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Im Angebot. Allein 2011 laufen für rund 56 000 Hektar Agrarland in Brandenburg die Pachterträge aus. Bei den Ausschreibungen haben die Bauern oft das Nachsehen.

© dapd

Von Matthias Matern: Die große Landnahme der Börsen-Bauern

Weltweit sichern sich Investoren, Agrarfonds und Aktiengesellschaften Ackerland. Auch im Land Brandenburg läuft der Ausverkauf auf vollen Touren

Von Matthias Matern

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Hamburg/Potsdam - Fabian Lorenz findet die Philosophie der KTG Agrar AG völlig missverstanden. „Wir sind keine Spekulanten, sondern in erster Linie Landwirte“, sagt der Unternehmenssprecher. Mit dem Geld ihrer Aktionäre kauft die Gesellschaft mit Sitz in Hamburg seit Jahren in Ostdeutschland und Osteuropa Agrarbetriebe und Ackerland im großen Stil auf. Seit dem Börsengang 2007 hat sich die Anbaufläche der KTG Agrar AG von 15 000 Hektar auf 30 000 Hektar verdoppelt. Unternehmensangaben zufolge befinden sich davon allein 23 000 Hektar in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und Sachsen-Anhalt – der Rest in Litauen. Doch mit ihrem Landhunger ist die Aktiengesellschaft nicht allein. Weltweit sichern sich derzeit Großinvestoren und internationale Agrarfonds wertvolles Grün- und Ackerland. Durch die zunehmende Bedeutung nachwachsender Rohstoffe für die Energiegewinnung und den steigenden Bedarf an Lebensmitteln durch die anwachsende Weltbevölkerung schießen die Preise in astronomische Höhen.

Auch im Land Brandenburg läuft der Ausverkauf seit Jahren auf vollen Touren. Einige Filetstücke können sich die potenten Käufer sogar im Internet aussuchen. Nach dem Ende der DDR und somit auch der Landeseigenen Produktionsgenossenschaften (LPG) wurde die bundeseigene Bodenverwertungs- und verwaltungs GmbH (BVVG) mit der Privatisierung der Flächen beauftragt. Lange konnten Flächen zum Vorzugspreis von ortsansässigen Bauern gekauft oder gepachtet werden. Nach einem Einwand aus Brüssel mit Verweis auf das EU-Wettbewerbsrecht aber muss Ackerland, für das der Pachtvertrag ausläuft, nun europaweit meistbietend ausgeschrieben werden. Sehr zum Leidwesen der Landwirte, die mit den Geboten finanzkräftiger Investoren meist nicht mithalten können und entweder bis zu 20 Prozent ihres Pachtlandes scheibchenweise verlieren oder vom Chef zum Angestellten werden. „Das Interesse an Agrarflächen ist gegenüber 2005 deutlich gestiegen“, bestätigt Jens Reise, Bereichsleiter Verkauf und Verpachtung bei der BVVG, den Kaufrausch. Derzeit werde bei den Ausschreibungen durchschnittlich ein Preis von rund 7300 Euro pro Hektar erzielt, 2008 seien es noch etwa 5140 Euro gewesen, so Reise.

Noch ist der Nachschub an zu veräußernden Flächen, die die BVVG auf ihrer Internetseite anbieten kann, gesichert. Für mehr als 100 000 Hektar im Land Brandenburg laufen die Pachtverträge in den kommenden Jahren aus. Allein 2011 sind es 56 000 Hektar. Das meist im Landkreis Uckermark. „Bis zu 20 000 Hektar“, schätzt Landrat Dietmar Schulze (parteilos). „Brach liegt da nichts.“ Vom Biobauern bis zum größeren konventionellen Landwirt sei unter den Pächtern alles vertreten. „Irgendwann bekommen die einen netten Brief von der BVVG. Da heißt es dann, der Pachtvertrag werde nicht verlängert, man freue sich auf ein Angebot“, berichtet der Uckermark-Landrat. Jedoch müssten teilweise Preise von bis zu 17 000 Euro pro Hektar von betroffenen Landwirten überboten werden. Das sei einfach zu viel. „Der Ausverkauf ist nicht mehr zu stoppen“, glaubt Schulze.

