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Boomender Speckgürtel. Monteure arbeiten an Naben für Windkraftanlagen. Brandenburg verzeichnet im Vergleich zu den anderen Bundesländern das drittstärkste Wirtschaftswachstum. Die Bildungsausgaben sind aber weiter sehr niedrig.

© Jens Büttner/dpa

Wirtschaftswachstum, Soziales, Bildung: Brandenburgs Tops und Flops

In der Nachwendezeit war die Mark meist Schlusslicht, ob bei Pisa oder anderen Ländervergleichen. Jetzt spricht Regierungschef Dietmar Woidke (SPD) oft von Spitzenplätzen. Wo steht das Land wirklich?

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Potsdam - Bis zur Jahrtausendwende hatte Brandenburg die rote Laterne abonniert. Man konnte sicher sein, dass die Mark bei Vergleichen mit anderen Bundesländern, bei Rankings und Studien zu den Schlusslichtern in Ostdeutschland, ja in der Bundesrepublik zählte – egal ob bei den Pisa-Studien, der Unfallstatistik oder den Wirtschaftsdaten. Doch seit geraumer Zeit verkündet Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) andere Botschaften. Da ist Brandenburg oft Spitzenreiter in Ostdeutschland, beginnt sogar, an manchen westdeutschen Ländern vorbeizuziehen.

So war es auch am Freitag auf dem Ostdeutschen Wirtschaftsforum in Bad Saarow wieder. Dort verkündete Woidke stolz, dass Brandenburg im Wirtschaftswachstum „bundesweit auf Platz drei liegt“. Aber wo steht das Land Brandenburg, in dem die rot-rote Regierung gerade eine Reform der aus dem Jahr 1993 stammenden Kreisgrenzen vorbereitet, und die Opposition aus CDU, FDP und Freien Wählern die Pläne mit einer Volksinitiative – Ziel: ein Volksentscheid – stoppen und alles so lassen will, im Vergleich der Bundesländer wirklich? Einige Daten hat die Landesregierung jetzt in einer Antwort an den Landtag zusammengestellt. Auslöser war eine Kleine Anfrage des AfD-Fraktionschefs Alexander Gauland, der selbst regelmäßig ein düsteres Bild von den Zuständen im Land zeichnet. Ein PNN-Faktencheck, wie Brandenburg dasteht.

Wirtschaft und Finanzen

Die Ausgangslage ist nicht besonders rosig. Mit 2,48 Millionen Einwohnern liegt Brandenburg auf Platz zehn der 16 Bundesländer. Mit einer Fläche von 29 654 Quadratkilometern ist es das fünftgrößte Land, das größte im Osten. Es ist sehr ländlich geprägt, ohne traditionell gewachsene Industrie wie etwa Sachsen, dafür umschließt das Land die Metropole Berlin in seiner Mitte. Doch seit 1990 sind neue Industrien entstanden, und besonders im „Speckgürtel“ siedeln sich immer mehr Firmen an. Die Effekte lassen sich messen: Bei der Arbeitsproduktivität (Bruttoinlandsprodukt je Erwerbstätigem) ist Brandenburg mit 60 430 Euro (2015) inzwischen Spitzenreiter in Ostdeutschland. Zum Vergleich: In Sachsen sind es 55 890 Euro. Allerdings hinkt Brandenburg wie der gesamte Osten damit hinter den alten Ländern her. Der Bundesschnitt liegt bei 70 320 Euro. „Zu den westdeutschen Bundesländern besteht ... nach wie vor Aufholbedarf.“

Zur Wahrheit gehört auch, dass sich der Abstand in den Wirtschaftsdaten zu den westlichen Bundesländern nach allen Studien bislang bisher nicht verringert. Allerdings legt Brandenburg neuerdings zu. 2015 mit 2,7 Prozent und im ersten Halbjahr 2016 hatte Brandenburg mit 2,9 Prozent zumindest das drittgrößte Wirtschaftswachstum in Deutschland. Das führt dazu, dass Brandenburg so viel Geld ausgeben kann wie nie nach 1990, ohne Schulden zu machen. Für die Jahre 2017 und 2018, für die gerade der Haushalt im Parlament vorbereitet wird, werden jährliche Ausgaben von rund elf Milliarden Euro geplant.

