Bestattung des NS-Kriegsverbrechers: Hennigsdorf will kein Grab für Priebke
Der Anwalt des Kriegsverbrechers will mit der Stadt in Brandenburg noch sprechen. Doch die lehnt eine Bestattung des SS-Mannes an seinem Geburtsort ab. Wegen der Friedhofsordnung, aber auch weil Neonazis ein Priebke-Grab als Wallfahrtsort nutzen könnten
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Hennigsdorf/Rom/Potsdam - KZ steht in großen schwarzen Buchstaben über dem Mahnmal mitten auf dem Hennigsdorfer Marktplatz. „Den Toten zum Gedenken, den Lebenden zur Plicht“ ist darunter in Stein gemeißelt. Vor der Gedenkstätte aus dem Jahre 1948 steht Wilfried Knaur, ein Mann Mitte 50, und deutet erregt auf eine Zeitung in seiner Hand, in der ein Artikel über Erich Priebke steht. „Ein Begräbnis für so einen Nazi? Nicht bei uns“, ruft er so laut, dass sich Passanten umdrehen.
Erich Priebke ist tot und niemand will seine Leiche. In Italien, wo Priebke bis zu seinem Tod im Alter von 100 Jahren am Freitag wegen seiner Beteiligung an einem der schwersten Nazi-Massaker in Italien – der Erschießung von 335 italienischen Zivilisten in den Ardeatinischen Höhlen in Rom im März 1944 – unter Hausarrest lebte, ist der Widerstand groß, nicht nur gegen eine Trauerfeier, auch gegen eine Bestattung. Die Polizei in Rom untersagte jede öffentliche Begräbnisfeier samt Transport des Sarges und Kundgebungen. Die Behörden befürchten einen Aufmarsch von Neonazis. Auch Argentinien, wohin sich der frühere SS-Offizier nach dem Zweiten Weltkrieg mit falschem Pass abgesetzt hatte und wo er fast bis 1994 unbehelligt lebte, lehnte eine Bestattung in seinem früheren Wohnort ab.
Plötzlich ist daher Priebkes Geburtsstadt im Gespräch: Hennigsdorf, eine 25 000 Einwohner zählende Industriestadt am Nordwestrand von Berlin. Für die jüdische Gemeinde in Rom wäre das die optimale Lösung. Auch der Präsident des Simon-Wiesenthal-Zentrums, Efraim Zuroff, fordert, die Leiche in Deutschland einzuäschern. Mit deutschen Gesetzen lasse sich am besten verhindern, „dass die Trauerfeier und die Beisetzung zu einer Show für Neonazis werden“.
Die meisten Hennigsdorfer reagieren nüchtern. Vor dem City-Bistro am Bahnhof genießt Peter Schmitt nach der Schicht beim Bahnhersteller Bombardier die Sonne, gießt ein Pils ein und sagt: „Naja, jedem Menschen steht eine vernünftige Beerdigung zu, egal was er getan hat.“ Die Hennigsdorfer müssten Priebke ja keine Rosen aufs Grab legen. Auf keinen Fall dürfe die Grabstätte ein Wallfahrtsort für Neonazis werden, sagt der 40-jährige Monteur. „Das müssen wir verhindern.“
Noch aber steht nicht einmal fest, wo Priebke tatsächlich begraben wird. „Wir haben noch nicht entschieden und prüfen gerade, ob er in Rom, Deutschland oder Argentinien beim Grab seiner Frau beigesetzt wird“, sagt Priebkes langjähriger Anwalt Paolo Giachini den PNN. Sollte Priebke in Italien beerdigt werden, hätten das Innenministerium, Roms Bürgermeister und auch die jüdische Gemeinde mitzuentscheiden. Der Widerstand der katholischen Kirche gegen ein öffentlichkeitswirksames Begräbnis für Priebke ficht ihn jedenfalls nicht an. Ein Sprecher des Bistums Rom schloss zwar aus, dass es eine Trauerfeier in Rom geben wird. Ein Vatikan-Sprecher sagte, es dürfe keine öffentliche Zeremonie in einer römischen Kirche geben. Doch Anwalt Paolo Giachini sagt nur: „Wir werden immer Pfarrer finden, die das machen, die auf die Order der Obersten nicht eingehen.“ Selbst protestantische und muslimische Gemeinden hätten sich gemeldet und eine Trauerzeremonie angeboten. „Und mit Hennigsdorf müssen wir noch sprechen.“
Dort aber, im Rathaus, winkt man ab. „Wir haben kein Interesse, hier Kriegsverbrecher beizusetzen“, sagt eine Rathaussprecherin. „Wir wollen nicht und wir müssen nicht.“ Eine offizielle Anfrage für eine Beisetzung Priebkes würde die Stadt ablehnen und verweist auf ihre Friedhofssatzung. Danach dürfen auf den beiden Friedhöfen nur Menschen begraben werden, die ein Grab zuvor gekauft haben, die bei ihrem Tod in Hennigsdorf lebten oder hier verstorben seien. „Der Geburtsort reicht nicht als Begründung, um hier beigesetzt werden zu können.“ Ein Ausnahmefall wäre ein Familiengrab oder der ausdrückliche Wunsch von Angehörigen. Doch Hinweise darauf gibt es in den amtlichen Unterlagen der Stadt nicht.
