Interview mit Andrea Wicklein: „Es geht nicht alles gleichzeitig“
Die Potsdamer SPD-Bundestagsabgeordnete Andrea Wicklein spricht im PNN-Interview über das neue Erneuerbare-Energien-Gesetz, bezahlbaren Strom und warum es Kohlekraftwerke in Brandenburg weiter geben wird.
Stand:
Frau Wicklein, das neue Erneuerbare Energien Gesetz, das EEG, tritt in Kraft. Kritiker meinen, damit werde die Energiewende ad absurdum geführt. Ist die SPD der Bremsklotz auf dem Weg zu klimaneutralen Energieversorgung? Haben die Sozialdemokraten die Energiewende verraten?
Das sehe ich natürlich ganz anders. Wir haben die Energiewende nicht verraten, sondern vom Kopf wieder auf die Füße gestellt. Diese Anpassungen waren schon lange überfällig. Für den Ausstieg aus der Atomenergie gibt es nach wie vor einen breiten gesellschaftlichen Konsens. Das wird aber nur dabei bleiben, wenn die Strompreise bezahlbar sind, Versorgungssicherheit gewährleistet ist und unsere Klimaschutzziele erreicht werden. Das hinzubekommen, ist eine riesige Herausforderung. Deshalb bin ich froh, dass die Energiepolitik in einem Ressort gebündelt ist und von einem sozialdemokratischen Minister verantwortet wird. Sigmar Gabriel macht einen guten Job.
Was bringt das neue EEG Brandenburg, mehrfach ausgezeichneter Spitzenreiter beim Ausbau der Erneuerbaren?
Brandenburg hat die Chancen beim Umstieg auf Erneuerbare Energien hervorragend genutzt. Und das soll auch so bleiben. Auch vom neuen EEG wird Brandenburg profitieren. Es ist ja nicht so, dass die Förderung der Erneuerbaren jetzt komplett abgeschafft wird und es den Vorrang bei der Einspeisung nicht mehr gibt. Auch zukünftig wird es sich lohnen in Sonnenenergie oder Windkraft zu investieren. Der Anteil an Strom aus Erneuerbarer Energie liegt heute in Deutschland bei 28 Prozent Das ist beachtlich und darauf können wir stolz sein. Bis 2025 wollen wir 40 bis 45 Prozent erreichen. Also vom Abwürgen der Energiewende kann keine Rede sein. Die Herausforderung dabei ist, die Kosten gerechter zu verteilen, innovative Speichertechnologien zu entwickeln und den Netzausbau voranzutreiben, damit der Strom aus Sonne oder Wind auch zur richtigen Zeit und am richtigen Ort zur Verfügung stehen kann. Also es geht nicht nur um den Ausbau, sondern auch um eine marktgerechte Bereitstellung. Brandenburg hat viele innovative Unternehmen, die ihre Chancen auch zukünftig nutzen werden. Da bin ich mir ganz sicher.
Kommunen, Genossenschaften, die Bäckerei nebenan, Bürgervereine, Landwirte, Projekte wie Unisolar in Potsdam oder auf früheren Übungsplätzen können nun nicht mehr so leicht eigene Solaranlagen bauen, weil nicht finanzierbar. Ab einer Leistung von über zehn Kilowatt müssen sie nun die EEG-Umlage zahlen. Das scheint nicht sehr durchdacht.
Im Gegenteil, die Belastung des Eigenverbrauchs gefährdet keineswegs die Wirtschaftlichkeit von Neuanlagen, da die zusätzliche Belastung auch in die Berechnung der Fördersätze eingeflossen ist. Wir reagieren mit der Belastung des Eigenverbrauchs auf den Trend der letzten Jahre, wonach der finanzielle Vorteil der Eigenversorgung mit steigender EEG- Umlage immer attraktiver wurde. Der Anreiz für die Industrie, aber auch für Anlagenbesitzer ist mit mittlerweile beinahe 20 Cent pro Kilowattstunde. Stichworte: Einsparung der EEG-Umlage, Netzentgelte, Konzessionsabgabe, Stromsteuer. Das ist so hoch, dass sich immer mehr Erzeuger der öffentlichen Finanzierung des EEG entzogen haben, die Stadtwerke mehr und mehr Probleme bekommen haben, und die EEG-Umlage von denjenigen allein geschultert werden muss, die sich beispielsweise keine Photo-Voltaik-Anlage oder industrielle Eigenversorgung leisten können. Aus Sicht der SPD-Bundestagsfraktion musste diesem wenig solidarischen Trend Einhalt geboten werden. Zukünftig verteilen wir die Kosten des EEG wieder auf mehr Schultern. Wichtig ist auch, dass Eigenheimbesitzer von dieser Regelung ausgenommen sind, daher die 10-Kilowatt-Grenze. Dies ist durchdacht, gerecht und kommt den Bürgerinnen und Bürgern, die die Energiewende im Kleinen vorantreiben wollen, zugute.
