Brandenburg: „Der Kohleausstieg wird einer der Knackpunkte bei Rot-Grün“
Die Grünen-Landeschef Annalena Baerbock über ihre Spitzenkandidatur zur Bundestagswahl und ihre Agenda
Stand:
Frau Baerbock, Sie treten in Potsdam als Direktkandidatin der Grünen für den Bundestag an, am Samstag sollen Sie vom Landesparteitag zur Spitzenkandidatin gewählt werden. Bislang lebten Sie aber in Berlin, was einige Kritik auslöste. Wohnen Sie inzwischen schon in Potsdam?
Wir haben eine Wohnung gefunden und freuen uns sehr, hier bald leben zu können.
Dann auch mit Fluglärm am Himmel. Der Landtag hat das Volksbegehren zum Nachtflugverbot angenommen. Eine Umfrage der Linken ergab aber, dass bei den Grünen-Anhängern die meisten für die bestehende Regelung und gegen ein strengeres Nachtflugverbot seien, 49 zu 42 Prozent. Warum sind Sie die denn für eine strengere Regelung?
Weil niemand ruhig schlafen kann, wenn nachts die Flugzeuge über einen brettern. Alle Menschen in Brandenburg haben ein Anrecht auf mindestens acht Stunden Nachtruhe. Dafür braucht es ein striktes Nachtflugverbot, aber auch ein umfassendes Schallschutzprogramm. Mag sein, dass das nicht alle unsere potenziellen Wähler so sehen. Aber das ist grüne Politik, dass wir nicht nach Umfragewerten schielen, sondern, wenn es aus unserer Sicht sein muss, auch für das nicht so Populäre streiten.
Generell werden Sie doch schon auf die Umfragen schielen, was zumindest die Bundestagswahlen angeht. Mit welchem Ergebnis rechnen Sie?
Es wäre super, wenn sich die jüngsten Umfragewerte von acht Prozent bestätigen. Dann würden statt bisher einer nämlich voraussichtlich zwei bündnisgrüne Abgeordnete aus Brandenburg in den nächsten Bundestag einziehen. Das ist auch unser klares Wahlziel.
Sie wollen die langjährige Grünen-Abgeordnete Cornelia Behm im Bundestag ablösen. Was sind Ihre Schwerpunkte?
Meine Themen sind die Sozial- und Antidiskriminierungspolitik. Ich möchte im Bundestag für eine gerechtere Gesellschaft streiten. Es treibt gerade auch bei uns in Brandenburg viele um, dass die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinandergeht. Wir brauchen endlich einen Mindestlohn, eine armutssichere Rente und ein Ende der Zwei-Klassen-Medizin. Und als Brandenburger Abgeordnete würde ich mich intensiv dafür einsetzen, dass wir über die Bundesebene den Kohleausstieg einleiten, um zu verhindern, dass weitere Teile der Lausitz abgebaggert werden, wie es die rot-rote Landesregierung plant.
Da würden Sie bei einer möglichen rot-grünen Regierung aber schnell die ersten Konflikte haben. Die SPD im Bund hat sich in Sachen Braunkohle schon eindeutig positioniert, auf einem aussichtsreichen Listenplatz der Brandenburg-SPD ist ein Vattenfall- und Braunkohlelobbyist. Die SPD wird kaum einen Kohleausstieg auf Bundesebene vorantreiben. Wie wollen Sie damit umgehen?
Ja, das wird sicher einer der großen Knackpunkte werden. Deswegen ist es ja so wichtig, dass wir zwei Leute aus Brandenburg reinbekommen, die die Kämpfe mit der SPD bei diesem Thema schon kennen. Für mich ist ganz klar, dass wir diese Diskussion intensiv führen werden, jetzt im Wahlkampf schon mit der SPD vor Ort, aber auch auf Bundesebene oder in möglichen Koalitionsverhandlungen. Grünes Ziel ist es, bis 2030 unseren Strom zu hundert Prozent aus erneuerbaren Energien zu erzeugen – und das geht nur, wenn wir jetzt den Kohleausstieg schrittweise angehen. Das ist im Übrigen auch nicht grünes Wunschdenken, sondern dazu verpflichten uns die internationalen Ziele zur CO2-Reduzierung. Das weltweite Klimaproblem kriegen wir nur dann gelöst, wenn die Kohle da bleibt, wo sie ist: unter der Erde.
So klar positioniert sich auch die Bundespartei?
Ja. Auf dem letzten Bundesparteitag haben wir sowohl den Kohleausstieg als auch konkrete diesbezügliche Maßnahmen wie ein Klimaschutzgesetz oder Änderungen im Genehmigungs- sowie im Bergrecht beschlossen. Das findet sich zu meiner Freude auch im gestern veröffentlichten Entwurf des Bundestagswahlprogramms wieder. Wir Brandenburger Grünen werden in den weiteren Debatten zum Wahlprogramm zudem vorschlagen, den Kohleausstieg auch zu einem der prioritären Wahlkampfprojekte zu machen. Kein Land der Welt fördert und verbrennt so viel Braunkohle wie Deutschland. Und das Schlimme ist ja, dass wir den Kohlestrom noch nicht mal brauchen, sondern vor allen Dingen exportieren – und unsere Emissionen erstmals wieder angestiegen sind. Das ist mit Klimaschutz nicht vereinbar.
Für Ihren Landesparteitag steht eine Debatte zum Verfassungsschutz nach der NSU-Affäre auf der Tagesordnung. Worum geht es, wo sind bei Ihnen die Konfliktlinien?
Nach dem katastrophalen Versagen der deutschen Sicherheitsbehörden kann es kein Weiter-so geben. Die ganze Struktur gehört auf den Prüfstand. In Brandenburg ist der Verfassungsschutz aber zum Glück strukturell besser aufgestellt, als er es beispielsweise in Thüringen war. Nichtsdestotrotz sehen wir aber auch hier Verbesserungsbedarf, ganz kontrovers ist da beispielsweise der Umgang mit den V-Leuten, also der Anwerbung Rechtsextremer aus der Szene. Für mich persönlich ist eine der Konsequenzen aus der NSU-Mordserie, dass wir vom Einsatz von V-Leuten Abstand nehmen sollten. Nach meinem rechtsstaatlichen Verständnis sollte man Rechtsextreme nicht bezahlen, selbst wenn man dafür Informationen bekommt. Aber andere in unserer Partei argumentieren zu Recht, dass das dazu führen könnte, weniger Informationen zu bekommen. Das ist wirklich eine schwierige Abwägung – und der stellen wir uns auf dem Parteitag.
Das Gespräch führten Katharina Wiechers und Alexander Fröhlich
Annalena Baerbock, (31), Landeschefin der Grünen, tritt zur Bundestagswahl in Potsdam und im Land als Spitzenkandidatin an. Die Mutter eines Kindes promoviert
in Völkerrecht.
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