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Egon Bahr.

© dapd

Nach seiner Wutrede: Egon Bahr steht mit Kritik allein

Frühere DDR-Bürgerrechtler und Politiker widersprechen SPD-Ostexperten. Er hatte bei Stolpe-Ehrung von mangelndem Versöhnungswillen gesprochen

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Potsdam - Die Ost-West-Spaltungsvorwürfe des früheren SPD-Ostpolitikers Egon Bahr gegen die Stasi-Unterlagenbehörde stoßen auf breiten Widerspruch. Gegenüber den PNN wiesen die früheren DDR-Regimekritiker Günter Nooke (CDU) und Stefan Hilsberg (SPD), aber auch Brandenburgs Ex-Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) und die Aufarbeitungsbeauftragte Ulrike Poppe am Dienstag Bahrs provokante Aussagen zurück. Auf dem offiziellen Empfang der Brandenburger SPD zum 75.Geburtstag des ersten Ministerpräsidenten Manfred Stolpe hatte der 89-Jährige der von Roland Jahn geführten Behörde vorgeworfen, der inneren Einheit Deutschlands zu schaden, die versuchte Abschiebung von 48 früheren Stasi-Mitarbeitern in andere Bundesbehörden kritisiert und von Stasi-Inquisition gesprochen. Bahr machte keinen Hehl daraus, dass aus seiner Sicht eine Schließung der Akten und eine Amnestie besser gewesen wäre.

„Brandenburg ist schon ein besonderes Pflaster“, sagte dazu Nooke, heute Afrikabeauftragter der Bundesregierung und früher Bündnis-90-Fraktionschef im Landtag. Wegen seiner kritischen Haltung zu den Stasi-Kontakten Stolpes als DDR-Kirchenfunktionär war 1994 die Ampelkoalition zerbrochen. Für Bürgerrechtler wie ihn oder den Mitbegründer der oppositionellen Ost-Sozialdemokratie und früheren SPD-Vizefraktionschef im Bundestag, Stefan Hilsberg, schließt sich ein Bogen vom „Fall Stolpe“ zu Bahr. Nooke findet es „entlarvend, wenn an dieser Stelle solche Reden gehalten werden“. Es zeige, was „an Aufarbeitung in Brandenburg noch geleistet werden muss“. Und Hilsberg sagte, „es ist ein Versuch die Geschichte umzuschreiben“. Nicht die Entspannungspolitik gegenüber der SED habe zum Sturz der DDR geführt. „Man tut nachträglich so, als ob die Rolle der Bürgerrechtler wirkungslos war.“ Die Position Bahrs stehe „in der Metternich-Tradition der Geheimdiplomatie“, die aber in Zeiten des offenen Umgangs mit staatlichen Angelegenheiten „nicht mehr passt“.

Beide kritisierten, dass Altbischof Wolfgang Huber sich hinter Stolpes Vermittlerrolle mit der DDR- Staatsmacht gestellt hatte, was die evangelische Kirche in dieser Klarheit bislang nie getan hatte. Neben vorpreschenden Bürgerrechtlern sei Huber zufolge ein Mann wie Stolpe „genauso wichtig“ gewesen, „der sie aus dem Knast holt“. Für Nooke zeugt dies von einem falschen Verständnis, wie eine Diktatur funktioniert. Es sei „Unfug“, dass konspirative Gespräche mit der Stasi notwendig gewesen seien. Hilsberg sagte, die Kirche, auch Stolpe „haben versucht, Bürgerrechtler in ihren Wirkungen einzuschränken“. Die Appeasement-Politik, Kirche näher an den Staat zu rücken, habe das SED-Regime eher stabilisiert.

Dem Stolpe-Festakt waren ehemalige Bürgerrechtler ferngeblieben, ebenso wie Vertreter der Landes-CDU. Sie hatte von 1999 bis 2009 in einer Koalition mit der SPD regiert und prangert jetzt die jahrelang verschleppte Stasi-Aufarbeitung an. Der Ex-Innenminister und CDU-Ehrenvorsitzende Jörg Schönbohm bedauerte, dass kein Unionspolitiker gekommen war. Er selbst habe sich wegen seiner Teilnahme an der Ehrung Helmut Kohls am selben Tag in der American Academy entschuldigen müssen. Schönbohm bezeichnete es als „geschmacklos“, dass Bahr seine bekannten Thesen auf dem Festakt wiederholt habe. „Wahrscheinlich hat er nie mit Opfern des SED-Regimes gesprochen.“ Am Mittwoch wird sich der Landtag in einer Aktuellen Stunde mit den jüngsten Stasi-Fällen bei Polizei und Justiz befassen, und damit mit der Einstellungspraxis in der Stolpe-Ära.

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