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Widerstand. Es geht nicht nur um das Dorf, es geht ums Klima.

© Fröhlich

Kohle-Politik: „Heimat und Zukunft“ - Brandenburgs Anti-Braunkohle-Pakt

UPDATE. In der Lausitz wurde am Montag ein landesweites Bündnis für den Ausstieg aus dem Braunkohleabbau gegründet - mit dabei sind Politiker aller Landtags-Parteien, Bauern, Umweltschützer und die evangelische Kirche. Der Reformationstag soll zu einem jährlichen Anti-Tagebau-Tag und die Bagger des Energiekonzerns Vattenfall in der Lausitz gestoppt werden.

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Atterwasch - „In den Dörfern macht sich kollektive Depression und Angst breit“, sagt Pfarrer Matthias Berndt. „Egal, wo ich bin, es geht immer darum“. Der 61-Jährige steht vor seiner Kirche von Atterwasch bei Guben, einem 300-Seelen-Ort in der Lausitz und hat gerade den Gottesdienst zum Reformationstag abgehalten. „Die Leute haben Schlafstörungen, Albträume. Besonders die Älteren sagen, sie wären gern tot, bevor der Bagger kommt.“ Gemeint sind die Bagger des Energiekonzerns Vattenfall. Wenige Kilometer weiter südlich haben sie im Tagebau Jänschwalde die Erde aufgewühlt und eine Mondlandschaft hinterlassen – alles für die Braunkohle, mit der im Kraftwerk Jänschwalde Strom produziert wird.

In seiner Predigt forderte Brandt die Besucher auf, gegen Vattenfall „aufzumucken“ und „aufzustehen“. Das ist sein Job, als Seelsorger des Kirchenkreises Cottbus soll sich Brandt um die vom Braunkohleabbau betroffenen Menschen in der Region kümmern. Jetzt wird seine kleine Kirche in Atterwasch zur Kampfzone. Gleich nach dem Gottesdienst gründeten dort am gestrigen Reformationstag 120 Menschen das „Bündnis Heimat und Zukunft Brandenburg“. Unter den 80 Erstunterzeichnern des Gründungsaufrufs sind Abgeordnete von CDU, Linke und Grünen im Bundestag und Landtag, etliche Kommunalpolitiker aus ganz Brandenburg, Kirchenvertreter wie die Potsdamer Generalsuperintendentin Heilgard Asmus, Unternehmen, Agrar- und Wirtschaftsverbände. Reinhard Jung, Geschäftsführer des Bauernbundes und Initiator des Bündnisses sagt, „wir haben mächtige Gegner. Atterwasch ist unsere Verteidigungslinie, die wir nicht hergeben“.

Dabei waren sich die Einwohner lange sicher, dass ihr Dorf bleibt. Jedenfalls haben sie dem früheren Ministerpräsidenten Manfred Stolpe (SPD) geglaubt, als er vor mehr als zehn Jahren versprach, Horno sei das letzte Dorf, das der Braunkohle weichen muss. 2005 wurde es abgerissen, die Kirche gesprengt, der Kampf der Bewohner wurde zum Symbol für den Widerstand in der Lausitz gegen die Abbaggerung von Dörfern in der Lausitz.

Seit wann die Bewohner von Atterwasch in Angst vor der Zukunft leben, weiß Pfarrer Brandt genau. Es war im September 2008, als Post von Vattenfall im Briefkasten lag. Plötzlich war die Gewissheit weg und klar, der Energieriese will das Dorf abbaggern. Im Jahr 1294 wurde es erstmals urkundlich erwähnt. „Dort drüben das Haus“, sagt Brandt und zeigt auf die andere Straßenseite, „dort leben Leute, die können ihre Vorfahren hier im Dorf bis ins 14. Jahrhundert nachweisen.“

Das alles soll nach Vattenfalls Plänen verschwinden. Neben Atterwasch sind Grabko und Kerkwitz vom Tagebau Jänschwalde-Nord bedroht. An anderer Stelle sollen das Dorf Proschim und Teile von Welzow dem Tagebau Welzow-Süd weichen. Für beide Vorhaben läuft derzeit das Genehmigungsverfahren. Im nächsten Jahrzehnt könnten sie bereits von der Landkarte verschwunden sein.

Widerstand dagegen gibt es schon lange. Horno und seine Bewohner machten jahrelang Schlagzeilen. 2008 starteten Braunkohle-Gegner ein Volksbegehren gegen neue Tagebaue und scheiterten kläglich. Jetzt aber sei der Protest in der Mitte der Gesellschaft angekommen, „wir sind nicht nur die üblichen Verdächtigen“, sagt Bündnis-Mitbegründer Jung. „Wir haben die einst so erfolgreiche ‚Freie Heide‘ genau studiert und machen es jetzt genauso“, sagt Jung. „Die Menschen im Norden haben den Bombenabwurfplatz verhindert und wir wollen die Bagger vor den Dörfern stoppen.“ Vor zwei Jahren hatten die Bombodrom-Gegner die Bundeswehr zur Aufgabe ihrer Pläne gezwungen, der Protest ging von den Kirchengemeinden aus. So will es auch das Bündnis machen. „In der Heide gab es die Ostermärsche, wir treffen uns jedes Jahr am Reformationstag.“

Das Bündnis hat sich hohe Ziele gesteckt – den Ausstieg aus der Braunkohle und den Komplett-Umstieg auf erneuerbare Energien. „Wir werden nicht zulassen, dass die Landesregierung fünf weitere märkische Dörfer in den Abgrund reißt, um für Vattenfall Planungssicherheit bis 2060 zu schaffen“, sagt Jung. Die einseitige Fixierung auf Braunkohle führe in eine Sackgasse, heißt es im Gründungsaufruf. Tatsächlich geht es nicht mehr nur um die tiefen Löcher, die Vattenfall in die Lausitzer Erde gräbt. Es geht um Grundsätzliches, um die Energie- und Klimapolitik, die im fernen Potsdam bestimmt wird. Die Allianz der Braunkohle- Gegner ist in der vergangenen Jahren jedenfalls gewachsen. In Atterwasch machen jetzt Initiativen aus Beeskow und Neutrebbin mit. Es sind jene Orte in Ostbrandenburg, wo Vattenfall gerne mit der CCS-Technologie das klimaschädliche Kohlendioxid (CO2) aus seinen Braunkohlekraftwerken unterirdisch verpressen will.

Wolfgang Schluchter, Professor für sozialwissenschaftliche Umweltfragen an der BTU Cottbus, spricht von einer neuen Erfahrung für die Lausitz, in deren Dörfern stets auch Angst herrschte, sich gegen die wirtschaftlichen Interessen des wichtigsten Arbeitgebers zu stellen. „Angst ist ein schlechter Ratgeber. Sie zu überwinden, ist großartig.“

http://www.heimatzukunft.de

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