Von Thorsten Metzner: Nach dem Krimi sind alle zufrieden
In Brandenburg stehen die Zeichen auf Fortsetzung von Rot-Schwarz. Keine Rechten im Parlament
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Potsdam - Was für eine Dramatik, was für ein rot-roter Wahl-Krimi da plötzlich am Schluss! Es ist 18.30 Uhr, die Wahllokale haben gerade einmal eine halbe Stunde geschlossen, als Regierungschef Matthias Platzeck (SPD) im Foyer des Kinotheaters „Thalia“ im Potsdamer Stadtteil Babelsberg schon vor seine Sozialdemokraten tritt. Gut zweihundert Genossen und Sympathiesanten haben sich versammelt. Noch herrscht Ungewissheit, Unsicherheit, der Sieg der SPD ist alles andere als klar: Noch gibt es nur Prognosen von Meinungsforschungsinstituten, die seltsam weit auseinander liegen. Im RBB liegt die SPD mit 31 Prozent knapp vier Prozentpunkten vor den Linken, der CDU mit 21,5 Prozent, FDP mit 8 und den Grünen mit Fünf. Doch bei der Forschungsgruppe Wahlen, die ebenfalls eine Prognose abgibt, ist der Vorsprung der SPD nur hauchdünn. Beide sind etwa bei 30 Prozent. Warten, bis alles klar ist?
Matthias Platzeck versteckt sich nicht. Er setzt nach intensiven Abstimmungen mit seinen Beratern alles auf eine Karte, verlässt sich auf seinen Instinkt, dass ihm die Märker die Gefolgschaft nicht verweigern würden. Zu klar war der Zuspruch in den 152 Veranstaltungen, die er im Wahlkampf absolvierte. Einem Solo-Marathon, bei dem er keine direkten Herausforderer hatte, er der einzige blieb, der sich landauf und landab auf Kundgebungen stellte und anders als 2004 nirgends ausgepfiffen wurde. „Es war klar, dass es eng wird“, ruft er, neben sich auf der Bühne Ehefrau Jeanette nun seinen Genossen im „Thalia“ zu. Und er ruft die SPD „bei aller Vorsicht“ selbstbewusst zum Wahlsieger in Brandenburg aus. „Wenn es dabei bleibt, wird die SPD nach 20 Jahren, zum fünften Mal in Folge stärkste Kraft sein“. Allerdings nicht mit dem „deutlichen Vorsprung“, dieses Wahlziel, soweit ist da schon klar, haben Platzeck und seine SPD verfehlt. Er kündigt Sondierungsgespräche mit Linken und CDU an, um eine „stabile Regierung zu bilden“, nennt erste inhaltliche Bedingungen: Schülerbafög, Energiemix, keine Studiengebühren. Wichtiger sei, so Platzeck, dass die Nazis nicht mehr im Parlament sein werden.
Doch die Genossen im „Thalia“ haben immer noch bange, ernste Mienen. Jubel kommt nicht auf, als auch noch bekannt wird, dass die Linken im Land die Bundestagswahl gewonnen haben. Das Wechselbad der Gefühle, das manche an den Zitterwahlkampf 2004 erinnert, hält weiter an. Ziehen die Linken womöglich doch noch an der SPD vorbei? Und dann? Gilt Platzecks Wort, dass die SPD nie Juniorpartner unter den Linken würde, wird Platzeck von einer Fernsehjournalistin gefragt. Die Antwort: „Mein Wort gilt immer.“ Das würde das Undenkbare bedeuten, nämlich seinen Rücktritt. Aber später, am Abend, kommt dann endlich die Entwarnung, die Mienen hellen sich auf, der Vorsprung der SPD wächst wieder auf vier Prozent, auch Platzeck wirkt gelöst, als er im RBB-Fernsehen zusammen mit den anderen Spitzenkandidaten Rede und Antwort steht. Leichter hat es an diesem Abend Johanna Wanka, die CDU-Vorsitzende und Forschungsministerin, die als erste der brandenburgischen Spitzenkandidaten, schon 18.20 Uhr – 10 Minuten vor Platzeck – vor die Kameras tritt. In der proppenvollen Wahlkampfzentrale der CDU, die sie „Dock 09“ getauft hatten, abseits in einem Industriegebiet gelegen. Wanka sieht halbwegs zufrieden aus, die Union, die 2004 auf den Tiefstwert von 19,4 Prozent gefallen war, hat etwas zugelegt. Klar, es hätte ruhig mehr sein können, die Liberalen haben den Christdemokraten offenbar manche Stimme abgenommen. „Auch die Zeit war so kurz“, sagt Wanka. Der Wähler habe aber die Erfolge der CDU in der Regierung und die Konsolidierung der Partei honoriert, die Wanka Anfang 2009 nach früheren Grabenkämpfen übernommen hatte. Da blieben für die Befriedung, für einen Sympathie-Wahlkampf zur Imagekorrektur, in dem Wanka auch Platzeck nicht angriff, nur wenige Monate. Dennoch bescheinigt inzwischen selbst Bundesgeneralsekretär Ronald Pofalla der Brandenburger CDU, kein Sorgenkind mehr zu sein. Und die Zeichen, das ist entscheidend für Wanka, stehen für die Fortsetzung von Rot–Schwarz. „Wir haben gezeigt“, sagt sie, „dass wir Schwierigkeiten gemeinsam lösen können.“
Es bleibt ein seltsamer Wahlabend in Brandenburg, an dem nach dem Krimi am Anfang am Ende irgendwie alle zufrieden sind: SPD, CDU und natürlich die Linken, die sich im Wahlquartier im Potsdamer Bahnhof versammeln und kräftig feiern. Spitzenkandidatin Kerstin Kaiser ist dicht umringt. Sie wirbt erneut für Rot-Rot, „damit die SPD ihre Wahlversprechen einlösen kann“. Kaiser: „Wir sind auf Augenhöhe. Jetzt kann Platzeck mutig sein.“ Doch in den allgemeinen Jubel mischt sich manch trotzige, wehmütige Stimme, dass es in Brandenburg wohl wieder nicht zu Rot-Rot kommen wird. Da sind auch die Linken längst das, was ihnen Gegner absprechen, nämlich Realisten. Es wird noch eine lange Nacht.
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