Berlin - Der Mann läuft friedlich neben einer Demonstration. Nach Rangeleien zwischen Polizisten und Linken fragt er die Beamten nach ihren Dienstnummern. Wenig später – so ist es auf einem Amateurvideo zu sehen – wird er in Berlin von einem Polizisten angegriffen, geht zu Boden. Die Ermittlungen sind abgeschlossen, was Insidern zufolge schon nicht einfach war. Angeklagt wurde bisher aber niemand, obwohl die Attacke in Berlin schon fast ein Jahr her ist. Verurteilt wurden am Dienstag hingegen zwei Bundespolizisten wegen schweren Raubes. Sie hatten in Berlin grundlos Vietnamesen bedroht und bestohlen, einen in Brandenburg ausgesetzt.
Schläge bei Großveranstaltungen, Misshandlungen von Nichtdeutschen – solche Übergriffe von Polizisten gebe es in Berlin immer wieder, sagen Rechtsanwälte und Innenexperten. Am heutigen Donnerstag will Amnesty International seinen Bericht zu Polizeigewalt im Land vorstellen. Diese sei zwar nicht systematisch, doch gebe es zahlreiche Einzelfälle.
Amnesty fordert „mehr Verantwortung bei der Polizei“, die individuelle Kennzeichnung der Einsatzkräfte und unabhängige Untersuchungen. „Wir brauchen einen Polizeibeauftragten, dem die Dienststellen gegenüber auskunftspflichtig sind“, sagte auch Dirk Behrendt, Rechtsexperte der Berliner Grünen. Ähnlich sieht das der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein: „Nötig ist eine unabhängige Beschwerdestelle, denn für viele Opfer von Polizeigewalt ist neben der Tat vor allem problematisch, dass auf ihre berechtigte Strafanzeige hin mit einer Gegenanzeige der Beamten reagiert wird“, sagte Strafrechtler Peer Stolle. Er plädiert für eine schnelle Einführung der Kennzeichnungspflicht, die Berlins Innensenator Ehrhart Körting (SPD) beschlossen hatte. CDU-Politiker und Polizeigewerkschafter waren dagegen. Die CDU-Brandenburg hat sich die Forderung nach Kennzeichnung inzwischen zu eigen gemacht. Bundesweit haben bisher nur in Hamburg einige Polizisten sichtbare Namensschilder – auf Demonstrationen etwa bleiben Beamte anonym.
Vor sechs Jahren hatte Amnesty kritisiert, dass „das wahre Ausmaß der Misshandlungen“ hierzulande nicht bekannt sei. Würden Misshandlungen bekannt, verstrichen oft Jahre bis zur Anklage. Schuldig gesprochene Polizisten wiederum hätten „bisweilen Strafen erhalten, die in keinem Verhältnis zur Schwere der Tat standen“. Richter- und Polizeiverbände wiesen die Vorwürfe zurück. Im Jahr 2008 kam es in Berlin zu 636 Anzeigen gegen Polizisten wegen Körperverletzung im Amt – verurteilt wurde bisher keiner. Zuletzt hatte es am Wochenende Proteste in Berlin-Neukölln gegeben, nachdem der Kommissar, der den Autodieb Dennis J. an Silvester 2008 im märkischen Schönfließ erschossen hatte, vom Landgericht Neuruppin wegen Totschlags in einem minderschweren Fall verurteilt wurde. Obwohl das Gericht feststellte, dass der Fahnder mit bedingtem Tötungswillen und nicht in Notwehr gehandelt habe, bekam er eine Bewährungsstrafe.Hannes Heine
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