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Von Johann Legner, Thorsten Metzner und Peter Tiede: „Ich habe mich schon besser gefühlt“
Bei den Regierenden liegen die Nerven teils blank / Die Opposition bläst zur Aufarbeitung
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Potsdam - Die Kulisse war Zufall aber passend: Vor dem großen Fraktionssaal der SPD im Landtag auf dem Potsdamer Brauhausberg wird auf Schautafeln über Wirkungsweise und Aufbau des DDR-Geheimdienstes aufgeklärt. Und mehr als drei Stunden hatte sich hinter verschlossenen Türen die SPD-Fraktion gestern zurückgezogen, um auf ihrer Fraktionssitzung nach einem Ausweg aus der Krise zu suchen, in die die noch frische Koalition aus SPD und Linke in Brandenburg geraten ist, nachdem drei weitere Abgeordnete der Linken der Zusammearbeit mit dem DDR-Geheimdienst MfS verdächtig sind.
Im und später vor dem Saal lagen die Nerven zum Teil sichtlich blank bei den Regierenden. Ministerpräsident Matthias Platzeck brach bei seinen Erklärungen gegenüber Journalisten nach der Sitzung der SPD-Fraktion bisweilen die Stimme weg. Auch, als er auf Nachfrage einräumte, sich bei der Bambi-Verleihung in der Vorwoche in Potsdam geschämt zu haben, als ihm der Ostberliner Kameramann Siegbert Schefke, der unter größten Gefahren 1989 heimlich die Montagsdemonstrationen in Leipzig filmte, vor Millionen-Publikum die Leviten mit den Worten gelesen hatte: „40 Jahre hat die Stasi das Land regiert – mit den Genossen. Ehemalige inoffizielle Mitarbeiter gehören für mich deshalb heute in keine Regierung, in keinem deutschen Land. Und das sage ich bewusst hier in Potsdam.“ Platzeck: „Sie können mir glauben, dass ich mich schon besser gefühlt habe.“ Er sehe sich schmerzlich getäuscht von den Abgeordneten Renate Adolph und Gerd-Rüdiger Hoffmann (beide Linke), deren Stasi-Verstrickung nun bekannt geworden waren. Dass das die Regierungsarbeit belaste, sei keine Frage, betonte Platzeck. Es müsse aber möglich sein, künftig differenziert mit der Vergangenheit umzugehen.
Die Fraktionschefin der Linkspartei, Kerstin Kaiser, gesundheitlich merklich angeschlagen und zuweilen fast schon von Bitternis übermannt, sprach vor Journalisten von einem „Vertrauensverlust“ und davon, dass es jetzt darum gehe, durch „klares Verhalten Vertrauen wieder aufzubauen“. Sie sehe die Gründe für die große Anzahl von früheren Stasi-Mitarbeitern ihrer Fraktion auch darin, dass nach 1990 die PDS „die Möglichkeit bot, in differenzierter Art und Weise an das Problem heran zu gehen“. Nur in ihrer Partei hätten frühere Stasi-Spitzel eine Chance gehabt, „damit öffentlich umzugehen“. Kaiser sagte auch, dass die Linkspartei es sich vielleicht zu leicht gemacht hat“. Die Chance, „die DDR-Geschichte aufzuarbeiten“ sei aber weiter gegeben. In der Fraktion der Linkspartei war es zu heftigen Debatten gekommen, bei denen insbesondere die jüngeren Mitglieder ihr Unverständnis äußerten. Dabei wurde auch die Tatsache kritisch thematisiert, dass alle der lebensälteren Abgeordneten einst SED-Mitglieder gewesen waren. Man „schwimmt zu sehr im eigenen Saft“, hieß es dabei und kritisiert wurde auch, dass offenbar viele der älteren Genossen noch immer nicht den Bruch mit der früheren Loyalität zu Institutionen der DDR vollzogen hätten. Gefordert wurde deswegen von den jüngeren Abgeordneten eine wesentlich intensivere Beschäftigung mit dem Thema.
Axel Vogel, Chef der Grünen-Fraktion sagte mit Blick auf Platzecks, Anfang November im Spiegel veröffentlichtes, umstrittenes Versöhnungsangebot an SED-Erben: „Unser Maßstab ist Aufklärung statt Versöhnung.“ Über Platzeck sagte er: „Wir haben eine Regierungskrise im Land und erleben einen Ministerpräsidenten, der abtaucht.“
Die erstmals vereinigt auftretende Opposition aus Grünen, CDU und FDP, war sich einig in der Forderung nach einer Landtagssondersitzung, die nun am Freitag stattfinden wird. Doch ansonsten legten die Fraktionschefs Johanna Wanka (CDU), Peter Goetz (FDP) und Vogel bei ihren Stellungnahmen aber großen Wert darauf, weiterhin unterscheidbar zu bleiben. Sie alle wollen Aufklärung, sehen die Verantwortung für die gegenwärtige Lage, für den Imageverlust Brandenburgs und die tiefe Regierungskrise bei Regierungschef Platzeck.
Die Grünen gehen in ihrer Forderung nach Aufklärung und Aufarbeitung allerdings deutlich weiter als die Kollegen von der CDU und FDP: Sie fordern nicht nur eine Beschäftigung mit der Problematik der Mitarbeiter der Staatssicherheit oder den Machtstrukturen der DDR. Sie dringen darüber hinaus darauf, dass der Übergang zur Demokratie in den Jahren zwischen 1989 und 1993 in Brandenburg mit all seinen Merkwürdigkeiten und Verstrickungen noch einmal kritisch beleuchtet wird, sagte ihr Fraktionsvorsitzender Vogel, dem dafür eine Enquete-Kommission des Parlaments vorschwebt. Wanka kann dem zunächst wenig abgewinnen und stellt ganz generell den Wert solcher Untersuchungsgremien in Frage.
Als verlogenes und „vergiftetes Angebot“ wies Vogel gestern eine Offerte des brandenburgischen SPD-Bundestagabgeordneten Peter Danckert zurück. Der hatte nach dem Debakel der Linken mit der als Landtagsvize zum Rücktritt gezwungenen Linke-Abgeordneten Gerlinde Stobrawa den Grünen diesen Posten angeboten. Das Amt, so Vogel, stehe wenn überhaupt der stärksten Oppositionsfraktion zu: der CDU. „Wir lassen uns da nicht einkaufen“, sagte Vogel.
Mit Erstaunen nahmen die Oppositionsführer zur Kenntnis, dass die Linke auch weiterhin einen eigenen Nachfolgekandidaten für Stobrawa aufstellen will. Vogel: „Mal sehen, wie viel Vertrauen ein Kandidat der Linken in der SPD-Fraktion noch genießt.“
CDU-Chefin Wanka stellte klar, dass für den Fall, dass die Koalition aus SPD und Linke platzen sollte, ihre Partei nicht zur Verfügung stehe: „Das Tischtuch zur SPD“ sei zerschnitten, es müsste dann Neuwahlen geben. (mit ddp)
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