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Linke-Fraktionschefin Kerstin Kaiser.

© dapd

Regierungspartei in der Krise: Brandenburgs Linke vor der Zerreißprobe

UPDATE. Die Linke steckt in einer tiefen Krise. Die scheidende Fraktionschefin Kerstin Kaiser rechnet mit ihren Genossen ab. In einer Erklärung zum Wechsel an der Fraktionsspitze wirft sie den Spitzen von Partei und Fraktion "politische Fehler" und Unsouveränität vor.

Stand:

Potsdam – Brandenburgs Linke steht nach den Querellen um den Wechsel an der Fraktionsspitze vor einer Zerreißprobe. Kerstin Kaiser, die vor einer Woche auf Druck der  Parteispitze und des Fraktionsvorstand auf eine erneute Kandidatur für den Fraktionsvorsitz verzichtet hatte, rechnete am Montag mit ihren Genossen ab. Kaiser warf der Partei- und Fraktionsführung vor, sie mit  Intrigen aus dem Amt gedrängt zu haben.

Nach Kaisers Darstellung ist der Wechsel im Vorfeld hinter ihrem Rücken bei informellen Einzelgesprächen mit Abgeordneten und nach dem  „Prinzip der Unsichtbaren Hand“ eingefädelt worden. Kaiser warf der Partei- und Fraktionsführung einen „politischen“ Fehler vor, „in der schwierigen Situation der Gesamtpartei überfällige Diskussionen über strategisches Profil und Aufgaben des derzeit einzigen Linke Landesverbandes in Regierungsverantwortung mitten in der Legislatur mit einer Personalentscheidung an der Spitze der Fraktion lösen zu wollen“, heißt es in Kaisers am Montag veröffentlichten Erklärung. Die Probleme seien nicht offen diskutiert, sondern zu einem Problem der Fraktionschefin personalisiert worden. Durch die „unsouverän vorbereitete Vorstandswahl“ sei die Fraktion belastet worden. Teamarbeit habe nicht funktioniert, weil ihr seit anderthalb Jahren der Landesvorsitzende als Partner gefehlt habe. „In der von uns angestrebten neuen politischen Kultur macht sich der Parteisprech von Gestern breit“, so Kaiser.

Zugleich gehen Brandenburger Linke-Abgeordnete im Bundestag auf Distanz zu ihrem Landesverband.  So will Dagmar Enkelmann deshalb 2013 nicht erneut wie schon 2009 als Spitzenkandidatin die Landesliste der Linke zur Bundestagswahl anführen. Die 56-Jährige will nur noch als Direktkandidatin im Wahlkreis Barnim/Märkisch-Oderland antreten. Einen Platz auf der Landesliste strebe sie aber nicht an, sagte sie. Enkelmann, die parlamentarische Geschäftsführer der Linke im Bundestag ist, begründete dies mit politischen Differenzen zum Landesverband und des Agieren in der rot-roten Landesregierung.

Inzwischen wird auch darüber nachgedacht, Ministerposten neu zu besetzen. Denn tatsächlich müssen sich die Brandenburger Linken wegen ihres Kurses unter Rot-Rot heftige Kritik einstecken. Intern wird davor gewarnt, dass die Neuauflage der Koalition nach der Wahl 2014 in Gefahr sei. Die Glaubwürdigkeit bei den Wählern habe wegen der Zugeständnisse gegenüber der SPD gelitten, heißt es von mehreren Seiten. Enkelmann etwa erklärte ihren Verzicht auf die Spitzenkandidatur mit der Energiepolitik. Enkelmann pocht auf Parteibeschlüsse und auf einen Ausstieg aus der Braunkohle, die Linke in der rot-roten Koalition aber beugt sich dem Willen der SPD, an der Kohleverstromung festzuhalten. Zudem lehnt Enkelmann Pläne ab, auch für Polizisten eine „Rente mit 67“ einzuführen.

Insgesamt hat die Linke derzeit am mehreren internen Fronten zu kämpfen: Der Richtungsstreit hält an, einerseits gibt es starke Kräfte, die auf eine Sozialdemokratisierung der Partei setzten. Andere dagegen setzen wie weite Teile der Bundespartei auf einen strikten Oppositionskurs gegen jedwede Regierungsbeteiligung. Überdies sind Landespartei und Landtagsfraktion über Kreuz mit den Funktionären und Abgeordneten auf Bundesebene. Dort wird den Brandenburger Linken der Bruch eigener Wahlversprechen vorgehalten, wie etwa beim Braunkohleausstieg oder dem strikten Sparkurs, der ausgerechnet von dem Linken Helmuth Markov als Finanzminister vertreten wird.  

