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Keine heile Welt: Kinderheime in der DDR.

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Brandenburg berät Betroffene: DDR-Heimkinder haben viele Fragen

Seit einem Jahr gibt es Beratungsstellen für Betroffene. Der Andrang ist groß. Brandenburgs Bildungsministerin Münch fordert deshalb mehr Geld für den Hilfe-Fonds

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Potsdam/Berlin - Es sind bedrückende Schicksale, die Martin Gollmer schildert. Er arbeitet bei der brandenburgischen Beratungsstelle für ehemalige Heimkinder aus der DDR. Da ist zum Beispiel die Geschichte eines Mannes, der als Kriegswaise 1949 ins Heim kam, immer nur arbeiten musste, kaum Schulbildung bekam. Der alte Kleidung tragen musste, nie etwas Eigenes besaß. Der selbst bei einer Pflegefamilie im Stall schlafen und wieder nur arbeiten musste – der nie Zuwendung bekam. Nachdem er versucht hatte, in den Westen zu fliehen, kam er in eines der berüchtigten Spezialheime zur Umerziehung zu einem sozialistischen Menschen durch Arbeit. Und als er 18 Jahre alt war, durfte er nicht Techniker, sondern nur Hilfsarbeiter in der Landwirtschaft werden. Damit galt er als Ungelernter, verdiente wenig und bekommt heute eine entsprechend kleine Rente.

Mehr als 400 000 Kinder lebten zwischen 1949 und 1990 in DDR-Jugendheimen und wurden zum Teil grausam drangsaliert. In Brandenburg waren es 74 000, davon waren allein 20 000 Kinder in de berüchtigten Spezialheimen untergebracht. Eine Entschädigung für ihr Leid bekommen sie nicht, es sei denn, sie werden als politisch Verfolgte eingestuft und strafrechtlich rehabilitiert. Doch das passiert selten, die Vorgaben sind streng.

Um den früheren DDR-Heimkindern dennoch zu helfen, hatten sich Bund und Ostländer im Juni 2012 auf einen Fonds in Höhe von 40 Millionen Euro verständigt. Die schätzungsweise 800 000 Menschen, die zwischen 1949 und 1975 in einem Heim in der Bundesrepublik leben mussten, können ebenfalls Hilfen beantragen. Für sie steht ein Fonds in Höhe von 120 Millionen Euro zur Verfügung.

Aus diesen beiden Fonds sollen bis 2017 Therapien, Beratungen und Kuren bezahlt werden, Rentenersatzleistungen bis zu 300 Euro im Monat, Ausbildungsbeihilfen, Kurse oder praktische Dinge wie ein Rollator. Pro Person können Sachleistungen bis zu 10 000 Euro beantragt werden, um Folgeschäden des Heimaufenthalts zu lindern. Manchmal ist es aber auch nur hochwertige Kleidung, die sich die Betroffene einmal im Leben leisten wollen, um der Stigmatisierung zu entkommen. Berater Gollmer spricht von nachholender Persönlichkeitsbildung.

Die Hilfeleistungen können die früheren Heimkinder bei Beratungsstellen beantragen, die vor einem Jahr eröffnet wurden. Die Potsdamer Anlaufstelle ist bei der Landesbeauftragten zur Diktaturaufarbeitung, Ulrike Poppe, angesiedelt. Der Andrang ist enorm, obwohl erst ein Bruchteil der Betroffenen Interesse bekundet hat. 1300 Personen haben sich in den vergangenen zwölf Monaten in Potsdam gemeldet, 1126 Betroffene werden betreut, 450 Hilfevereinbarungen wurden geschlossen. Zum Vergleich: In Sachsen meldeten sich seit Start des Fonds 1030 Betroffene, in Thüringen 1500 und in Berlin 1913. Poppe sagte, offenbar seien Beratungsstelle und Hilfsfonds nur begrenzt bekannt. Um dennoch bis 2017 genügend Zeit für die Betroffenen und ihre Schicksale zu haben, hat die Potsdamer Stelle im März die Zahl der Berater von zwei auf drei aufgestockt, die Berliner von drei auf sechs. Und doch müssen Betroffene lange warten, bis sie einen Erstberatungstermin bekommen. „Aktuell vergeben wir Termine für Dezember 2014“, sagte Poppe. Denn die Betreuung der Betroffenen ist aufwändig, sie haben teils große Schwierigkeiten, über ihre Schicksale zu berichten. Es sei auch eine Aufarbeitung ihrer Traumata, sagt Berater Martin Gollmer.

Brandenburgs Bildungsministerin Martina Münch (SPD) fordert Nachbesserungen des Ost-Fonds. Nach der Bundestagswahl müsse erneut über dessen Ausstattung und Konstruktion mit Bund und Ländern beraten werden. Etwa über die strikte Vorgabe, dass nur zehn Prozent der 40 Millionen Euro für die Beratung ausgegeben werden dürfen, in Brandenburg nur 322 000 Euro. „Wir haben diese Grenze schon ausgereizt“, sagte Poppe. Im ersten Quartal 2013 seien in ganz Ostdeutschland bereits 3,15 Millionen Euro an Hilfen an Betroffene ausgezahlt worden – 650 000 Euro mehr als vorgesehen.

„In den Fonds für ehemalige DDR- Heimkinder wurde zu wenig Geld eingestellt“, sagte Herbert Scherer, der die Berliner Beratungsstelle leitet. In Berlin würden viel mehr ehemalige Heimkinder aus der DDR Hilfen nachfragen, als man dachte. Lediglich 550 Personen, die in Westdeutschland im Heim lebten, erkundigten sich in Berlin nach dem Fonds. Scherer hat den Eindruck, dass sich die ehemaligen West-Heimkinder mehr für ihr Schicksal schämten als Menschen aus dem Osten. Geschehenes könne nicht ungeschehen gemacht werden, sagte Bildungsministerin Münch. „Aber wir können – neben der Hilfe, die die Betroffenen erhalten, der Stigmatisierung dieser ehemaligen Heimkinder entgegenwirken und sie dabei unterstützen, ihr Schicksal öffentlich zu thematisieren.“ .

Weitere Informationen bei der Beauftragten des Landes Brandenburg zur Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur (LAkD), Hegelallee 3, 14467 Potsdam, www.aufarbeitung.brandenburg.de

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