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Brandenburg: Ende einer Karriere

Drei Jahre suchten Potsdamer Ermittler im Fall „Männerapotheke“ nach ihm. Der Chef einer Bande, die mit gefälschten Potenz-Pillen ein Millionengeschäft machte, war nach Uruguay geflüchtet. Nun ist er in Haft, seine Geschichte unglaublich

Stand:

Er war der Kopf der Bande. Und das im größten jemals in Deutschland aufgedeckten Fall von Schmuggel mit gefälschten Schlankheits- und Potenzmitteln. Jetzt sitzt Matthias M., 44 Jahre alt, in Brandenburg/Havel in Untersuchungshaft. Er wurde in Uruguay gefasst und am vergangenen Freitag nach Deutschland ausgeliefert. Das Amtsgericht Potsdam erließ noch am selben Tag einen Haftbefehl gegen M.

Bei der Staatsanwaltschaft Potsdam und dem Zollfahndungsamt Berlin-Brandenburg, die die Ermittlungen in den Fall „Männerapotheke“ führen, war die Suche nach Matthias M. über Monate streng geheim gehalten worden. Die Behörden in Uruguay hatten M. in Montevideo auf Ersuchen der Bundesrepublik verhaftet. Weil aber zwischen Deutschland und Uruguay kein Abkommen über Rechtshilfe und Auslieferungen besteht, wurde über Monate verhandelt. Mit dem verordneten Stillschweigen wollte die Staatsanwaltschaft auf alle Fälle verhindern, dass die Auslieferung in irgendeiner Weise gefährdet wird.

Nachdem die Behörden im April 2011 das international agierende Netzwerk zerschlugen, als 300 Zollfahnder und mehrere Beamte der Staatsanwaltschaft Potsdam mehr als 60 Objekte, 40 davon in Deutschland, der Rest in Tschechien und anderen europäischen Ländern, durchsuchten, war der 44-Jährige nach Südamerika geflüchtet – und setzte sich nach Uruguay ab. Die meisten anderen der mehr als hundert Mitglieder konnten die Ermittler schnappen, für sie ist die sogenannte Pillenbande eine der größten, die mit gefälschten Potenzmittel handelte und jemals auf internationaler Ebene ausgehoben wurde. Die Ermittlungen liefen in ganz Europa, in Österreich, Tschechien, Zypern, Rumänien, in der Schweiz, sogar die Behörden in Thailand halfen mit.

Gegen einen Großteil der mehr als hundert Bandenmitglieder sind die Ermittlungsverfahren bereits beendet, Geldstrafen, Bußgelder und Strafbefehle sind ergangen sind, acht hochrangigen Mitgliedern wird derzeit vor dem Landgericht Potsdam Prozess gemacht, ein weiterer wird folgen, elf weitere Mitglieder der Band sind bereits angeklagt worden. Nur auf den Strippenzieher, den Kopf dieses Netzwerks, musste die deutschen Justiz drei Jahre warten.

Matthias M. hatte sich das Millionen-Geschäft mit den gefälschten Potenzpillen erdacht. Von 2008 bis 2011 machte die Bande einen Gewinn von fast 22 Millionen Euro. Für Matthias M. war das der vorläufige Höhepunkt seiner kriminellen Karriere. Der Spross einer Unternehmer-Familie aus Frankfurt (Main) war offenbar nie zimperlich. 1989 beauftragte er einen Killer und ließ seine Eltern umbringen. Der „Spiegel“ berichtete damals über das vermutete Motiv der Greueltat: „Zum 18. Geburtstag hatten ihm die Eltern statt des dringlich gewünschten Ferrari einen gebrauchten Opel geschenkt.“ Andere Quellen berichten, er habe seine Eltern und deren Pudel umgebracht, weil die den Hund bevorzugt hätten. Nach der Haft geläutert, tourte er in Hessen durch die Schulen und erzählt von seiner Geschichte. Das hielt nicht lange. Er fing an, Geschäfte im Internet zu machen, kaperte Internetadressen etwa für Sex-Kontakte und betriebt ein Hardcore-Bordell in Osteuropa. Bei all dem muss Matthias M. wohl die Idee gekommen sein, wie er noch viel schneller Geld machen könnte – mit dem Verkauf von Potenzmitteln übers Internet samt Zahlungsverkehr über ein weit verzweigtes Netz von Tarnfirmen europaweit.

Selbst auf der Flucht war er sich seiner Sache sicher. Er habe um seine neue Wohnanschrift in Südamerika kein großes Geheimnis gemacht, sagte eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft Potsdam. Es sei daher nicht allzu schwer gewesen, auf seine Spur zu kommen. Im Internet soll er sogar frei kommuniziert haben. Dort steht auch, dass der 44-Jährige mit einem falschen Doktortitel auftrat. Laut Zollfahndungsamt hat er mit sechs verschiedenen Identitäten samt gefälschter Pässe agiert. Er ließ von Uruguay aus sogar einige Staatsanwälte bedrohen. Für die Beamten mussten Schutzmaßnahmen ergriffen werden. Der Ärger des Bandenchefs darüber, dass sein lukratives Netzwerk ausgehoben wurde, ist offenbar groß.

Immerhin, das Geschäft war klug ausgetüftelt: Die Bande verkaufte gefälschte Potenzpillen der Marken Viagra, Cialis und Levitra, aber auch Schlankheitsmittel. Hergestellt wurden ein Teil der Pillen in China, bei den Laboruntersuchungen wurden starke Verunreinigungen und schwankende Konzentrationen des Wirkstoffs festgestellt. Andere Pillen aus Indien waren von besserer Qualität, aber nicht in Deutschland zugelassen. Es war ein einträgliches Geschäft, die Nachfrage in Deutschland und Österreich, wo die Bande die Potenzpillen verkauft hat, war überaus hoch. Denn die Pillen sind billiger als in der Apotheke und rezeptfrei zu haben. Die Herstellungskosten sind äußerst gering, sie liegen pro Pille nur bei wenigen Cent, wissen die Experten bei den Ermittlungsbehörden inzwischen. „Wer heute mit Kokain handelt, hat seine Hausaufgaben nicht gemacht“, heißt es beim Zollkriminalamt. Der Pharmakonzern Pfizer, der Viagra herstellt und vertreibt, macht eine ganz andere Rechung auf: Beim Verkauf von einem Kilogramm gefälschten Wirkstoffs gegen Erektionsstörungen ist der Profit hundertmal so hoch wie bei der gleichen Menge Heroin.

Die Mitglieder der unter anderem von Potsdam und Treuenbrietzen aus gesteuerten Bande konnten sich jedenfalls einiges leisten. Bei der Razzia fanden die Ermittler höhere Bargeldbeträge in unterschiedlichen Währungen, hochwertige Unterhaltungselektronik, aber auch Luxuswagen, die zum Teil deutlich mehr als 100 000 Euro wert waren.

Die Staatsanwaltschaft Potsdam sicherte jedenfalls vorsorglich für die Staatskasse einen Teil der erzielten Erträge – Gewinnabschöpfung nennt sich das. 2,4 Millionen Euro, also zehn Prozent des Gewinns, sind vorläufig gesichert: Autos, gesperrte Konten, Zwangshypotheken. Für die Staatsanwaltschaft ist diese Summe ein Erfolg, in vielen Verfahren, in denen es um organisierte Kriminalität geht, finde man oft gar nichts mehr, sagen die Ermittler.

Alexander Fröhlich

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