der Bespitzlung von Oppositionellen untersuchen lässt. Außerdem empfahl er, dass die Kommission auf eine Offenlegung der Biografien vor 1989 aller Spitzenpolitiker Brandenburgs drängen soll.

Klaus Schroeder vom Forschungsverbund SED-Staat kritisierte, dass der Eindruck erweckt werde, als sei die CDU in der SED-Diktatur „die Schlimmste“ gewesen. Und CDU-Generalsekretär Dieter Dombrowski wies darauf hin, dass lediglich 1700 von den 6700 heutigen Mitgliedern vor der Wende in der Ost-CDU gewesen seien. Die Linke wiederum, so betonte Gutachter Mario Niemann, gehe zwar offen mit der SED-Vergangenheit um: Allerdings habe fast die Hälfte aller 57 Landtagsabgeordneten seit 1990 eine „besondere Nähe“ zu SED und DDR-Staatsapparat gehabt.

Der SPD hielt deren Gutachter, der Theologe und frühere DDR-Oppositionelle Ehrhart Neubert, vor, dass sie trotz bürgerrechtlicher Wurzeln als DDR-Opposition und als neue, unbelastete Partei nach dem Stolpe-Untersuchungsausschuss 1994 die kritische Vergangenheitsaufarbeitung eingestellt habe. Dadurch sei ein „Kartell des Verdrängens und der Sprachlosigkeit“ entstanden. Neupert kritisierte den „Brandenburger Weg“, bei dem Opposition und Koalition zusammengearbeitet hatten, als „undemokratisch“, als „ideologischen Schmus“. Eine Demokratie habe andere Regularien, lebe von Zuspitzung und Parteienstreit.

Wie hier schieden sich an der Konsenspolitik der Stolpe-Ära auch in der Sitzung regelmäßig die Geister, zumal prominente, damals direkt Beteiligte als Zeitzeugen gehört wurden, mit bemerkenswerten Nuancen. So erklärte der damalige SPD-Landesvorsitzende Steffen Reiche den „Brandenburger Weg“ vor allem mit der damaligen Verfassungsgebung, der nötigen Zwei-Drittel–Mehrheit. Und wenn Stolpe und die SPD später von der „kleinen DDR“ gesprochen habe, sei dies stets mit „Augenzwinkern“ geschehen. Zugleich schilderte Reiche seinen Eindruck, dass es in Brandenburg nie eine so intensive politische Auseinandersetzung gegeben habe, „nie so viel gestritten“ worden sei wie in der ersten Legislaturperiode in der Zeit der Ampel-Koalition. Indirekt übte er Kritik am heutigen Partei- und Regierungschef Matthias Platzeck, den er Mitte der 90er Jahre für die SPD gewonnen habe. Dessen langes Zögern mit dem Parteieintritt habe ihm Platzeck damals mit der Diskussionskultur der Partei erklärt, die zu gering ausgeprägt sei. „Ich würde mir wünschen, dass er dies heute mit der gleichen Leidenschaft so praktizieren würde.“ Der frühere CDU-Fraktions- und Landeschef Wolfgang Hackel sagte, es habe objektiv keinen „dritten Weg“ in Brandenburg gegeben. „Das wäre auch gar nicht möglich gewesen, so etwas in der Bundesrepublik zu etablieren.“ Dennoch habe es immer ein bisschen nach „Nationale Front“ ausgesehen. Und Günter Nooke, heute CDU, damals Chef der Bündnisfraktion, sagte, er habe den Brandenburger Weg nicht für gut befunden, „aber auch nicht aktiv in Frage gestellt.“ Es sei eine „sehr unkonventionelle“ Zeit mit extremen Arbeitsbelastungen gewesen, viel sei „drunter und drüber gegangen.“

Mit Spannung war der Auftritt von Heinz Vietze erwartet worden, nach 1990 jahrelang „graue Eminenz“ der Brandenburger PDS, parlamentarischer Geschäftsführer im Landtag, der vor 1989 SED-Kreissekretär in Potsdam und in der Wendezeit letzter SED-Bezirkssekretär war. Bei der ersten Stasi-Überprüfung im Landtag 1991 war sein Bescheid, wonach er als Gesellschaftlicher Mitarbeiter Sicherheit geführt wurde, laut Experten eine niedrige IM-Kategorie speziell für Staats-und Parteikader, unter den Tisch gefallen. Auf die Frage, wie er sich das erkläre, sagte Vietze: „IM, so etwas habe ich nie gemacht. Ich wurde auch nie gefragt.“ Grundsätzlich stehe er zu seinem gelebten Leben, zu seiner Verantwortung vor 1989, seinen Umgang damit seit 1990. In dem Zusammenhang merkte Vietze an, dass auf dem Empfang zu seinem 60.Geburtstag im Jahr 2007 durchaus CDU-Politiker unter den Gratulanten gewesen seien, etwa die frühere Justizministerin Barbara Richstein und die damalige Landtagsabgeordnete und heutige CDU-Landesvorsitzende Saskia Ludwig. Und selbst diese Spitze eines schillernden Protagonisten demonstrierte: Der „Brandenburger Weg“ der Parteien, um den im Rückblick so gefochten wird, ist Geschichte.

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