Der Eindrcuk bleibt, dass die Energiewende von unten gebremst wird, Verbraucher die Hauptlast tragen, aber große Industrieunternehmen und die Kohlewirtschaft von der EEG-Umlage befreit werden. Sind die Sozialdemokraten eher die Genossen der Bosse als des kleinen Mannes? Was ist daran sozial?
Ich bin sehr erleichtert darüber, dass wir die Umlagebefreiung für besonders stromintensive Unternehmen gegenüber der EU Kommission erfolgreich verteidigt haben. Das war ein riesen Kraftakt. Und dabei ging es uns und den Gewerkschaften weniger um die Bosse als vielmehr um die hunderttausende Industriearbeitsplätze, von deren Fortbestand auch unzählige kleine und mittlere Unternehmen abhängig sind. Was wäre daran sozial, wenn wir sehenden Auges akzeptiert hätten, dass unsere Industrie in vielen Bereichen nicht mehr wettbewerbsfähig wäre und die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ihre Jobs verloren hätten? Ich glaube, spätestens dann hätten wir unsere gesamte Energiewende einpacken können. Aber Sie haben natürlich Recht mit Ihrer Frage. Je mehr Unternehmen befreit sind, umso höher ist die Last, die alle anderen zu tragen haben. Auch da wurde in der Vergangenheit viel Unfug gemacht, den wir korrigiert haben. Im Vergleich zum EEG von 2012 wurde die Eintrittsschwelle in die Privilegierung gemessen an der Energieintensität heraufgesetzt.
Aber wie soll das die Energiewende voranbringen?
Die Energiewende wird doch nur dann erfolgreich sein, wenn die Menschen ausreichend Geld verdienen, um die Stromkosten zu bezahlen. Neben den Klimaschutzzielen ist doch gerade unsere Wettbewerbsfähigkeit, der Erhalt unserer Arbeitsplätze ganz entscheidend. Glauben Sie, dass die Unterstützung der Energiewende noch da wäre, wenn wir damit Industriearbeitsplätze in Deutschland vernichten? Ich glaube das nicht. Ganz im Gegenteil, im Ausland schaut man ganz genau darauf, wie wir dieses ambitionierte Vorhaben des Umstiegs auf Erneuerbare Energien bewältigen. Momentan ist die Skepsis noch groß. Außerdem fokussieren wir uns in unserem Gespräch ausschließlich auf das EEG. Das Thema der Energieeffizienz, der Einsparung von Energie wäre mindestens genauso spannend. Auch da müssen wir eine große Schippe drauflegen. Da liegen wir weit hinter unseren Möglichkeiten zurück.
Noch einmal konkret: Warum werden Kohlekraftwerke nach wie vor von der EEG- Umlage befreit, obwohl sie Klima massiv schädigen?
Ich gehe davon aus, dass Sie auf die Regelungen zum Eigenverbrauch anspielen. Grundsätzlich gilt, dass aufgrund des Vertrauensschutzes nicht in den Bestand eingegriffen wird. Alles andere würde ein falsches Signal in Richtung Investitionsschutz senden. Die EEG-Novelle in Bezug auf die Belastung des Eigenstromverbrauchs gilt nur für Neuanlagen – also nicht für Bestandsanlagen – und dort werden konventionelle Kraftwerke, Anlagen der Kraftwärmekopplung und erneuerbare Energieanlagen einheitlich zur Finanzierung des EEG herangezogen.
Das eigentliche Ziel des EEG ist doch das Auslaufen der fossilen Stromerzeugung und der Ausbau der Erneuerbaren auf hundert Prozent. Wir können nicht recht erkennen, dass das neue EEG dieses Ziel noch verfolgt. Helfen Sie uns auf die Sprünge?
Das EEG wurde im Jahr 2000 mit dem Ziel der Markteinführung Erneuerbarer Energien vom Deutschen Bundestag beschlossen und ist emotional eng mit dem Atomausstieg verbunden. Im Rahmen der Energiewende wollen wir unseren Energiebedarf ohne Atomstrom und auch langfristig ohne Kohle decken. Den Anteil von Erneuerbaren Energien wollen wir auf 40 bis 45 Prozent im Jahr 2025 und auf 55 bis 60 Prozent im Jahr 2035 steigern. Das ist ein sehr ehrgeiziges Ziel! Deshalb wurde und wird der Ausbau der Erneuerbaren Energien massiv gefördert. Klar ist aber auch, dass wir aus Gründen der Versorgungssicherheit sowie Bezahlbarkeit zur Zielerreichung im Übergang auf Kohlestrom angewiesen sind. Stellen Sie sich mal vor, was in unserer hochkomplexen Gesellschaft passieren würde, wenn für mehrere Stunden der Strom ausfiele. Von Tagen will ich hier gar nicht reden. Jedem, der sich darüber einen Eindruck verschaffen will, empfehle ich das Buch „Black out“ von Marc Elsberg als Sommerlektüre.
