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Brandenburg: Flagge bekennen

Wie Berliner Türken den aktuellen Streit zwischen Deutschland und der Türkei bewerten

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Berlin - In Berlin leben etwa 170 000 Männer und Frauen türkischer Abstammung. Manche mit türkischem Pass, andere mit deutschem. Manche wählen Erdogan, andere nicht, aber eins haben die meisten von ihnen gemeinsam: Sie unterhalten sich über die umstrittenen Aussagen des türkischen Staatschefs.

Recep Tayyip Erdogan bezeichnete türkischstämmige Abgeordnete im Bundestag als verlängerten Arm der kurdischen PKK und forderte Bluttests, um ihre Herkunft zu beweisen. Martin Schulz (SPD) sprach von einem „absoluten Tabubruch“, Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) verurteilte die Aussagen als „hasserfüllte Drohungen“. Nicht nur die deutsche Politik reagierte schockiert, auch der Türkische Bund in Berlin-Brandenburg sprach von einer „völlig inakzeptablen Reaktion“. Nicht alle teilen diese Kritik. In der türkischen Gemeinschaft in Berlin finden Erdogan trotzdem noch viele gut.

An den Spannungen seien eigentlich die Deutschen schuld, sagt etwa Bekir Yilmaz, Präsident der Türkischen Gemeinde zu Berlin. Der emotionale Bruch in der türkischen Gemeinschaft sei durch die Armenien-Resolution entstanden. Der Deutsche Bundestag hatte vor gut einer Woche unter Protest der Türkei sowie vieler Berliner Türken beschlossen, das Massaker an den Armeniern während des Ersten Weltkriegs offiziell als Völkermord zu bezeichnen. Die Türkei zog daraufhin ihren Botschafter aus Deutschland ab.

„Die aktuellen Aussagen des Präsidenten beschäftigen die Leute nicht so sehr, wie der Armenien-Beschluss. Die Diskussion darüber ist überflüssig“, sagt Yilmaz. Zudem sei die Übersetzung ins Deutsche nicht ganz richtig. „Zu sagen, jemand hat unreines Blut, ist auf Türkisch nicht so schlimm.“ Das könne man sagen, wenn man wütend auf jemanden ist.

Der grüne Bundestagsabgeordnete und Kreuzberger Özcan Mutlu lässt diese Argumente nicht gelten. Er bezeichnet die Aussagen des türkischen Präsidenten als demokratiefeindlich und Gift für die Gemeinschaft in Berlin. „Es ist wirklich traurig, dass diese Debatte das Zusammenleben derart beeinflusst“, sagt Mutlu. Er, sowie sein Bundestagskollege Cem Özdemir, waren nach der Armenien-Abstimmung bedroht und beleidigt worden. Die türkische Stadt Pazar, Heimatort seines Vaters, entzog Özdemir sogar die Ehrenbürgerschaft. Zur neuen Ehrenbürgerin wurde Bettina Kudla von der CDU ernannt, die gegen die Armenien-Resolution gestimmt hatte.

Die Berliner Integrationssenatorin Dilek Kolat fürchtet um das friedliche Zusammenleben: „Erdogan sollte schnell wieder abrüsten. Seine gewalttätige Rhetorik spaltet.“ So einig sich die deutsch-türkischen Politiker sind, so gespalten bleibt die Gemeinschaft der Türken in Berlin. „Es gibt zwei Blöcke, die einen finden Erdogan stark. Sie halten ihn für einen Macher“, sagt Dervis Hizarci, Leiter der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus. „Die anderen dachten womöglich schon immer, dass Erdogan ein Wolf im Schafspelz ist und jetzt sein wahres Gesicht zeigt.“ Auch Ender Cetin, Vorsitzende des Moscheevereins der Sehitlik-Moschee in Neukölln, berichtet von Streit. „Ich habe schon von Unterstützern Erdogans Kritik an seinen Aussagen gehört“, sagt er. „Als Moslem sollte man niemanden wegen seiner Hautfarbe, Herkunft, Religion oder Weltanschauung diskriminieren.“

Anfang der Woche sagte der vom türkischen Staat gesteuerte Moschee-Dachverband Ditib ein Treffen mit Norbert Lammert ab. Der Grund waren Sicherheitsbedenken. Es soll Drohungen gegeben haben, Demonstrationen wurden angekündigt. Auch die Berliner Innenpolitik sorgt sich um die Stimmung in der Stadt. Berlins Innensenator Frank Henkel (CDU) ist überzeugt, dass die Spannungen mit Ankara keine gravierenden Auswirkungen auf das Zusammenleben der Menschen in Berlin haben werden.

M. Berger/S. Dassler

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