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Kritik an Bildungspolitik: Lehrer machen die Schulen dicht

Die Lehrer-Gewerkschaften in Brandenburg wollen der rot-roten Landesregierung einen heißen Herbst bereiten – bis hin zu einem ganztätigen Unterrichtsausfall an allen Schulen im November.

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Potsdam -  Am Samstag kommen in Potsdam zunächst tausend Lehrerräte, also Vertreter des Personals, zusammen und wollen die „Potsdamer Erklärung“ verabschieden. In dem dramatischen Appell verlangen die Lehrer in Brandenburg einen Kurswechsel in der Bildungspolitik. Die Schulen müssten personell und finanziell besser ausgestattet werden, heißt es in einem Entwurf. „Die Bildungspolitik in Brandenburg ist seit Jahren in einer dramatischen Schieflage.“ Entgegen der Wahlversprechen, in die Bildung zu investieren, habe Rot-Rot die Situation an den Schulen weiter zugespitzt. Das Bildungssystem werde auf Verschleiß gefahren.

Zugleich sollen nach dem Plänen der Personalräte an den Schulämter und der Lehrerräte am 22. November Personalversammlungen in allen staatlichen Schulämtern stattfinden. Damit würde an diesem Tag der Unterricht an allen Schulen ausfallen. „Wir werden auch nicht davor zurückschrecken, andere Formen des Protestes zu wählen“, sagte die Vizepräsidentin des Brandenburgischen Pädagogen-Verbandes, Dagmar Graefe, den PNN.

Aus Sicht des Pädagogenverbandes (BPV) und der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) haben sich die Bedingungen im Bildungsbereich des Landes Brandenburg so verschlechtert, dass massive Proteste unumgänglich sind. Die Lage sei angesichts unzumutbarer Belastungen und Qualitätsverluste dramatisch, sagte der Landesvorsitzende der GEW, Günther Fuchs, am Mittwoch in Potsdam. Er forderte die rot-rote Regierung zu seriösen Verhandlungen über die Missstände auf. „Die Lehrkräfte fühlen sich nicht ernst genommen und verkohlt“, sagte Fuchs. „Wir werden die Landesregierung bis zur nächsten Landtagswahl beschäftigen. Es wird eine lange Auseinandersetzung.“

In der Potsdamer Erklärung heißt es, die Lehrer in Brandenburg seien am Ende ihrer Möglichkeiten angekommen. Der Verschleiß der Lehrkräfte, die ständige Erhöhung der Arbeitsbelastung und die Vergeudung von Ressourcen durch Bürokratie müssten beendet werden. Zu den zentralen Forderungen zählt die Erhöhung der Vertretungsreserve auf acht Prozent. Bislang ist diese auf drei Prozent festgelegt. „Das reicht nicht aus, wenn 6,2 Prozent der Lehrer dauerhaft krank sind“, sagte Graefe. Bildungsministerin Martina Münch (SPD) warf sie vor, den tatsächlichen Zustand zu verschleiern.

Tatsächlich hatte Münch in einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage erklärt, dass im Schuljahr 2011/12 nur 1,7 Prozent der Unterrichtsstunden ausgefallen sind. Brandenburg zähle damit zu den Bundesländern mit dem geringsten Ausfall. Zuletzt hätten der Statistik zufolge fast neun Prozent der geplanten Schulstunden vertreten werden müssen, in den allermeisten Fällen wegen Krankheit. In 80 Prozent der Fälle klappte das auch.

Die CDU und FDP im Landtag, aber auch die Gewerkschaften halten Münchs Statistik für geschönt. „Das passt nicht in die Realität, was Eltern und Schüler tagtäglich erleben“, sagte der CDU-Bildungsexperte Gordon Hoffmann. FDP-Fraktionschef Andreas Büttner sagte, das Bildungsministerium unterschlage ausfallende Stunden. Diese würden nur durch die Zusammenlegung von Klassen und Kursen sowie Stillbeschäftigung der Schüler aufgefangen. Schulunterricht müsse in vollständigem Umfang stattfinden. „Dies ist zurzeit in Brandenburg bei etwa zehn Prozent der Unterrichtsstunden nicht der Fall“, sagte er. Graefe erklärte: „Von Qualität im Unterricht kann da nicht die Rede sein, individuelle Förderung ist da kaum möglich. An den Grundschulen ist das ein Dauerzustand.“

Daneben fordern die Lehrer in der „Potsdamer Erklärung“ ein Ende des Beförderungsstaus bei den Beamten, die Rücknahme der Einkommenskürzungen wie etwa beim Weihnachtsgeld, mehr Personal und weniger Unterrichtsstunden. Bei der Arbeitsbelastung der Lehrer nehme Brandenburg einen Spitzenplatz unter den Bundesländern ein. Zudem forderte Graefe ein Ende der Experimente an der Schulen. „Ein Projekt jagt das andere und keines ist ausfinanziert“, sagte sie. Seit 1990 sei das Schulgesetz 29-mal geändert worden, zum Beispiel die Inklusion von benachteiligten und behinderten Schülern. Für die zusätzlichen 119 neuen Lehrer an den 85 Grundschulen, die am Pilotprojekt „Inklusive Schule“ teilnehmen, seien zuvor Stellen an anderen Schulen weggefallen. Alexander Fröhlich

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