Von Thorsten Metzner: „Objektive Dokumentation, was war“
Enquete-Kommission zur Aufarbeitung der SED-Diktatur beginnt Arbeit – in großem Einvernehmen
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Potsdam – Es ist eine Premiere für Brandenburg, das lange als „kleine DDR“ galt: Im Landtag hat am Freitag die Enquete-Kommission zur Aufarbeitung der SED-Diktatur im Land die Arbeit aufgenommen, die die Aufbaujahre Brandenburgs nach 1990 umfassend auf Fehlentwicklungen und Versäumnisse untersuchen soll. Die konstituierende Sitzung des Gremiums, das aus sieben Abgeordneten und sieben hochkarätigen Experten sowie der Diktaturbeauftragten Ulrike Poppe mit beratender Stimme besteht, war durch Einvernehmen geprägt. Alle Redner waren sich einig, dass es dem Gremium um sachliche Analyse, um eine „objektive Dokumentation, was war“ (Dieter Dombrowski, CDU), und nicht um parteipolitische Scharmützel gehen soll. Ziel sei es, „nach zwei- bis zweieinhalbjähriger Tätigkeit“ Schlüsse für die Entwicklung der Demokratie im Lande zu ziehen, sagte die Vorsitzende Klara Geywitz, zugleich Geschäftsführerin der SPD-Fraktion.
Die Kommission für ein „Ende des Schweigens“ (Grünen-Fraktionschef Axel Vogel) war von der Opposition aus CDU, FDP und Grünen im Landtag durchgesetzt worden, nachdem die rot-rote Koalition durch Enthüllungen über Stasi-Verstrickungen von Linke-Abgeordneten schwer erschüttert worden war. Vor diesem Hintergrund verständigte man sich zum Auftakt auch auf die eigene Stasi-Überprüfung, und zwar auch die der externen Experten auf freiwilliger Basis. „Dies dient der Transparenz, und darum, Schaden von der Kommission abzuwenden“, erklärte Geywitz. Mit einer Ausnahme sind auch alle Sachverständigen dazu bereit. Nur der von den Linken entsandte Professor Dieter Segert, Spezialist für Transformationsprozesse in Mittel-, Ost- und Südosteuropa an der Universität Wien, selbst mehrfach negativ überprüft, lehnt dies prinzipiell ab. Es gehe um Transformation, die Frage sei zu einseitig, die Geschichte der Westdeutschen bleibe außen vor, argumentierte Seger. „Da fragt auch niemand, ob jemand in einer K-Gruppe war.“ Er blieb allein.
Einig waren sich alle in ihren hohen Erwartungen. Das Parlament habe nun die Chance, „führend bei der Aufhellung der Geschichte zu sein“ und „nicht mehr getrieben von der öffentlichen Debatte“, sagte etwa Helmut Müller-Enbergs, Historiker in der Stasi-Unterlagenbehörde. Die Diktaturbeauftragte Ulrike Poppe erhofft sich Aufschlüsse, „welche Weichenstellungen es in Brandenburg gab, die bis heute die politische Situation und die politische Kultur prägen“, wie sie betonte. Und der Publizist Jörg Kürschner – Vorsitzender des Fördervereins der Gedenkstätte im früheren Stasi-Gefängnis Hohenschönhausen – verspricht sich eine bessere Bildung von Jugendlichen im Land, was DDR-Diktatur betrifft. Studien hatten dort in den letzten Jahren eklatante Defizite offenbart. „Diese Kommission kann Geschichte schreiben“, sagte Klaus Schroeder vom Forschungsverbund SED Staat FU Berlin. „Dass das gerade in Brandenburg möglich ist, wo es in den letzten beiden Jahrzehnten viele Versäumnisse im Umgang mit der SED-Diktatur gab, ist erfreulich.“ Allerdings mahnte der Theologe Richard Schröder, Mitbegründer der Sozialdemokratie in Ostdeutschland 1989 und früher Verfassungsrichter, mit Blick auf den sehr breiten Untersuchungsauftrag: „Es besteht die Gefahr, über alles zu reden.“
Tatsächlich steht die Kommission vor einer Mammutaufgabe: Auf Antrag von CDU, Grünen und FDP muss sie den Umgang mit Stasi-Mitarbeitern und DDR-Funktionären, aber auch die Rolle der Medien, die Landwirtschaftsstrukturen, das vermittelte Geschichtsbild zur SED-Diktatur und die "politische Kultur" im Land unter die Lupe nehmen. Auf Antrag von Rot-Rot soll darüber hinaus ein Gesamtcheck - inklusive Wirtschaft, Landesidentität, Rolle von West-Aufbauhelfern - gemacht werden, wo Brandenburg heute steht. Bis zur nächsten regulären Sitzung am 9. Juli wollen nun Geywitz und Vize-Chef Dieter Dombrowski (CDU) einen Vorschlag entwickeln, wie die Aufgaben verteilt werden sollen. Trotz des harmonischen Auftaktes war sich jeder im Klaren: Streit wird es in der Enquete-Kommission noch genug geben.
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