
© Patrick Pleul/dpa
Brandenburg: Einsatz in Eisenhüttenstadt
Spezialkräfte nehmen 27-Jährigen fest. Ein Haus wird evakuiert. Regierungschef Dietmar Woidke spricht von Terrorverdacht. Am Nachmittag folgt dann eine erste Entwarnung: Man fand Polenböller statt Sprengstoff, aber wohl auch IS-Bilder
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Der Anruf erreicht Dietmar Woidke (SPD) gegen 13 Uhr in Herzberg, im tiefen Süden seines Landes. Brandenburgs Regierungschef ist an diesem Tag als Reiseführer, als Tourismuswerber für sein Land unterwegs. Bestens gelaunt führt er auf einer Pressereise eine Busladung Journalisten auf die Spuren der Reformation in der Mark, er will die Vorbereitungen auf das Jubiläumsjahr 2017 präsentieren. Zwar war Martin Luther nie hier, fast jedenfalls, aber dafür sein Gegenspieler, der Ablasshändler Tetzel, der in Jüterbog – der Station vorher – die Leute für einen halben Gulden von ihren Sünden freigesprochen und damit Luther zur Weißglut gebracht hatte. Ohne Tetzel keine Reformation, hatten die Jüterboger dem Ministerpräsidenten gesagt. Und der hatte seine Freude dran.
Doch die Unbeschwertheit an diesem Sonnentag verfliegt, als Woidke nun am frühen Nachmittag vor der St. Marienkirche in Herzberg steht, das Handy am Ohr, die Miene ernst. Freilich, er versucht in diesem Moment, sich nicht anmerken zu lassen, was gerade einige Kilometer weiter an der östlichen Grenze Brandenburgs geschieht, was im Tross zu diesem Zeitpunkt wohl nur er weiß. Der Einsatz des Spezialeinsatzkommandos der brandenburgischen Polizei in Eisenhüttenstadt hat gerade erst begonnen.
Gegen 14.30 Uhr bestätigt Brandenburgs Regierungschef dann am Rande der nächsten Station, dem Elsterpark, einer Sozialeinrichtung, was sich schon wie ein Lauffeuer verbreitet. Nun spricht Woidke in die Kameras jene Begriffe, die in diesen Tagen nach den Ereignissen der letzten Wochen Schrecken auslösen: „Polizeiliche Maßnahme in Eisenhüttenstadt“, „Verdacht auf Sprengstoffbesitz“, „Verdacht der Vorbereitung terroristischer Akte in dieser Stadt“. Es bestehe der „Verdacht, dass es einen islamistischen Hintergrund haben könnte“. Er will die Journalisten nicht für dumm verkaufen, nicht so tun, als wäre nichts, selbst wenn Regierungssprecher Andreas Beese ihn zu bremsen versucht. Aber, er schränkt bereits ein, dass es noch unklar sei, ob sich der Verdacht erhärten wird. Oder ob es sich, das sagt er nicht, um einen Spinner handelt. Die Polizei sei aber angesichts der Sicherheitslage gut beraten, so Woidke, „nicht leichtfertig und fahrlässig zu handeln, und jeden Hinweis ernst zu nehmen“.
Nun also Brandenburg, nach Würzburg, nach München, nach Ansbach? Ausgerechnet in Eisenhüttenstadt an der Landesgrenze zu Polen, der Stadt, in der die Zentrale Aufnahmeeinrichtung des Landes für Flüchtlinge ihren Sitz hat, ist in diesen Minuten gegen 13 Uhr ein 27-Jähriger vorläufig festgenommen worden. Nein, kein Flüchtling, ein junger Deutscher, ein gebürtiger Eisenhüttenstädter, der zum Islam konvertiert sein und einen Anschlag auf das Stadtfest geplant haben soll, wie es in den ersten Meldungen heißt. Das soll ab 26. August drei Tage im vor allem durch das Stahlwerk und die sozialistische Stadtanlage bekannten Eisenhüttenstadt gefeiert werden. Es ist ein sehr brandenburgisches Event. Einige Zehntausend Besucher werden erwartet, um den „Lichterzug der Feuerwehren“, das „Helene-Fischer-Double Undine Lux“, die „Dorfrocker“ oder die „Antenne-Schlagershow“ zu erleben. Ein typisches Fest in der Provinz, für die Stadt, für die Region ein Großereignis. Just hier soll, so vermuteten die Ermittler nach Hinweisen, der 27-Jährige ein Sprengstoffattentat geplant haben, versucht haben, eine Nagelbombe zu basteln.
Vorsorglich wird am Mittwoch das gesamte Wohnhaus evakuiert. Die Polizei hatte den mutmaßlichen jungen Salafisten, wie es zunächst hieß, schon länger observiert. Es folgen eineinhalb Stunden der Ungewissheit, auch der Spekulationen, ehe es dann am späten Nachmittag zumindest eine teilweise Entwarnung gibt. Die Staatsanwaltschaft und die Polizeidirektion Frankfurt (Oder) geben eine gemeinsame Pressemitteilung heraus: kein Sprengstoff. „Bei der Durchsuchung der Wohnräume wurden bisher lediglich geringe Mengen pyrotechnischer Erzeugnisse nichtdeutscher Produktion gefunden.“ Aber, es wurde bei der Durchsuchung IS-Propagandamaterial gefunden, Hinweise auf IS-Nähe. Deshalb ermittelt nun der Staatsschutz des Landeskriminalamtes.
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