Strategische Umweltprüfung: Kühltürme am Horizont
Polen plant ein Akw – schlimmstenfalls nur 275 Kilometer entfernt von Berlin. Behörden und Bürger aus Brandenburg können sich beschweren
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Potsdam - Die Pläne Polens für Atomkraftwerke (Akw) werden konkret und schrecken Brandenburg auf. Das Potsdamer Umweltministerium hat jetzt vier mögliche Akw-Standorte veröffentlicht, die nach dem aktuellen Entwurf des „Kernenergieprogramms“ der Nachbarrepublik in der engeren Wahl sind und „empfohlen“ werden. Sie liegen einige Hundert Kilometer hinter der deutschen Grenze, doch selbst der entfernteste ist näher an Berlin als etwa München. Seit Mittwoch können Bürger und Behörden Brandenburgs im Rahmen des grenzüberschreitenden EU-Beteiligungsverfahrens zur „Strategischen Umweltprüfung“, für das Polen die Bundesrepublik offiziell eingeschaltet hat, das Programm einsehen und Einwände vorbringen. Nach PNN-Recherchen wird die von Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) geführte rot-rote Regierung im Verfahren selbst eine ablehnende Stellungnahme abgeben. Platzeck hatte nach dem Atomausstieg in Deutschland wiederholt vor einem Atomeinstieg in Polen gewarnt.
Zwar ist anders als bei früheren Planungen, wo ein Akw in Gryfino nahe der Stadt Schwedt zur Debatte stand und heftige Proteste auslöste, kein Standort unmittelbar an der brandenburgisch-polnischen Grenze. Doch auch die vier Favoriten Polens, die dort unter 28 Standorten für die geplanten zwei Atomkraftwerke (Inbetriebnahme 2020) herausgefiltert wurden, sind nicht sehr weit weg. Laut Umweltministerium handelt sich zum einen um zwei Standorte an der Ostseeküste, nämlich um das 345 Kilometer von Berlin entfernte Kopan und das unweit von Gdansk gelegene Zarnowiec, das knapp 450 Kilometer von der deutschen Hauptstadt entfernt ist. Dort hatte Polen den Bau eines Akw nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl 1986 gestoppt. Zum anderen sind es im Landesinneren die Standorte Nowe Miasto (600 Kilometer von Berlin) sowie der Standort Klempicz (nur 175 Kilometer von Frankfurt (Oder) und 275 Kilometer von Berlin). Zum Vergleich: Tschernobyl liegt knapp 1300 Kilometer entfernt.
Wie das Ministerium mitteilte, können die polnischen Planungen ab sofort im Internet und in verschiedenen märkischen Behörden direkt eingesehen sowie Stellungnahmen und Eingaben in deutscher Sprache bis 4. Januar 2012 an die Generaldirektion Umwelt und an das Wirtschaftsministerium in Warschau geschickt werden. Der zuständige Verbraucherschutz-Abteilungsleiter Bernhard Remde sprach von „einer großen Errungenschaft“ infolge der EU-Mitgliedschaft Polens, dass Brandenburg als Anrainer schon im Frühstadium von Planungen einbezogen wird. „Das ist ein ganz großer Vorteil“, sagte Remde. Brandenburg werde sicherlich grundsätzliche Bedenken, Aussagen zu den Standorten aber auch die ungeklärte Endlager-Problematik ansprechen.
In der Politik lehnen die rot-rote Regierung sowie die oppositionellen Grünen die polnischen Atompläne ab. Sie seien „ein Risiko für Brandenburg und alle anderen Nachbarländer Polens“, sagt etwa Grünen-Fraktionschef Axel Vogel. FDP und Union sind gegen Ratschläge an Polen. „Es ist ein souveräner Staat“, sagte FDP-Landeschef Gregor Beyer. Die rot-rote Regierung solle erstmal eine eigene Energiestrategie für Brandenburg aufstellen, ehe man Forderungen an Polen stelle. CDU-Fraktions- und Landeschefin Saskia Ludwig, die den schwarz-gelben Atomausstieg Deutschlands als überstürzt kritisiert hatte, „begrüßte, dass die deutsche Öffentlichkeit die Möglichkeit hat, Erklärungen zu den Plänen Polens abzugeben“. Gerade in Hinblick auf einen künftigen „europäischen Energiemix ist länderübergreifende Kommunikation wichtig“, sagte Ludwig. Generell gelte, „dass jedes Land die eigene Souveränität wahrt – auch in Energiefragen.“
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