Tränenpalast: „Ein Schauer über den Rücken“
Im „Tränenpalast“ am Berliner Bahnhof Friedrichstraße wird jetzt mit einer Ausstellung an die deutsche Teilung erinnert. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) eröffnete am Mittwoch in dem früheren Grenzkontrollpunkt für Ausreisen in den Westen die Dauerausstellung „GrenzErfahrungen“.
Stand:
Berlin - Rund zehn Millionen Menschen in 28 Jahren – wie viele Abermillionen von Tränen müssen das gewesen sein? Von einigen dieser Menschen, ihren Tränen, ihrem Schmerz und ihrer Angst, ihrer Sehnsucht und Hoffnung erzählt die neue Dauerausstellung „GrenzErfahrungen. Alltag der deutschen Teilung“, die ab heute in der ehemaligen Ausreisehalle der Grenzübergangsstelle neben dem Bahnhof Friedrichstraße zu sehen ist. Zur Eröffnung der Ausstellung am Mittwochabend im sogenannten „Tränenpalast“ hatten sich Bundeskanzlerin Angela Merkel und Kulturstaatsminister Bernd Neumann (beide CDU) angekündigt.
Seine Spitznamen wie Tränenpalast oder Tränenhalle bekam der 1962 vom SED-Regime in Betrieb genommene und in den 90ern – nach der Wende – als Club genutzte trapezförmige Pavillon aus Stahl, Glas und Keramik, weil die Bürger der DDR hier ihre Verwandten und Freunde aus dem Westen verabschieden mussten, selbst aber kaum Hoffnung hatten, jemals die Grenzstation in Richtung Westen passieren zu dürfen.
Die Kontrollen der Abreisenden durch die DDR-Zollbeamten waren meist schikanös und willkürlich, Ganzkörperkontrollen häufig. Es ging um die gezielte Vermittlung des Gefühls, einem allmächtigen Kontrollapparat machtlos ausgeliefert zu sein. Für viele, gerade für Ältere oder Kranke, eine Tortur: Über 200 Menschen sollen hier von 1962 bis zum Fall der Mauer an einem Herzinfarkt oder einem Kreislaufkollaps gestorben sein, berichten die Organisatoren der Schau.
Die Ausstellung der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland zeigt neben einer originalen Grenzabfertigungskabine und einem kleinen Nachbau der „operativen Feindbeobachtungszentrale“ auch ein zwei mal zwei Meter großes Modell der gesamten Grenzabfertigungsanlagen. Der Schwerpunkt der von Mauerbau bis Mauerfall chronologisch angeordneten Schau liegt jedoch auf Zeitzeugen-Interviews und zahlreichen Zeitdokumenten wie Fotos, Videos, Tagebüchern, Kalendernotizen und etlichem Originalmaterial aus dem Kontrollalltag. Es sind viele Einzelgeschichten und Eindrücke, die dem Besucher vermitteln, wie beklemmend, einschüchternd und entwürdigend der Aufenthalt für die Ausreisenden war.
In einem Video erzählt ein junger DDR-Zollbeamter davon, wie er Identität und Pässe der Ausreisenden auf ihre Echtheit geprüft habe. Nach dem Film weiß der Besucher nicht nur, dass man den Menschen am leichtesten an seinen Ohren erkennt. Sondern auch, wie überzeugt ein junger Grenzbeamter der DDR von seiner Arbeit gewesen sein kann. Zeitzeuge Manfred Migdal erinnert sich noch genau an das grauenvolle Gefühl, in der kleinen Kabine darauf zu warten, „dass der Beamte endlich den Ausreisestempel auf den Pass knallt“. „Danach dann endlich aufatmen. Erleichterung, in der Freiheit zu sein. Bis zum nächsten Mal“, erzählt der 69-Jährige, der nach drei misslungenen Fluchtversuchen 1971 von der Bundesrepublik freigekauft worden war. Seine Frau und die vier Kinder konnten erst drei Jahre später nachkommen, Migdal hat sie an jedem Wochenende in Ost-Berlin besucht. Den Tränenpalast betritt er nun zum ersten Mal wieder. Er sagt: „Mir läuft ein Schauer über den Rücken, alles ist wieder da.“
Reichstagsufer 17, Di bis Fr 9 bis 19 Uhr, Sa, So und an Feiertagen 10 bis 18 Uhr. Eintritt frei. Info unter www.hdg.de
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: