Von Jana Haase: Die Fragen, die du dir selbst gestellt hast
Ortstermin Fürstenwalde: Brandenburgs Aufarbeitungsbeauftragte Ulrike Poppe trifft sich mit Brandenburgs Lehrern
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Fürstenwalde - Ulrike Poppe spricht als letzte. Und sie hält weder eine Ruck-Rede, noch hat sie einen Zehn-Punkte-Plan für besseren Unterricht dabei. Laute Worte und markige Sprüche sind nicht ihre Sache. Stattdessen beginnt die Aufarbeitungsbeauftragte des Landes mit einer Entschuldigung. Für die pauschalen Urteile über Brandenburgs Lehrer, mit denen sie vor einigen Monaten in der Presse zitiert worden war. Zu Unrecht, wie sie betont. Natürlich seien nicht sämtliche Lehrer das Problem, wenn es um die Wissenslücken der brandenburgischen Schüler zur Thema DDR-Geschichte geht.
Aber ein Problem, soviel ist jedem im Raum auch klar, das gibt es. Deswegen ist Ulrike Poppe ja hier. Und deswegen sind auch die Lehrer an diesem Nachmittag ins Oberstufenzentrum Palmnicken bei Fürstenwalde gekommen, gut 30 Kolleginnen und Kollegen, auch einige Schulleiter, der Saal ist bis auf den letzten Platz besetzt. „Wissen Sie, dieses Treffen heute kommt eigentlich 15 Jahre zu spät“, wird eine Lehrerin gut zwei Stunden später sagen.
Die Stimmung ist erwartungsvoll, als Ulrike Poppe Platz nimmt, 30 Augenpaare ruhen auf der kleinen Frau mit dem markanten Kurzhaarschnitt. Treffen mit Lehrern stehen regelmäßig auf ihrem Terminplan, am morgigen Dienstag nimmt sie in Potsdam an einer Fachtagung zur Werteerziehung in der Schule teil. Nach und nach will die frühere DDR-Bürgerrechtlerin, die im März dieses Jahres ihr Amt als Brandenburgs erste Aufarbeitungsbeauftragte antrat, alle Schulamtsbezirke bereisen. Schon jetzt sind die Fußstapfen, die Poppe in dem von DDR-Aufarbeitungsfragen noch größtenteils unbeackerten Land hinterlässt, deutlich spürbar.
Ein unwilliges Raunen geht durch den Saal in Palmnicken, als zunächst eine Vorstellungsrunde angekündigt wird. Jeder soll kurz von seinen Erfahrungen aus dem Unterricht erzählen, eine vermeintlich lästige Pflichtübung, das merkt man den ersten Rednern noch an. Ulrike Poppe hört aufmerksam zu, nickt, macht sich immer wieder Notizen.
Und schon nach wenigen Minuten passiert etwas, eine unmerkliche Verschiebung. Es geht nicht mehr nur darum, was die heutigen Schüler über die DDR wissen oder nicht, wofür sie sich interessieren oder nicht. „Für die ist das Geschichte, für uns ist das ein Problem“, fasst es ein Schulleiter zusammen. „Die Fragen, die du von deinen Schülern gestellt bekommst, sind die Fragen, die du dir selbst gestellt hast“, sagt ein anderer. Und erzählt: Er habe während seiner Armeezeit an der DDR-Grenze gedient. Mittlerweile könne er mit seinen Schülern offen darüber reden. Jeder zweite der insgesamt rund 22 000 Lehrer an Brandenburgs allgemeinbildenden und beruflichen Schulen hat nach Landesangaben seine Qualifikation noch an DDR-Hochschulen erworben. Was das in der Praxis in den Klassenräumen seit 1990 bedeutet, davon bekommt man eine Ahnung, wenn man den Lehrern hier zuhört. Und nichts anderes tut Ulrike Poppe.
Die ersten fünf Jahre nach der Wende, erzählt eine Lehrerin, habe sie für Überlegungen, die über die Bewältigung des normalen Alltags hinausgingen, überhaupt keine Zeit und Energie gehabt. Plötzlich stand auf den Lehrplänen ein Stück eigener Lebensgeschichte. Aber mit der Frage nach ihrer Rolle im System DDR fühlten sich die Lehrer allein gelassen. Selbst im Kollegium seien Gespräche kaum möglich gewesen. Jetzt, Jahre später, berichten sie von ihrer Unsicherheit und auch von der Angst vor den Fragen der Schüler.
Fragen stellt auch Ulrike Poppe. Zum Beispiel danach, was eigentlich vermittelt werden soll, wenn DDR-Geschichte auf dem Lehrplan steht. „Was ist wichtig: Chronologie und Namen oder das Wissen über den Widerstand, den es auch gab?“ Es habe in der DDR nicht einfach nur „Mitläufer oder Verfolgte“ gegeben, betont Poppe. Man müsse differenzieren: zwischen überzeugten Protagonisten, Opportunisten, gleichgültigen Mitläufern, zähneknirschenden Mitläufern, Menschen im Widerstand und Opfern des Systems. Entscheidend sei, den Schülern auf der Grundlage der Menschenrechte als Konsens „Räume zu geben, um selbst ein Geschichtsmodell zu entwickeln“, erklärt die 57-Jährige. Und erntet Zustimmung.
Es ist dieser Raum zum Erfahrungsaustausch, den die Lehrer selbst vor 20 Jahren dringend gebraucht hätten. Die, die jetzt nach Palmnicken gekommen sind, haben sich seitdem eine neue Basis für das Gespräch mit den Schülern erarbeitet, auf eigene Faust, in den vergangenen Jahren zunehmend unterstützt durch Angebote des Bildungsministerium oder des Landesinstituts für Schule und Medien Berlin-Brandenburg (Lisum), das die deutsch-deutsche Nachkriegsgeschichte mittlerweile als Schwerpunktthema behandelt.
„Wir haben festgestellt, dass Lehrer auch heute noch Probleme damit haben“, sagt Ulrike Poppe aber auch. „Nicht alle haben sich damit auseinandergesetzt, obwohl es sicher viele Engagierte gibt.“ Sie bietet den Lehrern ihre Hilfe an. Aus einem Topf von jährlich 40 000 Euro kann sie Projekte fördern. „Wir sind da, um Sie konkret zu unterstützen“, betont Poppe. Das betreffe Projekttage, Wettbewerbe, Ausstellungen, aber auch Gespräche mit Kollegen. „Dass wir heute miteinander ins Gespräch gekommen sind, ist ein Anfang“, sagt sie zum Abschluss.
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