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Brandenburg: „Das Ausmaß ist erschreckend“

Bestand der Eichenprozessionsspinner wächst auf Rekordniveau. Einige Kommunen überfordert der Kampf gegen die giftigen Raupen

Von Matthias Matern

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Potsdam - Ein echter Überlebenskünstler lässt Forstexperten und Bürgermeister im Land Brandenburg verzweifeln. So paradiesisch sind die Lebensbedingungen für den ungeliebten Schädling geworden, dass sich sein Siegeszug scheinbar kaum noch aufhalten lässt. Die Rede ist vom Eichenprozessionsspinner, einem Nachtfalter aus der Familie der sogenannten Zahnspinner, dessen Raupen nicht nur für den Menschen giftig, sondern auch noch zur Bedrohung für den Inbegriff des deutschen Baumes geworden sind. „Durch den starken Befall der vergangenen Jahre sind die Eichen akut bedroht“, bestätigt Katrin Möller vom Landeskompetenzzentrum Forst in Eberswalde (Barnim). In einigen Regionen Deutschlands wie in Sachsen-Anhalt hat der Hunger der Raupen Experten zufolge bereits zum Absterben ganzer Eichenbestände beigetragen. In diesem Jahr jedoch habe die Ausbreitung der gierigen Falterlarven flächenmäßig, aber auch in der Intensität einen neuen Höhepunkt erreicht, ist sich Möller sicher. „In Brandenburg ist etwa ein Viertel der Landesfläche betroffen.“

Begünstigt wird die Vermehrung durch die klimatischen Veränderungen der vergangenen Jahre. „In diesem Jahr war der April wieder extrem trocken und warm. Das liebt der Eichenprozessionsspinner“, berichtet Professor Matthias Freude, Präsident des brandenburgischen Landesumweltamtes (Lua). Zwar sei der Falter in Deutschland heimisch, ein solches Ausmaß habe die Population früher aber nicht erreicht.

„Die zunehmende Ausbreitung in alle Richtungen zeigt, wie sehr das Insekt von der Witterung profitiert“, bestätigt auch Forstexpertin Möller. Waren vor rund fünf Jahren lediglich der Raum Neuruppin (Ostprignitz-Ruppin), die Gegend um Belzig (Potsdam-Mittelmark) und das nördliche Havelland betroffen, sind die typisch weißen Raupennester heute an Bäumen in den Kreisen Uckermark, Oberhavel, Barnim und Prignitz zu finden. Besonders heftig erwischt hat es in diesem Jahr die Landeshauptstadt Potsdam und die umliegenden Gemeinden Potsdam-Mittelmarks.

Zum akuten Problem wird der Eichenprozessionsspinner vor allem zu dieser Jahreszeit. Die Anfang Mai aus ihren Eiern geschlüpften Raupen hauen sich derzeit in den Eichenkronen die Mägen voll. Zudem entwickeln sie kurz vor der Verpuppung im Juni giftige Härchen, die bei Kontakt am menschlichen Körper zu heftigen Ausschlägen und sogar asthmatischen Anfällen führen können. Zu spüren bekamen das gerade erst Feuerwehrmänner aus Thyrow im Kreis Teltow-Fläming. Vergangenen Sonntag waren sie ausgerückt, um nach dem heftigen Unwetter abgebrochene Äste einer befallenen Eiche von einer Kreisstraße zu entfernen. Trotz zuvor getroffener Schutzmaßnahmen klagten sechs der acht Kameraden am Abend über starken Juckreiz. Ihre Körper waren von roten Pusteln übersät. Einer der Feuerwehrmänner musste sogar in ein Krankenhaus eingeliefert werden.

Die Bekämpfung der Raupen ist problematisch. Während die Schädlinge bei großen Waldflächen mit Insektiziden aus der Luft bekämpft werden können, bleibt in und nahe Siedlungsgebieten lediglich das personal- und damit kostenintensive Entfernen der weißen Gespinste durch Absaugen oder Abflammen. In den besonders stark befallen Gemeinden Schwielowsee, Nuthethal, Groß Kreutz und Kloster Lehnin stößt man bereits an seine Kapazitäten. In Briefen haben sie ihren Landkreis Potsdam-Mittelmark um Unterstützung gebeten. „So schlimm wie dieses Jahr war es noch nie. Das Ausmaß ist erschreckend. Als Kommune sind wir überfordert“, meint Schwielowsees Bürgermeisterin Kerstin Hoppe (CDU). Innerorts gebe es kaum eine Möglichkeit, langfristig etwas zu erreichen. „Aufgrund der jährlich wachsenden Population ist es an der Zeit, dass auch mit übergeordneten Institutionen gesprochen wird“, findet die Gemeinde-Chefin.

Das findet auch Dieter Horn, Umweltberater der Stadt Potsdam. „Sicherlich müssen wir koordinierter arbeiten.“ Horn schwebt ein ähnliches Vorgehen wie gegen die ebenfalls allergieauslösende Ambrosia-Pflanze vor. „Da gibt es bereits ein entsprechendes Landesprogramm“, sagt Horn. In diesem Jahr rechnet die Stadt mit Kosten von bis zu 30 000 Euro für die Beseitigung der Nester. Befallen sind auch die Höfe von acht Kitas und sieben Schulen. „Schwerpunkte sind die Stadtteile Babelsberg und Groß Glienicke“, berichtet der Umweltexperte. Für die Beseitigung von Nestern auf Privatgrundstücken seien aber deren Eigentümer verantwortlich.

Wie den betroffenen Kommunen in Potsdam-Mittelmark geholfen werden kann, will der Kreis auf der kommenden Beratung der Amtsdirektoren und Bürgermeister klären. Eine Entscheidung sei aber noch nicht getroffen, heißt es aus der Kreisverwaltung.

Den Eichenprozessionsspinner flächendeckend zu überwachen oder gar vollständig zu bekämpfen ist nach Ansicht von Forstexpertin Möller unmöglich. Dagegen stünden nicht nur die immer wärmeren und trockeneren Frühjahre, sondern auch immer restriktivere Auflagen seitens der EU für die Bekämpfung aus der Luft. „In diesem Jahr lassen zudem die klassischen Fressfeinde wie Schlupfwespen auf sich warten“, so Möller.

Ohnehin hat die Natur den Eichenprozessionsspinner gegen Angriffe und schlechtes Wetter gut gerüstet. „Haben die Raupen erstmal ihre Gifthärchen entwickelt, gibt es kaum noch natürliche Feinde“, erläutert Professor Freude. Außerdem schütze das Raupennest die Larven vor Witterungseinflüssen, sei auch kaum durchlässig für Pestizide, so der Lua-Präsident. „Eine geniale Überlebensstrategie, die uns aber auch die Bekämpfung so schwer macht.“

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