Rechtsextremismus: Opferperspektive sieht keinen Grund zur Entwarnung
Leichter Rückgang bei rechtsextremen Angriffen im Land Brandenburg. Die Neonazi-Szene stellt sich neu auf.
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Potsdam - Es war der letzte Fall des Jahres 2011, der Eingang in die Statistik des Vereins Opferperspektive fand. Bislang Unbekannte hatte am Silvesterabend in Falkensee mit scharfer Munition in das Fenster einer beleuchteten Wohnung geschossen. Verletzt wurde zum Glück niemand. Aber dort wohnt eine Migrantenfamilie, die selbst an einen rassistischen Angriff glaubt. Bei der Polizei wird der Vorfall bislang nicht als politisch motivierte Straftat eingestuft. Denn es könnten auch – nicht untypisch für Silvester – übermütige Betrunkene gewesen sein. Sollte sich aber der Anfangsverdacht erhärten, wäre das einer der schlimmsten rechtsextremistischen und rassistischen Angriffe, die der Verein Opferperspektive 2011 registriert hat.
Insgesamt blieb die Zahl dieser Angriffe trotz eines Rückgangs im vergangenen Jahr auf hohem Niveau. Der Verein Opferperspektive zählte 2011 insgesamt 84 Angriffe gegen mindestens 186 Personen. Im Vorjahr waren es noch 108 Angriffe. Die Kriminalitätsstatistik des Innenministeriums weist für 2011 nur 36 rechte Gewaltstraftaten aus, 30 weniger als im Vorjahr und ein bislang nie erreichter Tiefstand. Die Differenz erklärte Opferperspektive damit, dass 25 Angriffene sich nicht bei der Polizei meldeten, weil sie die Erfolgsaussichten für zu gering hielten oder nur geringes Vertrauen in die Polizeiarbeit hätten. Zudem zählt der Verein auch Angriffe als rechtsgerichtet, wenn Opfer diese als rassistisch oder rechtsextremistisch empfinden.
32 Mal wurden Flüchtlinge und Migranten angegriffen, 25 Mal auf „politische Feinde“, 31 Übergriffe richteten sich gegen alternative Jugendliche. Insgesamt waren es 57 Körperverletzungen, 19 versuchte Körperverletzungen und Bedrohungen, 2 Brandstiftungen und 6 größere Sachbeschädigungen. Schwerpunkt rechter Gewalttaten sei der Südosten Brandenburgs, daneben Frankfurt (Oder) (11), Wittstock (10) und Cottbus (10). Wobei die Neonazi-Szene im Süden Brandenburg mit neuen Aktionsformen deutschlandweit Nachahmer gefunden hat. Dabei treten die Neonazis etwa in schwarzen Gewändern auf, tragen weiße Masken und haben Fackeln dabei. Nach der ersten Kampagne „Demokraten bringen uns den Volkstod“ ist bereits die zweite Kampagne „Werde Unsterblich“ im Gange.
Opferperspektive-Sprecher Christoph Schulze sagte den PNN, der Rückgang der registrierten Angriffe sei zwar positiv, aber noch lange kein Grund zur Entwarnung. Es gebe eine wiedererstarkte Kameradschaftsszene, teils in Verbindung mit aktiven Hooligans, wie etwa in Frankfurt (Oder). Dort sind Ende Dezember 2011 Spieler des Berliner Klubs Tennis Borussia (Tebe) bei einem Hallenfußballturnier erst antisemitisch beschimpft worden. Als die Lage eskalierte, brach die Tebe-Mannschaft das Turnier unter Protest ab, die Fans flüchteten zum Bus. Rund 30 Tebe-Anhänger waren dann von 40 rechtsextremistischen Hooligans des Vereins FFC Viktoria 91 attackiert worden. Der Verfassungsschutz rechnet Teile der Frankfurter Fanszene der gewaltbereiten rechtsextremistischen Szene zu. Tebe hat jüdische Wurzeln, die Anhänger gelten als linksalternativ. Andernorts hätten sich neue Strukturen etabliert, wie etwa in Wittstock, wo Opferperspektive nicht nur Anschläge auf Linke-Wahlkreisbüros, sondern auch mehrere Übergriffe von Neonazis auf linke Jugendliche registriert hat.
„Wir müssen weiter dran bleiben. Die rechtsextremistische Szene ist weiter aktiv“, sagte Schulze. „Wir schauen etwa mit Sorgen auf die Demonstrationsoffensive im Frühjahr.“ Tatsächlich sind mehrere Aufmärsche angemeldet: Am 24. März in Frankfurt (Oder), am 31. März in Brandenburg/Havel, am 1. Mai in Wittstock und am 12. Mai in Cottbus. „Die Neonaziszene dokumentatiert damit, dass sie weiterhin handlungsfähig ist.“ Aber vor Ort organisieren mehrere Bündnisse bereits Widerstand gegen die Aufzüge.
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