EINGEWANDERT BEDROHT: Gefährliches Know-how aus Übersee
Einst Fastenessen für Berliner – nun Rarität: die Sumpfschildkröte. Deutschlands letzte Exemplare leben in Brandenburg. Noch. Diese und andere Arten sind von eingewanderten Jägern bedroht
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Potsdam - Noch vor rund 200 Jahren wurden ganze Wagenladungen voll auf den Märkten in Berlin zum Verkauf angeboten, heute ist sie extrem selten und hierzulande vom Aussterben bedroht: die europäische Sumpfschildkröte. Gerade noch 70 erwachsene Tiere leben in Deutschland – und dies ausschließlich in Brandenburg. Doch auch in ihrem letzten deutschen Rückzugsgebiet ist die kleine bis mittelgroße, fleischfressende und überwiegend im Wasser lebende Schildkröte zunehmend in Gefahr. Schuld ist der Waschbär, ein äußerst raffinierter Jäger, der in seiner ursprünglichen Heimat Nordamerika gelernt hat, den harten Panzer einer Schildkröte zu knacken. „Immer wieder setzen wir gezüchtete kleine Schildkröten aus und später finden wir nur noch die leeren Panzer. Die Verluste sind erheblich“, sagt Professor Matthias Freude, Präsident des brandenburgischen Landesumsweltamtes (LUGV).
Als Stalldieb und Nesträuber ist der Waschbär in Deutschand schon seit Langem verschrien. Seinen Namen verdanken die Tiere dem Umstand, dass sie ihre Nahrung sorgsam untersuchen – nicht selten im Wasser. Eine Angewohnheit, die der Sumpfschildkröte zum Verhängnis werden kann. „Der Waschbär tastet im Wasser nach den Kröten und beißt sie an der einzig möglichen Stelle zwischen Brust und Rückenpanzer auf. Dann kann er sie wie mit einem Scharnier aufklappen. Er ist der Einzige, der das kann“, erklärt Brandenburgs oberster Natur- und Umweltschützer. Neben den seltenen Schildkröten, die in Brandenburg an sieben Stellen vor allem in der Uckermark und im Odergebiet vorkommen, stellen Waschbären in Brandenburg auch der ebenfalls vom Aussterben bedrohten Großtrappe nach. Ende vergangenen Winters wurden an den drei deutschen Vorkommen in Brandenburg und Sachsen-Anhalt noch 138 Exemplare des größten und schwersten flugfähigen Vogels der Welt gezählt. Als Bodenbrüter sind die Eier der Großtrappe für Räuber wie den Waschbären eine leichte Beute.
Seit seiner Ankunft Anfang des 20. Jahrhundert hat sich der bis zu 70 Zentimeter lange und rund fünf Kilogramm schwere Kleinbär rasant augebreitet. Erlegten Jäger in Brandenburg nach Angaben des Landesumweltamtes 1980 noch insgesamt sechs Waschbären, waren es in der Jagdsaison 2011/2012 bereits knapp 14 500, eine Zunahme gegenüber der vorhergehenden Saison um 23 Prozent. Ein Fünftel der getöteten Waschbären stammte aus dem Landkreis Ostprignitz-Ruppin. Bundesweit wurden gut 71 071 Exemplare geschossen, 3365 mehr als im Jahr zuvor. Wirklich eindämmen lässt sich die weitere Ausbreitung der Waschbären aber offenbar nicht. „Das Problem ist nicht in den Griff zu kriegen“, glaubt Freude. Die Hoffnungen liegen eher in der natürlichen Begrenzung durch Krankheiten und Parasiten.
Schätzungen gehen heute von rund 500 000 Waschbären in ganz Deutschland aus. Ihren Siegeszug traten die Tiere an zwei verschiedenen Orten an. Zum einen setzte ein Jäger 1934 bei Kassel vier aus Nordamerika eingeführte Exemplare aus, zum anderen entwischten 1945 etwa 20 Waschbären nach einem Bombentreffer aus einem Waschbärengehege in Wolfshagen bei Strausberg (Märkisch-Oderland). „Wir vermuten jetzt, dass sich die Populationen aus beiden Quellen verbunden haben“, meint der LUGV-Präsident Freude.
Zu schaffen machen dem heimischen Ökosystem auch andere zugereiste Räuber, etwa der Marderhund, der eigentlich in Ostasien zu Hause ist und in Osteuropa lediglich zur Pelztierjagd ausgesetzt wurde. „Vor allem für die Bestände von Wasservögeln ist der Marderhund ein echter Faktor“, sagt Matthias Freude. Seine Opfer sucht sich der zur Familie der Hunde zählende Räuber unter anderem auch dort, wo sie sich von jeher eigentlich in Sicherheit wähnen konnten. „Marderhunde gehen auch ins Schilf rein, schnappen sich Blesshühner, Haubentaucher und Rohrdommeln. Früher waren die Arten, die im Schilf gebrütet haben, quasi sicher, saßen in schwimmenden Nestern“, berichtet der Chef des Landesumweltamtes. Bei vielen Wasservögeln seien die Verluste dramatisch. Noch Ende der 90er-Jahre schossen Brandenburgs Jäger lediglich 785 Marderhunde, zuletzt waren es 5116. Dennoch zeichnet sich ab, dass die Marderhunde den Zenit der aktuellen Ausbreitung überschritten haben dürften. Gegenüber dem Vorjahr sank die Zahl der erlegten Tiere immerhin um zehn Prozent.
Verstärkt ins Visier der Jäger gerückt ist zuletzt auch ein heimischer Räuber, der sich den Waidmännern zufolge ebenfalls gerne an seltenen Vögeln vergreift. Die Rede ist vom Dachs. „Die Population hat unwahrscheinlich zugenommen“, sagt Georg Baumann, Geschäftsführer des Landesjagdverbandes Brandenburg. Das Tier vergreife sich an unter Schutz stehenden Bodenbrütern. In der Jagdsaison 2010/2011 wurden knapp 3200 Tiere erlegt – das ist die höchste Zahl seit zwölf Jahren und das sind sieben Prozent mehr als im vorherigen Berichtszeitraum. Die meisten Dachse wurden in der Uckermark zur Strecke gebracht.
Dass der Dachs oder Grimbart, wie er in der Sagenwelt genannt wird ebenfalls Bestände seltener Vogelarten bedroht, hält Professor Matthias Freude für ein Irrtum. „Meistens ernähren sich Dachse von Regenwürmen, Schnecken und anderen Kleintieren. Was Dachse an Vögeln erbeuten, ist lächerlich“, meint Freude. Tatsächlich aber habe sich der bis zu 14 Kilogramm schwere Räuber zuletzt deutlich vermehrt, bestätigt der Präsident des Landesumweltamtes. „Wieso, kann man gar nicht genau sagen.“ Dachse würden Laub- und Mischwälder als Lebensräume bevorzugen, aber äußerst empfindlich auf die Zerschneidung ihrer Reviere reagieren.
Noch in den 70er-Jahren war der Dachs Freude zufolge sogar relativ selten. Zwar gilt Dachsfleisch wie das der Sumpfschildkröte als schmackhaft, der Grund war aber ein anderer. Reihenweise sind die zur Familie der Marder gehörenden Jäger einem behördlich angeordneten Feldzug zum Opfer gefallen, der eigentlich dem Fuchs galt. Durch das Begasen von Fuchsbauten sollte eigentlich die Tollwut ausgerottet werden, stattdessen habe es nicht selten den Dachs erwischt, erläutert der LUGV-Chef. „Fuchs und Dachs leben oft im gleichen Bau, teilweise gleichzeitig.“
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