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Von Alexander Fröhlich: Mahnwache abgesagt

1200 Polizisten bewachen die Route des Castor-Transports durch Brandenburg. Aber die Schar der Atomkraftgegner in der Prignitz ist äußerst klein.

Stand:

Wittenberge – „Wann kommt er denn, der Castor?“ Der Mann, Mitte 50, ist auf dem Weg zur Schicht, es ist halb fünf am Mittwochmorgen und bitterkalt. Wer kann, flüchtet kurz in den beheizten Imbiss am Bahnhof von Wittenberge in der Prignitz und holt sich einen Kaffee – zum Mitnehmen im Pappbecher natürlich, „to go“ sagt hier niemand. Überhaupt reden die Leute wenig. Über den Castor-Transport mit hochradioaktivem Müll, der hier bald auf den Gleisen gen Norden ins Zwischenlager Lubmin in Vorpommern durch Wittenberge fahren soll, erst recht nicht. Es ist egal, es geht vorbei. Genauso wie die massiv zusammengezogenen Polizeikräfte, die Blockaden der Gleise durch Atomkraftgegner verhindern sollen. Und der Castor? Der Mann bekommt nur ein kurzes „Weiß auch nicht“ samt Achsenzucken als Antwort und geht zum Zug.

„Die Leute interessiert das hier nicht“, sagt die Verkäuferin hinterm Tresen. Sie hat zu tun. Flink legt sie Zeitungen des Tages in den Ständer, kocht Kaffee und schmiert auf Wunsch belegte Brötchen. „Die wollen nur pünktlich zur Arbeit kommen.“ Es sind viele Pendler, die mit dem Regionalexpress in Richtung Berlin oder Schwerin fahren. In den ICE auf der Strecke zwischen Hamburg und Berlin steigt niemand, es steigt auch niemand aus – in Wittenberge.

Am Abend zuvor haben sich hier auf dem Bahnhofsvorplatz noch 60 Atomkraftgegner getroffen und eine Mahnwache abgehalten – gegen verlängerte Laufzeiten für Kernkraftwerke, gegen den Atomkurs der Bundesregierung. Zwei Stunden lang haben sie bei Kälte und Schnee an einem kleinen Feuer ausgeharrt. Ganz friedlich. Nur drei Ältere von ihnen wollten mehr, wie in Gorleben Anfang November, wo Zehntausende gegen den Castor-Transport protestiert hatten. Gorleben liegt nur knapp 15 Kilometer entfernt vom Dreiländereck zwischen Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Niedersachsen. Das Trio wurde von einer Polizeistreife erwischt, als es Transparente mit Anti-Atom-Sprüchen an einer Bahnbrücke aufhängen wollte. 25 Euro müssen sie für die Ordnungswidrigkeit zahlen, ein Polizist sagt: „Ich versteh’ euch ja. Aber das ist Politik.“ Die Drei sind trotzdem zufrieden: „Hauptsache die merken, dass wir da sind.“ Später wird es im Bericht der Polizei heißen: „An der Fahrtstrecke im Landkreis Prignitz kam es zu keinen nennenswerten Zwischenfällen.“

Die Fahrtstrecke, das sind rund 30 Kilometer Zuggleis gen Norden, beschützt von 475 Polizisten aus Brandenburg und 280 Bundespolizisten. Weitere 425 Landespolizisten sind an anderen Orten auf Lauerstellung, falls der Zug doch noch eine andere Route nimmt, in Biesenthal (Barnim), Potsdam oder Oranienburg (Oberhavel) etwa. Aber um diese Zeit, um halb fünf, ist schon klar, der Zug mit den vier Castorbehältern wird definitiv durch den Nordwesten Brandenburgs fahren, um sechs Uhr soll er in Wittenberge sein. Zuvor soll es dort noch eine weitere Mahnwache geben, um fünf Uhr. Es kommen aber nur drei Atomkraft-Gegner, sie kehren auf der Stelle um.

Der Castor-Transport hat ohnehin Verspätung, in Magdeburg (Sachsen-Anhalt) gab es wohl Probleme. Es wird 9 Uhr, die Atomkraftgegner sind wieder da, 20 etwa, bestückt mit Transparenten und Fahnen. Bundespolizisten mit Hunden postieren sich vor der Bahnsteigunterführung, lassen nur durch, wessen Zug gleich auf einem anderen Bahnsteig fährt. Dann tutet es von fern, gleich rauscht ein Zug vorbei, Personenwaggons, dazwischen vier Castor-Behälter. Auf dem Bahnsteigen greifen Pendler zum Handy, zum Fotoapparat und knipsen. Ein Castor, das gibt es nicht alle Tage. Dann ist es vorbei. Weg ist der Atommüll. Brandenburgs Innenministerium wird später mitteilen: „Der Transport erreichte um 9.04 Uhr brandenburgisches Gebiet bei Wittenberge und verließ die Prignitz wieder um 9.23 Uhr.“

Die Atomgegner in dem kleinen Grüppchen lächeln zufrieden, auch Bärbel Treutler, Kreisvorsitzende der Prignitzer Grünen – obwohl sie nur so wenige waren in Wittenberge. „Natürlich könnten es ein paar mehr sein“, sagt sie. Trotzdem glaubt sie schon an einen Wandel in der Prignitz. „Wir waren bislang immer ein kleines Häufchen von Leuten, aber langsam ist ein breiteres Interesse da“, sagt Treutler.

Auch die Sicherheitskräfte sind zufrieden. Wenn im ersten Quartal 2011 wieder wie geplant ein Castor-Zug nach Lubmin rollt, kann der ruhig wieder durch Wittenberge fahren, sagt ein Beamter. Die großen Proteste und Blockaden gibt es dann erst später am Tag, rund um Lubmin. In Brandenburg dagegen, so die Polizei, blieb alles – „störungsfrei“.

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