Von Alexander Fröhlich: Bürgerwehr
Schöneiche wehrt sich gegen heimische Neonazis – und treibt sie zu Verzweiflungstaten
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Schöneiche – Sie stören jüdische Feste, pöbeln herum, bedrohen Politiker und schänden jüdische Mahnmale. Rechtsextremisten haben in den vergangenen Wochen in der Gemeinde Schöneiche bei Berlin für Unruhe gesorgt. Angst vor Negativschlagzeilen über den Ort mit seinen 12 000 Einwohnern hat Bürgermeister Heinrich Jüttner (parteilos) aber nicht – im Kampf gegen Rechtsextremismus gilt Schöneiche in Brandenburg als Vorbild.
Es ist eine beschauliche Gemeinde am Rande Berlins mit Schlosskirche, eigener Straßenbahnlinien nach Berlin-Friedrichshagen und Künstler-Villen. Erst in der vergangenen Woche hat die Polizei dort zwei junge Männer im Alter von 18 und 19 Jahren dingfest gemacht. Sie sollen Ende Oktober den Gedenkstein für die mehr als 150 im Dritten Reichen ermordeten Juden aus Schöneiche verwüstet haben. Ihnen wird Sachbeschädigung vorgeworfen; dabei haben sie sich über den Holocaust lustig gemacht: Mehrere in der Betonsäule eingefasste Buchstaben und ein Davidstern sind seither verschwunden – von den Worten „Entrechtet – Vertrieben – Ermordet“ ließen die Täter nur die Buchstaben „ Ent e“ stehen. Die Beamten gehen von einem rechtsextremistischen Hintergrund aus.
Auch gegen zwei NPD-Mitglieder, einer ist Gemeindevertreter im Nachbarort Woltersdorf, laufen Ermittlungen. In einem Fall lautet der Vorwurf auf Volksverhetzung und Beleidigung. Mehrere Rechtsextreme hatten Mitte Oktober wie bereits im Vorjahr das jüdische Laubhüttenfest des Integrationsvereins „Schtetl“ gestört und dabei die jüdischen Einwohner des Ortes als die „Vergasten“ bezeichnet. Wenig später sind mehrere Männer nachts bei Bürgermeister Jüttner durch die Gartenpforte gestürmt und haben ihn als „Volksfeind“ beschimpft, laut Polizei eine Bedrohung. Zudem kursierten auf einschlägigen Seiten im Internet Morddrohungen gegen Jüttner.
Von einer neuen Qualität rechtsextremistischer Umtriebe ist beim Verfassungsschutz die Rede. Es sei nicht hinnehmbar, dass demokratische gewählte Mandatsträger bedroht werden. Die Anfeindungen seien Teil einer Einschüchterungsstrategie der NPD und deren gewaltbereitem Umfeld. Bei der Kommunalwahl holte die NPD 4,1 Prozent der Stimmen, von den ein Dutzend Rechtsextremisten sind die meisten Mitglieder der Partei, die örtlichen Anführer laut Verfassungsschutz „ideologisch gefestigte“ Neonazis.
Dirk Wilking, Chef der Mobilen Beratungsteams in Brandenburg, kann den Vorfälle auch etwas Positives abgewinnen: „Meine Lesart ist: Die Kommune arbeitet so gut gegen Rechtsextremismus, dass die NPD ins Schlingern kommt.“ Eine neue Qualität sei die gute Integration der rund 70 jüdischen Aussiedler aus den früheren GUS-Staaten. Das tue der NPD richtig weh, wie die jüngsten Vorfälle zeigten. Er selbst, so Wilking, habe aber bisher nicht erlebt, dass ein Bürgermeister unmittelbar von Rechtsextremisten angegangen wird. Wilking und Jüttner glauben, es handle sich um Verzweiflungstaten – denn in Schöneiche könnten die Rechtsextremen nicht Fuß fassen, seit 1998 gebe es ein aktives Bündnis für Demokratie und Toleranz. „Die NPD entlarvt sich und ihren offenen Antisemitismus selbst“, sagt der Bürgermeister.
Fast schon grotesk wirken Mitteilungen der NPD, die sich wegen jüdischer Feste und afrikanischer Trommelkurse um den Erhalt deutscher Kultur sorgt. Der Bürgermeister sagt, die NPD finde einfach keine Inhalte, die sie aufgreifen könne.
Als die Partei am 20. April 2007, dem Hitler-Geburtstag, einen Ortsverein gründen wollte, besuchten 150 Bürger spontan die Gaststätten im Ort und belegten alle Plätze. Die Partei musste in einen anderen Ort ausweichen. Am Tag nachdem der Gedenkstein geschändet worden war, versammelt sich 250 Menschen zu einer Mahnmache. Erst vor wenigen Tagen wurden die dabei abgelegten Gebinde- und Töpfe aber wieder zerstört.
„Wir arbeiten präventiv“, so Jüttner, denn natürlich versuche die NPD unter Jugendlichen zu rekrutieren. Sieben Sozialarbeiter für Kinder und Jugendliche gibt es. Jüttner sagt: „Wir setzen auf Bildung und Kultur, um eine demokratische Zivilgesellschaft zu entwickeln.“
Lob kommt vom Verfassungsschutz, weil sich Jüttner und die vielen anderen Bürger trotz Bedrohungen nicht einschüchtern ließen. Die Gemeinde sei vorbildhaft im Kampf gegen Rechts. Beate Küstner vom Integrationsverein „Schtetl“ sagt, die jüdischen Schöneicher wollten jetzt erst recht weitermachen und sich nicht verstecken. In ihrer alten Heimat wäre alles noch viel schlimmer gewesen, sagen sie.
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