Auch die KTG Agrar AG hat die Ausschreibungen kräftig genutzt. Geld verdienen die Hamburger Börsen-Landwirte mit der Lebensmittelproduktion und dem Betrieb von Biogasanlagen. Zwei Anlagen betreibt die KTG Agrar AG im Land Brandenburg, bei Putlitz in der Prignitz und Altdöbern im Kreis Oberspreewald-Lausitz). Eine dritte Biogasanlage bei Seelow (Märkisch-Oderland) sei derzeit im Bau, berichtet Sprecher Lorenz. Insgesamt soll die Gesamtkapazität von jetzt acht Megawatt bis 2012 auf 25 Megawatt gesteigert werden. Noch liege das Umsatz-Verhältnis zwischen der Lebensmittelerzeugung und Energiegewinnung im Unternehmen bei 60 zu 40 Prozent, sagt Fabian Lorenz. Ziel sei zumindest ein ausgeglichenes Verhältnis. „Das kann sich aber durchaus auch zugunsten der Energiegewinnung umkehren.“

Nach Unternehmensangaben gehören der KTG Agrar AG derzeit 18,5 Prozent der insgesamt 30 000 Hektar. Der Rest ist Pachtland. Der Anteil an Landeigentum aber solle möglichst aus 20 Prozent steigen, versichert die Gesellschaft ihren Aktionären. „Damit wird das Unternehmen nicht nur von der steigenden Nachfrage nach Agrarrohstoffen profitieren, sondern auch an der Wertsteigerung des knappen Gutes Ackerland partizipieren“, heißt es auf der Internetseite der AG.

Genau diese Praxis aber lasse die Preise explodieren, kritisiert Reinhard Jung, Geschäftsführer des Bauernbundes Brandenburg, der vor allem landwirtschaftliche Familienbetriebe vertritt. „Oft wird gar nicht direkt Land gekauft, sondern marode Agrargesellschaften“, beschreibt Jung eine weitere Methode. „Irgendwann steht plötzlich ein neuer Traktor auf dem Hof und Dank des Fremdkapitals wird im großen Umfang Land dazugekauft. Die Gewinne der Betriebe aber fließen oftmals aus dem Land.“ Auch bei Erben, die selbst nicht in der Landwirtschaft tätig seien und ihr Stück Land an brandenburgische Bauern verpachtet haben, werde angefragt. Kritik an den Praktiken der Investoren und börsennotierten Unternehmen werde meist jedoch nur hinter vorgehaltener Hand am Kneipentisch laut, berichtet Bauernbund-Geschäftsführer Jung. „Im Alltag sind die Industriebetriebe oft Nachbarn, die einem das Leben schwer machen können, etwa bei der Abgrenzung von Flurstücken.“

Sauer ist Reinhard Jung aber in erster Linie nicht auf die Investoren, sondern auf die Politik, die den Ausverkauf erst ermöglicht hat. „Nach der Wende wurden die Strukturen aus der Bodenreform und der Zwangskollektivierung in der DDR konserviert und damit die Voraussetzung geschaffen, dass außerlandwirtschaftliches Kapital einsteigen kann“, behauptet er.

Beim Landesbauernverband Brandenburg dagegen, der als Befürworter großer Agrargesellschaften gilt, hält man das Problem für eher gering. „Das ist keine Walze, die da über uns kommt“, findet Verbandssprecher Holger Brantsch. „Hier und da gibt es Fälle, wo Nichtlandwirte Flächen kaufen.“ Für manche Betriebe in Schieflage sei der Einstieg von Investoren aber auch ein Segen, weil so Insolvenzen abgewendet werden könnten, meint Brantsch.

Die brandenburgische Bundestagsabgeordnete der Grünen, Cornelia Behm, fordert eine sofortige Aussetzung der Verkäufe durch die BVVG und eine Überarbeitung der sogenannten Privatisierungsgrundsätze, auf die sich Bund und Länder verständigt hatten, um betroffene Landwirte zumindest etwas vor dem Ausverkauf zu schützen. Dazu zählt etwa, dass maximal 20 Prozent des Pachtlandes ausgeschrieben werden darf. „Der Einstieg von Großinvestoren in den Bodenerwerb und in bestehende Betriebe ist eine neue Dimension, die bei der Entwicklung der Privatisierungsgrundsätze bisher nicht berücksichtigt wurde“, meint Behm. Ziel müsse es sein, den Strukturwandel zu immer größeren Betrieben zu begrenzen und arbeitsintensive Betriebe, wie Gartenbau-, Futterbau-, Veredelungs- und Ökobetriebe, zu stärken.

Doch mittlerweile geht angeblich selbst den Jägern der ersten Stunde die Puste aus. In den vergangenen zwei Jahren habe sich die KTG Agrar AG nicht mehr an den Ausschreibungen beteiligt, heißt es aus der BVVG. „17 000 Euro pro Hektar können auch wir nicht zahlen. Wir gehören ebenfalls zu den Opfern des Agrarbooms“, versichert Sprecher Fabian Lorenz.

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