Arbeitslosigkeit, Einkommen und Soziales

Es besteht nicht unbedingt ein Automatismus, dass Wirtschaftswachstum auch bei der Bevölkerung ankommt. Die Bilanz ist in Brandenburg zwiespältig. Einerseits hat Brandenburg inzwischen eine so geringe Arbeitslosigkeit wie nie seit 1990. Im Vorjahr lag sie im Schnitt bei 8,7 Prozent, im August fiel sie auf 7,7 Prozent und war damit erstmals geringer als in einem westdeutschen Flächenland, nämlich dem Partnerland Nordrhein-Westfalen mit einer Quote von 7,8 Prozent. Im September konnte Brandenburg noch einmal nachlegen, mit einer Quote von 7,5 Prozent. Nicht so gut sieht es bei den Einkommen derjenigen aus, die Jobs haben. Zwar liegt Brandenburg mit einem Bruttolohn im produzierenden Gewerbe und bei Dienstleistungen von 2945 Euro im Osten vorn, vor Sachsen-Anhalt (2900), Sachsen (2899), Thüringen (2856) und Mecklenburg-Vorpommern (2789).

„Zu den westdeutschen Bundesländern ist die Lücke nach wie vor groß“, räumt die Landesregierung ein. Wie groß sie ist, geht aus einem dieser Tage veröffentlichten „Gehaltsatlas“ für Deutschland hervor, für den rund 747 490 Arbeitsverhältnisse ausgewertet wurden. Verdient man in Hessen, Baden-Württemberg, Bayern und Hamburg deutlich mehr als der Bundesdurchschnitt, sind es in Brandenburg nur 77,6 Prozent davon. In der Antwort auf die parlamentarische Anfrage verweist die Landesregierung darauf, dass das Armutsrisiko in Brandenburg seit 2005 im Vergleich aller Bundesländer am stärksten gesunken ist.

Wo Brandenburg schlecht abschneidet

In der Anfrage hatte AfD-Chef Gauland ausdrücklich danach gefragt, wo Brandenburg im Länder-Vergleich schlecht abschneidet. Antworten bleibt die Regierung komplett schuldig. Allerdings sind einige Rote-Laterne-Parameter stabil: Die Bildungs- und Hochschulausgaben – pro Kopf/Anteil am Haushalt – gehören zu den geringsten in Deutschland.

Weniger bekannt ist, dass es auch in der Justiz Ausreißer gibt. Das sind die Verwaltungsgerichte, die zu den langsamsten der Bundesrepublik gehören: Nirgendwo in Deutschland schaffen Verwaltungsrichter nach einer bundesweiten PNN-Abfrage – Fall pro Richter und Jahr – so wenige Verfahren wie in Brandenburg. Die Kindertagesstätten: Zwar können hierzulande so viele Kinder wie kaum irgendwo eine Kita besuchen. Brandenburg ist mit einer Betreuungsquote von 57,2 Prozent bei Kleinstkindern (unter drei) „bundesweit Spitzenreiter“, so die Antwort. Bei den Drei- bis Sechsjährigen liegt Brandenburg auf Platz drei aller Länder. Doch bei den Gruppengrößen – Voraussetzung, was überhaupt in den Einrichtungen pädagogisch möglich ist – gehört Brandenburg nach Studien der Bertelsmann Stiftung weiterhin zu den Schlusslichtern in Deutschland. Trotz Investitionen seit 2009. Schon gegenüber dem Nachbarland Berlin hinkt Brandenburg hinterher.

Und dramatisch schlecht schneidet Brandenburg regelmäßig bei bundesweiten Unfallbilanzen ab. Dort nimmt das Land bei Verkehrstoten in Bezug zur Bevölkerung einen traurigen Spitzenplatz unter allen Ländern ein. 2015 kamen hier 179 Menschen ums Leben. Nirgendwo in Deutschland war es auf den Straßen so gefährlich wie hier. Dazu passt diese Statistik: Brandenburger Autofahrer haben die meisten Punkte in der Flensburger Verkehrssünderdatenbank.

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