Anders lagen die Dinge bei dem Kriegsverbrecher Heinz Barth, der 2007 im 50 Kilometer weiter nördlich gelegenen Gransee, ebenfalls gelegen im Landkreis Oberhavel, bestattet wurde. Barth war als Obersturmführer der Waffen-SS an einem der schlimmsten Massaker der Nationalsozialisten beteiligt: Im französischen Dorf Oradour-sur-Glane wurden im Juni 1944 insgesamt 642 Menschen getötet. Dafür verurteilte ihn 1983 ein DDR-Gericht zu lebenslanger Haft. 1997 kam er auf freien Fuß. In Gransee wurde er bestattet, weil er dort zuletzt gewohnt hatte.
Bei Priebke ist das nicht so einfach. Er wurde 1913 in Hennigsdorf geboren – in der Wohnung seiner Eltern, so steht es im Archiv der Stadt. Der letzte Eintrag über ihn stammt aus dem Jahr 1936. Damals war Priebke, seit 1933 NSDAP-Mitglied und in verschiedenen Hotels in Europa tätig, nach Deutschland zurückgekehrt und begann seine Karriere im Machtapparat des NS-Regimes. Dem Eintrag zufolge heiratete Priebke damals in Berlin. Dann verlieren sich seine Spuren in Hennigsdorf. In Berlin kam er zur Gestapo und wurde schließlich Verbindungsoffizier in Rom.
Auch sonst hat Hennigsdorf gute Gründe, Priebke nicht in der Stadt bestatten zu lassen. Neonazis könnten ein Priebke-Grab als Wallfahrtsort nutzen. In Deutschland kommen ihnen immer mehr Pilgerstätten abhanden, wie etwa das bayerische Wunsiedel, wo das Grab von Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß 2011 eingeebnet wurde, um die jährlichen Neonazi-Aufmärsche endlich zu unterbinden. Und bei Priebke wäre die Gefahr groß: Der frühere SS-Offizier wird in der rechtsextremistischen Szene als Kultfigur verehrt. Auch weil er der Nazi-Ideologie bis zuletzt treu blieb. Für seine Verurteilung zu lebenslanger Haft 1998 machte eine jüdische Verschwörung verantwortlich. In einer Erklärung, die sein Anwalt nach Priebkes Tod veröffentlichte, heißt es: Gaskammern seien nie in (NS-)Konzentrationslagern gefunden worden. Die Holocaust-Leugnung dürfte auch in der hiesigen Neonazi-Szene gut ankommen. Hennigsdorf hat ohnehin schon schlechte Erfahrungen mit der braunen Priebke-Verehrung gemacht.
2012 hatte ein NPD-Funktionär eine Anzeige für Priebke zum 99. Geburtstag in der Lokalzeitung geschalten. Einen Tag später, am 27. Juli, zogen 50 schwarz gekleidete und maskierte Neonazis mit Fackeln durch die Stadt. Dingfest machte die Polizei wenige. Die Staatsanwaltschaft ermittelt seither wegen des Verdachts der Verwendung von Kennzeichen verfassungsfeindlicher Organisationen und Volksverhetzung. Eine Belohnung von 1000 Euro für Hinweise zu den Drahtziehern blieb ohne Erfolg.
Trotz allem könnte Priebke seine letzte Ruhe in Deutschland finden. Ein deutscher Staatsangehöriger könne grundsätzlich in Deutschland bestattet werden, teilte das Auswärtige Amt mit. Die Entscheidung liege bei den Angehörigen. Ob es noch welche gibt, ist unklar.
Vielleicht also doch Hennigsdorf? Dorothe und Karl Schütze, die gerade mit ihren Einkäufen und Dackel im Fahrradkorb am Bahnhof halten, haben eine Idee, wie das zu schaffen ist. „Den Mann muss man anonym beerdigen, ohne Namensplatte und Grabnummer, eben ganz geheim.“ Am hintersten Zipfel des Hennigsdorfer Waldfriedhofes gibt es ein anonymes Gräberfeld unter Eichen. Eine Decke von Herbstlaub liegt darüber. Wer diesen Ort nicht kennt, bemerkt ihn nicht mal.
Ansonsten ist Priebke dem Rentnerpaar Schütze ziemlich egal. „Ist doch schon so lange her“, sagt die Frau. „Irgendwo muss er ja unter die Erde, er hat ja nichts mehr davon.“ Viel schlimmer als ein Grab für einen Mörder der SS sei doch, „dass gleich nach dem Krieg etliche Nazis zu Amt und Würden kamen“.
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