Brandenburg: Neonazis marschieren am Reichstag auf
Politik schlecht vorbereitet: Mehrere Tausend Rechte demonstrierten fast ohne Gegenproteste
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Berlin - Die Fehleinschätzung des Berliner Senats war fulminant. Wenige Hundert rechte bis rechtsextreme Demonstranten erwartete Innensenator Frank Henkel (CDU) am Samstag in der Hauptstadt. Durch das Regierungsviertel liefen schließlich fast 3000 feixende und grölende Neonazis und Rechtspopulisten – vorbei an der Bundespressekonferenz, dem ARD-Hauptstadtstudio, Bundestagsgebäuden und dem Reichstag bis wenige Meter vor das Brandenburger Tor.
Die Mobilisierung der Gegenproteste aus Parteien, Gewerkschaften und Kirchen war zuvor eher gering, auch die Medien hatten spärlich berichtet. Entsprechend wenig Gegendemonstranten versammelten sich, die Polizei zählte nur etwas mehr als 1000. Die sonst üblichen Versuche, die Wegstrecke der Rechten zu blockieren, scheiterten mangels Masse. So bot sich denn zwischen Hauptbahnhof und Brandenburger Tor ein Bild, das Berlin immer vermeiden wollte. In dem langen Demonstrationszug liefen größere Gruppen deutlich erkennbarer junger Neonazis ganz in schwarz und mit Sonnenbrillen mit. Auf den Jacken und Kapuzenpullovern der Mitglieder der berüchtigten „Kameradschaften“ prangten in Runenschrift Sprüche über „Volk und Ehre“. Dazwischen marschierten sogenannte Reichsbürger, die die Bundesrepublik ablehnen, Hooligans, Pegida-Sympathisanten und Rocker. Viele Demonstranten waren aus Brandenburg, Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern und auch Hamburg nach Berlin gefahren. Über dem Zug flatterten neben Deutschland-Fahnen nachgeahmte Reichskriegsflaggen, Fahnen mit Kreuzen, die an Norwegen erinnern, aber Erkennungssymbole der rechtsextremen Szene sind, außerdem auch russische Fahnen. Russisch sprachen auch Männer miteinander, die große Transparente mit der Aufschrift „Merkel muss weg“ und „Volksverräterin“ trugen.
Die Stimmung im Demonstrationszug schwankte zwischen belustigt und aggressiv. Wie Schlachtrufe dröhnten die immer wiederkehrenden Parolen „Wir sind das Volk“, „Merkel muss weg“ und „Lügenpresse“ durch die Straßen am Bundestag. Dazwischen Sprechchöre gegen Flüchtlinge und Flüchtlingsheime und immer wieder: „Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen“.
Den linken Gegendemonstranten hinter den Absperrgittern der Polizei riefen die jungen Männer zwischendurch zu: „Wir kriegen euch“ und „Wir bringen euch um“. Ernste Gewaltausbrüche verhinderte die Polizei, die mit 1300 Ordnungshütern im Einsatz war und bei einigen Gruppen von Linksautonomen, die die Absperrungen durchbrechen wollten, Reizgas versprühte.
In früheren Jahren war Berlin oft stolz darauf, Demonstrationen von Rechtsextremen und Neonazis an den Stadtrand verbannt zu haben.Aufmärsche der NPD in Kreuzberg und Prenzlauer Berg wurden von so vielen Gegendemonstranten blockiert, dass die Polizei sie beendete und die Gegner triumphierten. Diesmal zeigte sich die Politik trotz wochenlanger Ankündigung der rechten Demonstration schlecht vorbereitet. Aufrufe des Regierenden Bürgermeisters Michael Müller (SPD) zu dem Thema gab es nicht. Berliner Grüne und Linke hielten Parteitage ab – während die Rechtsextremen ihre Demonstration just zwischen Reichstag und Brandenburger Tor beendeten.
Aus dem Umfeld der Veranstalter hieß es, die nächste Demonstration sei bereits in Planung.Andreas Rabenstein
Andreas Rabenstein
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