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Umweltbundesamt: Nachtflugverbot am BER und Routenkorrekturen: Freude und Skepsis bei Bürgerinitiativen
UPDATE. Es klingt für Fluglärm-Gegner und Routen-Kritiker zu schön um wahr zu sein: Das Umweltbundesamt will ein Nachtflugverbot am BER und andere Flugrouten - auch über Potsdam und den Havelseen. Doch sein Einfluss auf die Routen ist gering.
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Berlin/Potsdam - Freude über die Bestätigung ihrer Positionen, aber auch Skepsis hinsichtlich der Durchsetzungskraft des Umweltbundesamtes: So lassen sich die ersten Reaktionen der Bürgerinitiativen rund um den neuen Großflughafen in Schönefeld zu einem Lärmschutzgutachten der obersten Umweltbehörde auf den Punkt bringen, das am Dienstag vorgestellt werden soll. Die Behörde plädiert in ihrer vorab bekannt gewordenen Stellungnahme für ein generelles Nachtflugverbot, für die Verlegung der umstrittenen Abflüge über den Müggelsee und Flugrouten, die den Wannsee, Potsdam und die Havelseen-Region in Potsdam-Mittelmark von Überflügen verschonen.
Berlins Umweltverwaltung hält eine generelle nächtliche Flugpause für politisch nicht mehr durchsetzbar. „Die Entscheidung ist gefallen“, sagte eine Sprecherin am Sonntag. Auch Kerstin Kircheis, die Verkehrsexpertin der brandenburgischen SPD-Landtagsfraktion, sieht für ein komplettes Nachflugverbot von 22 bis 6 Uhr keine Chancen mehr. „Wir wollen einen Flughafen, der wirtschaftlich arbeitet“, sagte sie am Sonntag den PNN. Dies sei mit dem eingeschränkten Nachflugverbot von 0 bis 5 Uhr und Randzeiten von 24 bis 0 Uhr sowie von 5 bis 6 Uhr gerade noch machbar. Der verkehrspolitische Sprecher der Berliner SPD, Ole Kreins, sprach von einer „vernünftigen Einschränkung“, sieht aber Spielräume bei den strittigen Flugrouten über den Müggelsee und Wannsee sowie beim Monitoring für die Flugrouten.
Brandenburgs Verkehrsstaatssekretär Rainer Bretschneider bekräftige die Position der rot-roten Landesregierung, die ein durchgängiges Flugverbot ablehnt. „Die Haltung des Umweltbundesamtes ist nicht neu“, sagte er den PNN. Allerdings begrüße er die neuen Routenvorschläge der Behörde: „Wenn dabei etwas herauskommt, was den Bürgern hilft und das Bundesamt für Flugsicherung zu einer differenzierten Prüfung bringt, ist die Landesregierung die erste, die auf den Kahn aufspringt.“
Die Grünen im brandenburgischen Landtag dagegen sehen Nachbesserungsbedarf. Das Gutachten bestätige, wie falsch die Entscheidung von Rot-Rot sei, sich einem konsequenten Nachtflugverbot zu verweigern, erklärten sie. Auch Grüne und Linke im Berliner Abgeordnetenhaus forderten, das Thema erneut „auf die politische Tagesordnung“ zu setzen.
Laut Luftverkehrsgesetz muss das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung die An- und Abflugrouten und nächtlichen Regelungen zwar „im Benehmen“ mit dem Umweltbundesamt festlegen, aber nicht im Einvernehmen. Dieser feine Unterschied bedeutet, dass die Umweltbehörde zwar gehört wird, aber kein Vetorecht hat. Die Flugsicherung will ihre endgültigen Routenpläne am 26. Januar vorstellen.
Der Sprecher des Initiativenbündnisses Berlin-Brandenburg gegen neue Flugrouten, der Potsdamer Markus Peichl, begrüßte die Aussagen des Umweltbundesamtes. „Wir fühlen uns bestätigt, in dem Gutachten steht das, was wir immer gebetsmühlenartig gefordert haben“, sagte Peichl den PNN. Entscheidend sei, welche Konsequenzen gezogen würden. Das Gutachten sei zunächst eine Blamage für die Politik, sage genau das aus, was Brandenburgs Umweltministerium 1998, damals noch geführt vom heutigen Ministerpräsident en Matthias Platzeck (SPD), festgestellt habe: „Dass der neue Hauptstadtflughafen wegen der Nähe zum Stadtrand und zu besiedelten Gebieten am falschen Standort gebaut werde“. Jetzt müsse sich Platzeck bekennen, „ob er endlich ein richtiges Nachtflugverbot durchsetzt oder bei seiner sturen Haltung bleibt“.
Tatsächlich kritisiert das Umweltbundesamt das Vorgehen der Behörden bei der Routenfestlegung. Viele Bürger in der Region seien aufgrund der Informationen aus dem Planfeststellungsverfahren lange davon ausgegangen, nicht betroffen zu sein. Mit Schönefeld sei aber ein Standort am Rande eines dicht besiedelten Gebiets sowie in der Nähe von Erholungsgebieten gewählt worden. Die bisherigen Routenvorschläge der Deutschen Flugsicherung würden der komplexen Besiedlungsstruktur in der Umgebung des BER nur unzureichend gerecht. Deshalb empfiehlt das Bundesamt, nach Eröffnung des Flughafens am 3. Juni die Routen ein Jahr lang mit einem Lärm-Monitoring zu überprüfen und erst danach endgültig festzulegen.
Viel Hoffnung mache das Gutachten aber nicht, sagte Peichl. Im Zweifel würden bei der Entscheidung über die Routen Flugsicherheit und Wirtschaftlichkeit vor Lärm- und Umweltschutz gehen. Auch sonst sei die Haltung des Bundesumweltamtes wenig überraschend: „Es ist doch überall so, dass die Umweltbehörden die Argumente der Bürgerinitiativen an Flughäfen stützen. Konsequenzen hat das aber nie, weder in München, Frankfurt, Wien oder Zürich. Es ist überall dasselbe.“
Fluglärmgegner wollen nun vor das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe ziehen oder auch europäische Gerichte anrufen. Zuvor waren Anwohner und Initiativen im Oktober vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig mit ihrer Forderung nach einem generellen Nachtflugverbot gescheitert. Das neue Gutachten liefert den Initiativen nun zumindest Argumente, um politisch gegen diese Regelung vorzugehen. Brandenburgs Landtag hatte Mitte Dezember eine Volksinitiative für ein komplettes Nachtflugverbot abgelehnt. Nun müssen die Initiativen entscheiden, ob sie mit 80 000 Unterschriften einen Volksentscheid erzwingen. Für den 21. Januar ist eine Groß-Demo in Berlin geplant, bereits am heutigen Montagabend ein Protestzug in Friedrichshagen.
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