Wie berichtet, hatte Kaiser vergangene Woche nach sieben Jahren an der Spitze der Linke-Fraktion im Brandenburger Landtag ihren Verzicht auf eine erneute Kandidatur für den Fraktionsvorsitz erklärt. Bei der regulären Wahl der neuen Fraktionsspitze am heutigen Montag tritt sie nicht erneut als Fraktionschefin an. Gründe hatte der parlamentarische Geschäftsführer Christian Görke und Vize-Fraktions- und Landesparteichef Stefan Ludwig nicht genannt. Görke, bisher Parlamentarischer Geschäftsführer, soll die Fraktionsvorsitz übernehmen, Thomas Domres, wirtschaftspolitischer Sprecher, soll Görkes Posten übernehmen. „Diese Entscheidung bedeutet keinen politischen Kurswechsel“, hieß es.

Der Abgang hatte sich abgezeichnet. Mehrfach forderte der Parteivorstand eine „starke, geschlossene Fraktion“. Schon auf dem letzten Linke-Landesparteitag im Frühjahr war die Unzufriedenheit mit der Fraktion und ihrer amtsmüde wirkenden Vorsitzenden deutlich spürbar. Zudem war Kaiser nicht nur einmal aufgefordert worden, ihren Führungsstil zu ändern.

Immer häufiger ließen Abgeordneten ihren Frust heraus: Sie erkläre sich nicht, führe nicht, setze keine Schwerpunkte, habe den Draht zur Fraktion verloren, ziehe sich Arbeit auf den Tisch und bringe sie nicht zu Ende. Stattdessen sah Kaiser es zunehmend als ihre Aufgabe an, in den Turbulenzen der Bundespartei weiter für Rot-Rot zu werben und den Realo-Flügel zu stärken. Ein klarer Fall von Entfremdung, hieß es. 

Die Landesgeschäftsführerin der Linken, Andrea Johlige, erklärte sogar zu Kaisers Kandidaturverzicht: „Deutlich wurde in den Gesprächen, dass Kerstin Kaiser bei einer erneuten Kandidatur wahrscheinlich keine Mehrheit in der Fraktion erhalten hätte.“ Man bot ihr sogar einen Posten im Fraktionsvorstand an, wegen ihrer Verdienste und ihrer „besonderen Qualitäten“.

Darauf aber verzichtete Kaiser und ging ihre Genossen am Montag hart an. „Die Frage nach politischem Erfolg oder Misserfolg hängt für mich nicht von Sesseln oder Karriereleitersprossen ab“, erklärte Kaiser. „Um in diesem Sinn weiter arbeiten zu können, gebietet es mir auch die Selbstachtung, weder die Kampfkandidatur und Schlammschlacht, noch den Rückzug in Versorgungsangebote zu wählen.“
Bis zur Sitzung des Fraktionsvorstandes vor einer Woche sei es ihre Absicht gewesen, wieder als Fraktionsvorsitzende zu kandidieren und bis 2014 für die rot-rote Koalition weiter zu arbeiten. Dann habe  ihr am 13. August eine Mehrheit des Fraktionsvorstands  „nachdrücklich“ empfohlen, auf eine Kandidatur als Vorsitzende zu verzichten. Die Alternative wäre nur noch eine Kampfkandidatur gegen Görke gewesen. „Dieser hatte vier Tage zuvor - wie er mir sagte, unter Druck - seine Bereitschaft zur Kandidatur bekannt gegeben“, heißt es in Kaisers Erklärung. „Begründet wurde die Empfehlung damit, dass ich bei einer Abstimmung keine Mehrheit erhielte. Angeblich unüberwindbare Kritik an der Vorsitzenden stelle zudem eine Wiederwahl des Gesamt-Teams infrage.“ Auf eine Abstimmung und damit einen Test für diese Behauptung habe es der Vorstand aber nicht ankommen lassen wollen.

Zudem wies Kaiser die Darstellung von Landesgeschäftsführerin Johlige über „zahlreiche intensive Gespräche“ im Vorfeld, zurück. Diese „haben weder mit mir noch in Gremien von Fraktion und Partei stattgefunden“, so Kaiser.  „Offensichtlich wurden informelle Einzelgespräche mit Abgeordneten geführt“ Kritischen Stimmungen über die Arbeit der Linken und deren Regierungspolitik seien dabei „immer mehr gegen die Fraktionsvorsitzende personalisiert“.  Nach dem „Prinzip der Unsichtbaren Hand“ sei der  Vorschlag entstanden, dass sei bei einem Verzicht auf den Fraktionsvorsitz in den neuen Vorstand eingebunden werden könnte. Kaiser erklärte in bitterem Ton: „In der von uns angestrebten neuen politischen Kultur macht sich der Parteisprech von Gestern breit, wenn die Landesgeschäftsführerin mir mit Respekt für die geleistete Arbeit dafür dankt, dass ich selbst den Weg frei gemacht habe für die Erfolge des neuen Teams.“

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