Brandenburg: Offene Hetze
Vor Beginn der „Al-Quds“-Demo warnen jüdische Verbände vor einem Anstieg des Judenhasses
- Christian Böhme
- Frank Jansen
- Johannes C. Bockenheimer
Stand:
Berlin - Hassparolen gegen Israel und Solidaritätsbekundungen für die Terrororganisation Hisbollah: Wenn am heutigen Samstag Hunderte Demonstranten anlässlich des „Al-Quds“-Tages über den Kurfürstendamm ziehen, muss mit antisemitischen Vorfällen gerechnet werden – mal wieder. Denn die Verunglimpfung des Judenstaates als „Kindermörder“ oder „rassistisches Gebilde“ gehört seit vielen Jahren zum festen Repertoire der Demonstranten. Unter Berlins Juden wird dem Aufmarsch daher mit Sorge entgegengesehen. „Wir erwarten eine klare Ansage seitens unserer Gesellschaft und Politik, dass Antisemitismus weder offen noch unter dem Deckmäntelchen religiöser Lehren oder politischer Kämpfe toleriert wird“, sagt etwa Sergey Lagodinsky, Mitglied der Repräsentantenversammlung der Jüdischen Gemeinde zu Berlin.
In Berlin gibt es die Aufmärsche seit 1996 und sie sorgen mittlerweile auch über die Stadtgrenzen hinaus für scharfe Kritik. Zentralratspräsident Josef Schuster nannte es eine „Schande“, dass Berlin den Raum für eine derartige Veranstaltung lasse. Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, fordert sogar ein Verbot des Aufzugs. Nach ihrer Auffassung hat sich ohnehin in den vergangenen Jahren gezeigt, wie sehr sich die offene und aggressive Judenfeindlichkeit in Deutschland verbreite. „Und es besteht die Gefahr, dass in großem Maße weiterer Judenhass importiert wird.“ Deshalb erwartet auch die frühere Zentralratspräsidentin ein konsequentes Durchgreifen.
Klare Stellungnahmen von muslimischen Verbänden in Sachen Al-Quds-Tag sind dagegen rar. Kurz bevor die Israel-Feinde 2014 in Berlin auf die Straße gingen, rief die Generalsekretärin des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Nurhan Soykan, zu Mäßigung auf und monierte „niveaulose“ Parolen. Aber sie betonte auch, dass man Verständnis dafür haben müsse, wenn gerade junge Leute ihrem Ärger über Israels Bombardierungen Luft machten. Damals herrschte Krieg zwischen dem jüdischen Staat und der in Gaza herrschenden Terrororganisation Hamas.
Bei antisemitischer Kriminalität treten muslimische Migranten nur wenig in Erscheinung – zumindest auf den ersten Blick. Von 2013 bis zum Ende des ersten Halbjahres 2015 hatte die Berliner Polizei 37 Fälle antisemitischer Delikte registriert, bei denen Ausländer – das müssen nicht nur Muslime sein – als Täter ermittelt oder zumindest verdächtigt wurden. Bei fünf Fällen handelte es sich um gewaltsame Attacken. Zum Vergleich: im selben Zeitraum zählte die Polizei 409 Fälle antijüdischer Kriminalität, mit zwölf Gewaltdelikten, die rechts motivierten Tätern zugerechnet werden. Die Zahlen entstammen der Antwort der Senatsverwaltung auf eine Anfrage von Peter Trapp (CDU).
Die statistischen Angaben zur Kriminalität bilden aber nur einen Teil der Gefahr ab. Agitation in Moscheen, im Internet und bei der öffentlichen Verteilung von Gratisexemplaren des Koran im Rahmen der salafistischen Kampagne „Lies!“ festigt gerade in jungen Köpfen antisemitische Ressentiments. Und trotz religiöser und politischer Unterschiede sind für sunnitische wie schiitische Extremisten, seien sie gewaltorientiert oder legalistisch, türkischer oder arabischer oder anderer Herkunft, „der Jude“ und der Staat Israel zentrale Feindbilder. Der Berliner Verfassungsschutz nennt in seinen Berichten Beispiele. So verkündete 2014 der salafistische Imam Abdallah Khalid Ismail alias „Abu Bilal“ in der Neuköllner Al-Nur-Moschee, „Oh Gott, übernimm die Angelegenheiten der zionistischen Juden, denn sie werden sich dir nicht entziehen! Verringere ihre Zahl und töte sie, einen nach dem anderen! Und verschone niemanden unter ihnen!“.
Die Verunsicherung unter den Berliner Juden ist angesichts dieser Entwicklung groß. Demonstrationen wie am „Al-Quds“-Tag stärkten die Verunsicherung der jüdischen Menschen. „Dagegen hilft nur mehr Solidarität seitens der Zivilgesellschaft und mehr Courage seitens der Politik“, so Lagodinsky.Christian Böhme, Frank Jansen,
Johannes C. Bockenheimer
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: