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Von Thorsten Metzner: Kleine Fusionen, große Tücken
Schon jetzt arbeiten Berlin und Brandenburg gut zusammen. Dennoch bleibt die Länderehe ein Problem
Stand:
Dass das Abi im Nachbarland leichter wäre, kann niemand mehr behaupten. Dieser Tage schwitzen gerade 13500 Berliner und 10700 Brandenburger Schüler der 13. Klassenstufe über schriftlichen Abiturprüfungen in Deutsch, Mathe, Französisch und Englisch. Es ist eine Berlin-brandenburgische Premiere, ganz unspektakulär: Erstmals sind die vorgegebenen Aufgaben überall gleich, ob in Kreuzberg oder in der Uckermark. Selbst die Sicherheitsvorkehrungen, die Zeit bis auf die Minute, wann die versiegelten Umschläge geöffnet werden dürfen, alles ist identisch. „Und bislang klappt es wunderbar“, erzählt Jan Hofmann, Direktor des gemeinsamen Landesinstituts für Schule und Medien Berlin-Brandenburg (LISUM) mit Sitz in Ludwigsfelde, das die Prüfungen entwickelt hat. Und damit sei man wieder „ein Stückchen“ weiter auf dem Weg „zu einer gemeinsamen Bildungsregion“, wie Hofmann sagt. „Wir sind da so etwas wie ein Vorsegel.“
Zwei Länder, aber gemeinsame Behörden wie das LISUM. Was in der Hauptstadtregion zum Alltag gehört, gibt es nirgendwo sonst in der Bundesrepublik. Jenseits der wie Ebbe und Flut regelmäßig wiederkehrenden Debatte um eine große Fusion der beiden Länder, die trotzdem nicht in Sicht ist, hat es im letzten Jahrzehnt viele „kleine“ Fusionen gegeben. Man verliert leicht den Überblick, hat längst vergessen, was einst alles getrennt war: ADAC; Preußische Schlösserstiftung, Gewerkschaften. Der Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB), die Akademie der Wissenschaften, der Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg sowieso, der als einer der modernsten in Deutschland gilt. Den Behörden-Auftakt hatte Mitte der 90er Jahre die gemeinsame Landesplanungsabteilung (GL) gemacht, als Dienerin zweier Regierungen seitdem zuständig für alle Landespläne in der Region, für Wohnen, Gewerbe, Verkehr, Grün, den Flughafen BBI, brisante Tagebau-Planungen in der Lausitz, die somit auch Berlin direkt mitverantwortet. Es folgten der gemeinsame Landesbetrieb für Datenverarbeitung und Statistik, das Amt für Messwesen, ein gemeinsames Luftfahrtamt, das juristische Prüfungsamt. Eigentlich wird ständig irgendetwas fusioniert. Bald die Polizeiausbildung? Der Verfassungsschutz? Viel bleibt – unterhalb der Regierungen und Parlamente – auch gar nicht mehr. Im vorigen Jahr waren es die Landeslabore, um den Doppelkauf von teurer Spezialuntersuchungstechnik zu vermeiden. Anfang 2010 vereinigten sich die Allgemeinen Orts-Krankenkassen (AOK), mit 1,3 Millionen Versicherten und 4000 Beschäftigten, jetzt Marktführer in Berlin und Brandenburg. Freilich, auch das gibt es, nämlich bislang unüberbrückbare Interessen-Gegensätze, ein Gegeneinander, wenn es ums Eingemachte geht: Eine gemeinsame Wirtschaftsförderungsgesellschaft, die aktive, abgestimmte Industriepolitik betreiben könnte, scheitert und scheitert und scheitert.
Trotzdem sind die Zeiten vorbei, wo jede Behördenfusion mit Aufregung und Unruhe verbunden war. Die zusammengelegten Einrichtungen, um die es schnell ruhig wurde, werden von der Politik gern als Vorreiter einer Länderfusion gepriesen, so auch in der aktuellen Debatte. Die Praxis sieht nicht so rosig aus, im Gegenteil: Gerade hat sich Brandenburg aus der bislang von beiden Ländern getragenen gemeinsamen Wirtschaftsrepräsentanz in Brüssel zurückgezogen. „Mangels Nachfrage“, wie es heißt. Und fragt man Personalräte, Behördenchefs, Mitarbeiter der „Mischbehörden“ hört man viele kritische Töne: Die doppelten Abstimmungsrituale mit zwei Bürokratien seien „zäh und aufwendig“, heißt es regelmäßig. Problematisch sei auch das unterschiedliche Tarifgefüge unter einem Dach, für den gleichen Job, da die „Berliner“ Bediensteten traditionell höher eingruppiert sind.
Und selbst die Effekte, zwar durchaus da, taugen nicht für Verklärungen: So machte Brandenburgs Landesrechnungshof publik, dass etwa die Zusammenlegung der Eichämter kaum Einsparungen gebracht hat, dass die „Fusionsdividende“ minimal geblieben sei, da man alle früheren Standorte belassen habe. Als Musterbeispiele werden oft die gemeinsamen Obergerichte Berlins und Brandenburgs genannt, das Finanzgericht in Cottbus, das Landessozialgericht in Potsdam, Landesarbeitsgericht und das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg (OVG) mit Sitz in Berlin. Um so mehr ließ aufhorchen, dass OVG-Präsident Jürgen Kipp Anfang März 2010 ein negatives Fazit der Fusion der beiden Oberverwaltungsgerichte zog – aufgrund ganz praktischer Erfahrungen: Da die Länderehe auf Eis liege, leide man an der „Behelfskonstruktion“: Man müsse sich stets mit zwei Justizverwaltungen abstimmen, was zu Lasten der Arbeitsfähigkeit gehe, was die Einstellung eines Richters schon mal ein Jahr dauern lasse, beklagte Kipp. „Bei uns wird aus jeder Richterstelle ein Staatsakt.“
Auch am Landesinstitut für Schule und Medien (LISUM) mit seinen 90 festen und 70 abgeordneten Mitarbeitern, paritätisch aus Berlin und Brandenburg besetzt, ist man geübt im Umgang mit zwei Bildungsverwaltungen, die zudem durch völlig andere Ausstattungen, Strukturen und Kulturen geprägt sind. „Es ist besser als getrennt, aber es ist nicht problemfrei“, sagt Direktor Jan Hofmann. Eigentlich sei der Gründungsauftrag des für Lehrpläne und Prüfungen in beiden Ländern zuständigen Instituts, „möglichst alles für beide gemeinsam zu machen.“ Die Realität ist immer noch eine andere. Von 160 Projekten, die das LISUM jährlich bearbeitet, seien die Hälfte getrennt – also nur für Berlin oder nur für Brandenburg: „Jeder meldet Wünsche an. Wir versuchen dann, dafür Interesse im jeweils anderen Land zu finden, es zusammenzuführen“, sagt Hofmann. Was regelmäßig ein zähes Unterfangen ist. Hört man ihm zu, bekommt man eine Ahnung, wie weit Berlin und Brandenburg von einer strategisch-verzahnten gemeinsamen Bildungspolitik noch entfernt sind. Und das erlebt der LISUM-Direktor, der Herr über die Lehrpläne für alle Schüler in Berlin und Brandenburg, der ein gemeinsames Land im Interesse der Schüler für „vernünftig“ hält, auch im Alltag ganz direkt. Wenn im Potsdamer Bildungsministerium die Leitung berät, sitzt er als Chef der wichtigsten Bildungsfachbehörde beider Länder selbstverständlich mit am Tisch. In Berlin, seiner zweiten Führung, sei das anders: „Herrn Zöllner und Staatssekretärin Zinke kenne ich eigentlich nur aus der Abendschau.“
Berlin-brandenburgische Fusionen, ob große oder kleine, bleiben eben ein weites Feld.
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