Brandenburg: Gefechtszentrale der Energiewende
Aus Neuenhagen wird das Hochspannungsnetz in sieben Ländern gesteuert. Windstrom macht das schwieriger. Ein Besuch im Hochsicherheitstrakt
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Neuenhagen - Selbst in Berlin gingen sofort alle Lichter aus, wenn in diesem Raum etwas schiefgeht. In ein „paar Millisekunden“, sagte Boris Schucht. Er ist Geschäftsführer des Netzbetreibers 50Hertz, ein Unternehmen, das aus dem brandenburgischen Neuenhagen (Märkisch-Oderland), ein paar Kilometer östlich von Marzahn, die Höchstspannungsnetze in Brandenburg, Berlin, allen anderen ostdeutschen Ländern sowie Hamburg steuert. Am Mittwoch führte Schucht Brandenburgs Ministerpräsidenten Dietmar Woidke (SPD) in die Leitwarte von 50Hertz, aus der der Strom aus Kraftwerken, Wind- oder Solarparks dann über zehntausend Kilometer 380- und 220-KV-Trassen verteilt in den bevölkerungs- und industriereichen Südwesten Deutschlands oder ins Ausland geschickt wird. Brandenburg sei ja mit seinen Kohlekraftwerken und den erneuerbaren Energien „ein Stromüberschussland“, sagte Schucht.
Die Leitwarte ist, wohl auch wegen Terror-Gefahr, ein Hochsicherheitstrakt. Eingezäunt, abgeschirmt. Einlassschleusen, Bunkerwände, Panzerglasfenster, Kampfgasdetektoren, eigene Notstromversorgung. Ja, so sieht die Kommandozentrale der Energiewende für Berlin, Brandenburg, Hamburg und den Osten der Bundesrepublik aus. Drinnen ist es ein Raum mit einem Dutzend Rechnern, an denen vier, fünf Mitarbeiter arbeiten, den Großbildschirm in der Dimension einer Kinoleinwand mit dem Gesamtnetz immer in Blick, mit allen Trassen, allen Kraftwerken. Da sei die Umspannwarte der Lausitzer Braunkohlekraftwerke, zeigte Schucht etwa auf ein paar grün blinkende Zeichen. Woidke, aus Forst: „Das ist ja bei mir um die Ecke.“ Hier, in der Leitzentrale im brandenburgischen Neuenhagen, wird 24 Stunden am Tag austariert, dass die Netz-Frequenz im Hochspannungsnetz – dem Rückgrat der Stromversorgung – immer exakt 50 Hertz beträgt. Nur minimale Ausschläge von 0,02 Hertz wären tolerabel, mehr nicht. Bei größeren Schwankungen nach oben oder unten könnte ein „Blackout“ drohen. Das ist ein Zusammenbruch des Gesamtnetzes. Und es würde Wochen, ja Monate dauern, es wieder hochzufahren. „Das wäre dann die Frage für Politik und Verwaltung: Wie lange dauert es, bis Anarchie ausbricht“, sagte Woidke nachdenklich.
Auch der eigentliche Grund, weshalb Brandenburgs Regierungschef für diesen Termin die Runde der ersten Koalitionsverhandlungen von CDU und SPD in Berlin verließ, wo er Mitglied der SPD-Verhandlungskommission ist, weshalb er Mittwochmittag extra den Abstecher zu 50 Hertz machte, hat damit zu tun: Es ist die Energiewende, die ein zentrales Thema bei der Bildung der neuen Bundesregierung ist. Nicht nur, dass der rasante Ausbau der erneuerbaren Energien, voran der Windkraft, bei dem Brandenburg eines der führenden, wenn nicht das führende Bundesland ist, die Strompreise steigen lässt. „Und Strom darf kein Luxusgut werden“, warnte Woidke. Schon jetzt führe der Anstieg zum Stocken bei Investitionen. Bedroht ist auch Stabilität. Ehe der Strom überhaupt aus den Steckdosen kommt, bringt er die Lotsen in der Kommandozentrale von 50 Hertz immer häufiger zum Schwitzen. Da niemand vorhersagen kann, wann wo wie viel Wind wehen wird, werden die Einspeisungen unberechenbar. Kommt plötzlich mehr Windstrom ins Netz, erhöht sich die Frequenz. Aus dem Schaltraum erhalten dann konventionelle Kraftwerke das Signal, ihre Produktion zu herunterzuregeln. Die Energieerzeuger wie Vattenfall werden dafür übrigens entschädigt. Die Statistik von 50Hertz ist eindrücklich, 2010 gab es 160 solcher Eingriffe „zur Gewährleistung der Systemsicherheit“, 2011 waren es 213, 2012 dann 262, die Entschädigungszahlungen kletterten 2012 auf 120 Millionen Euro. Das Netz werde immer fragiler, heißt es. Auch deshalb hat die Firma ein eigenes, separates Kommunikationsnetz – Glasfaserleitungen in den Hochspannungskabeln – zu den Kraftwerken. Das Internet etwa wäre viel zu stör- und angriffsanfällig. Er sei mit der Problematik „kritischer Infrastruktur“ aus seinem früheren Amt als Innenminister vertraut, sagte Woidke dazu knapp.
Auf der anderen Seite beweisen die Männer und Frauen in der Leitwarte schon jetzt, dass die Energiewende funktionieren kann. Vor 15 Jahren hätte jeder Fachmann noch gesagt, dass die Netze mehr als 5 Prozent erneuerbare Energien gar nicht austarieren können, berichtete Schucht. „Heute sind es 35 Prozent.“ Das sei eine „riesige Erfolgsstory“. Trotzdem plädiert er für ein etwas gedrosseltes Tempo beim weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien in Deutschland, damit die Anpassung der Netze – der Bau nötiger neuer Überlandtrassen, die Leitung nach Bayern etwa ist ein Nadelöhr, um die geplante Trasse durch Thüringen wird gestritten – und die adäquate Erneuerung der Leittechnik Schritt halten. „Wir sind die letzten Jahre etwas zu schnell unterwegs gewesen.“ Und einig war man sich deshalb, dass Braunkohlekraftwerke für eine stabile Stromversorgung noch lange unverzichtbar sind. Woidke nannte ein Datum: „Noch mindestens 30, 40 Jahre.“ Thorsten Metzner
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