Das neue EEG befreit die größten Klimasünder nicht nur von der Umlage, sondern räumt Kohlekraftwerken einen Vorrang ein. Der Einspeisevorrang der Erneuerbaren fällt bei negativem Strompreis über sechs Stunden weg, nicht mehr die Kohlekraftwerke müssen bei großem Stromangebot gedrosselt, sondern Wind-, Biogas- und Solaranlagen abgeschaltet werden. Was soll das?
Zunächst einmal stellt der Zustand negativer Börsenpreise und das über sechs Stunden eine Ausnahmesituation dar und ist in der Vergangenheit in der Häufigkeit an einer Hand abzählbar. Richtig ist, dass wenn der Wind weht und die Sonne scheint, ein Großteil unseres Energiehungers bereits von den Erneuerbaren gedeckt wird. Aufgrund des Preisbildungsmechanismus führt dies zu geringen Börsenpreisen und steigenden EEG-Kosten, da die Differenz zwischen Marktpreis und garantierten Einspeisetarif wächst. Mit der neuen Regelung wird nach sechs Stunden die Vergütung der eingespeisten Energie ausgesetzt. Der Einspeisevorrang bleibt davon unberührt. Richtig ist aber, dass Kohlekraftwerke nicht beliebig schnell hoch und runter gefahren werden können, so dass sie aus Gründen der Versorgungssicherheit eine Grundleistung an Strom bereitstellen. Ich bin mir dessen bewusst, dass wir unsere Energieversorgung flexibler gestalten müssen und negative Strompreise verhindern müssen. Hierzu sind die Gespräche im Ministerium bereits aktiv im Gange.
Die Ausbauraten für die Erneuerbaren wurden gesenkt, damit lässt sich gerade das Ende der Atomkraftwerke kompensieren. Klimaschädliche Braunkohle kann weiter verfeuert werden. Wie lange noch?
Vor dem Hintergrund der Synchronisierung des Zubaus der Erneuerbaren Energien mit dem Netzausbau haben wir technologiespezifische Ausbauziele festgelegt. Diese orientieren sich an den Zubauzahlen der letzten Jahre. Bei Wind onshore ist ein künftiger Netto-Zubau von 2.400 bis 2.600 MW vorgesehen. Ein derartiger Zubau wurde in keinem der letzten zehn Jahre erreicht. Wie bereits erwähnt, wollen wir den Anteil der Erneuerbaren kontinuierlich steigern und damit auch langfristig die Braunkohle aus unserer Energieversorgung verdrängen.
Ihr Hauptargument ist die Bezahlbarkeit des Stroms. Auf der anderen Seite stehen die Wetterextreme, wir haben es in Deutschland in den vergangenen Tagen selbst erlebt. Wie also steht es mit der Bezahlbarkeit der Klimafolgekosten?
Die Klimaveränderungen sind das Ergebnis vieler Faktoren, darunter auch einer verfehlten Energiepolitik der letzten hundert Jahre und das weltweit. Wir versuchen ja gerade mit unserer Energiewende dieser Entwicklung entgegen zu wirken. Wir müssen global denken! Umso entscheidender ist es, dass uns dieses ehrgeizige Projekt der Energiewende gelingt, damit wir andere Länder motivieren uns zu folgen. Die negativen Klimafolgen, wie Wetterextreme, sind ein globales Problem, das wir nur global lösen können. Wenn die Energiewende in Deutschland ein Erfolg wird, ist sie auch Vorbild für andere Länder.
Bei der Debatte um das EEG konnte man nicht den Eindruck gewinnen, als ginge es der SPD um den Klimaschutz. Überzeugen Sie uns vom Gegenteil.
Da haben Sie den falschen Eindruck gewonnen. Auch der SPD geht es um die Einhaltung der Klimaschutzziele. Jedoch darf das nicht unsere einzige Motivation sein. Beim Ausstieg aus der Atomenergie ging es auch um die Sicherheit. Fukushima hat uns noch einmal deutlich vor Augen geführt, was bei einem Nuklearunglück passieren kann. Auch der Ausstieg aus der fossilen Energiegewinnung bleibt unser Ziel. Aber es geht nicht alles gleichzeitig. Jedem normal denkenden Menschen ist klar, dass man nicht die Atomkraftwerke und die Kohlekraftwerke gleichzeitig abschalten kann, sondern die Energiewende geordnet erfolgen muss. Dieser Herausforderung stellen wir uns.
Ihr Genosse Ulrich Freese aus der Lausitz, Brandenburgs Vattenfall-Mann im Bundestag, bei den Koalitionsgesprächen für den besonderen Schutz der Braunkohle eingesetzt. Beharren Sie nicht auf überholter Technologie und fehlt Ihnen der Mut, Visionen für die Energiewende zu entwickeln?
Klar ist, dass wir die Braunkohle in den nächsten Jahren noch brauchen. Noch einmal, wir können nicht aus der Atomenergie und gleichzeitig aus der Kohleverstromung aussteigen. Die Braunkohle ist für die Energiewende eine wichtige Brückentechnologie.
Die Fragen stellte Alexander Fröhlich
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: