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Brandenburg: Politische Luftnummer

Nach dem erfolgreichen Volksbegehren gegen Nachtflüge am BER setzt Brandenburgs Regierungschef Platzeck aufs Taktieren

Stand:

Potsdam - Nein, Matthias Platzeck lenkt nicht ein. Brandenburgs Regierungschef gibt nicht nach. Auch jetzt nicht, obwohl bei eigenen Genossen und beim Koalitionspartner die Nerven angespannt sind. Es ist der Tag nach dem ersten erfolgreichen Volksbegehren im Land Brandenburg überhaupt, bei dem mehr als 106 000 Wähler sich für ein strengeres Nachtflugverbot um den Hauptstadt-Flughafen in Schönefeld ausgesprochen haben - auch ein einhunderttausendfaches Misstrauensvotum gegen Platzeck, der immer gegen ein strengeres Nachtflugverbot war. Der auf dem letzten SPD-Parteitag in Luckenwalde vehement vor einem solchen Alleingang am BER warnte. Nun bringt das unerwartet klare Votum den Regierungschef, der wegen des unvollendeten, immer teureren Airports schon genug unter Druck steht, noch mehr in die Bredouille. Um wieder herauszukommen, versucht Platzeck mit seiner rot-roten Regierungskoalition einen Spagat - mit neuen Risiken.

Seit einem Krisengipfel der Koalitionsspitzen von SPD und Linken in der Nacht zum Dienstag steht fest: Die rot-rote Koalition wird das Volksbegehren für ein Nachtflugverbot am BER von 22 Uhr bis sechs Uhr, über das im Januar oder Anfrang Februar im Landtag abgestimmt werden muss, ablehnen. Auf Druck der Linken wird Brandenburgs Regierung aber auf „ein europa- und deutschlandweit einheitliches Nachtflugverbot für Flughäfen“ drängen, damit Nachtflüge „kein Standortvorteil“ seien, es Gleichbehandlung der Airports gebe. Eine Forderung, die beinahe aussichtslos ist, aber politisch Entlastung bringen soll, für Platzeck selbst und für seinen Linke-Koalitionspartner. Für die Linke sei klar, sekundierte Fraktionschef Christian Görke, dass sich Brandenburgs Regierung „für ein bundesweites Nachtflugverbot von 22 Uhr bis 6 Uhr einsetzen werde“. Einen entsprechenden Gesetzentwurf für den Bundestag wollen die Brandenburger Linken jetzt vorbereiten.

Ein Sprecher des Bundesverkehrsministeriums verwies darauf, dass die Betriebsgenehmigungen für Flughäfen Ländersache seien. Das Bundesministerium führe nur die Fach- und Rechtsaufsicht. Eine einheitliche Regelung für alle Flughäfen sei problematisch, weil jeder Standort anders sei. In München lehnte ein Flughafensprecher eine Ausdehnung des Nachtflugverbots bereits ab. Sonst müsste der Interkontinentalverkehr drastisch eingeschränkt werden. Grundsätzlich herrscht zwischen 24 Uhr und fünf Uhr Nachtruhe. Der Vorsitzende der Bundesvereinigung gegen Fluglärm, Helmut Breidenbach, wiederum nennt den Brandenburger Weg einen „hohlen Spruch.“ In Brüssel versuche die EU derzeit, Nachtflugbeschränkungen sogar aufzuweichen. Berlins Senatssprecher Richard Meng sagte, der Flughafenbetrieb sei rechtssicher genehmigt mit Kompromissen beim Nachtflug.

Nebenschauplätze. In Brandenburg läuft es nun auf einen landesweiten Volksentscheid hinaus, der voraussichtlich im Mai oder Juni 2013 stattfinden wird, der dritte in der Geschichte des Landes. Beim ersten verabschiedeten die Brandenburger die Landesverfassung, beim zweiten ließen sie 1996 die Fusion mit Berlin platzen. Und nun also zum BER. Sein Ausgang könnte im Jahr vor der Landtagswahl entscheidend für die Zukunft des Ministerpräsidenten werden. Es sei „nur legitim, dass über eine solche Frage das ganze Land entscheidet“, sagte SPD-Fraktionschef Ralf Holzschuher. Die Linie sei mit der Spitze der Linken abgestimmt.

Und Platzeck selbst? Er zollte den Initiatoren des Volksbegehrens am Dienstag seinen Respekt, ohne zu verhehlen, dass das Ergebnis seiner Ansicht nach nicht der Stimmung im gesamten Land entspricht. „Das ist das erwartbare Signal aus der Flughafenregion und Ausdruck lebendiger Demokratie“, erklärte er. „Rund fünf Prozent der Wahlbürger haben sich klar artikuliert.“ Tatsächlich kamen fast alle 106 000 Unterschriften aus dem engeren südlichen Berliner Umland, aus Teltow-Fläming, Dahme-Spreewald, Potsdam-Mittelmark und Potsdam, während das Volksbegehren in den Weiten der Mark kaum Unterstützer fand. Der Landtag werde das Ergebnis gewissenhaft diskutieren, versicherte Platzeck. Dabei werde „das Spannungsfeld zwischen den Interessen der Flughafenanwohner und denen des gesamten Landes nach wirtschaftlicher Entwicklung und Arbeitsplätzen erneut abzuwägen sein“. Er ließ keinen Zweifel, worauf es ihm ankommt: „Dazu gehört, dass unser Land im ständig härter werdenden Wettbewerb der Standorte weltweit bestehen muss. Und zur Standortqualität gehört ein gut erreichbarer Flughafen heute mehr denn je.“ Er hofft also auf den Volksentscheid.

Politischer Spielraum bleibt dem Regierungschef ohnehin wenig: Der Planfeststellungsbeschluss für den BER, der das Nachtflugverbot auf die Zeit von 24 bis fünf Uhr begrenzt, ist rechtskräftig. Mit dem Vorstoß für ein bundeseinheitliches Nachtflugverbot komme man den Linken entgegen, die das BER-Flugverbot in ihrem Wahlprogramm zur Landtagswahl 2009 festgeschrieben hatten und deshalb besonders unter Druck stehen. Erst am Wochenende hatte die Linkenbasis auf einem Parteitag in Frankfurt (Oder) ihrem Frust Luft gemacht, dass die Genossen allzu oft dem Koalitionspartner SPD brav folgen. Auch um das Nachtflugverbot bricht prompt ein Konflikt aus. Bundestags-Fraktionschef Gregor Gysi fordert, dass „die Bundesregierung und die Landesregierungen Brandenburg und Berlin, ohne den weiteren Rechtsweg abzuwarten, gemeinsam ein Nachtflugverbot von 22 Uhr bis sechs Uhr beschließen.“ Genau das lehnen der Bund und die beiden Länder als Flughafeneigner auch nach dem Volksbegehren in Brandenburg ab. Ein paralleles Begehren in Berlin war gescheitert. Und ein Nachtflugverbot würde die wirtschaftlichen Probleme des BER noch mehr verschärfen.

Andererseits kommt den Koalitionären entgegen, dass das Volksbegehren angreifbar ist – durch seine zweite Forderung, zur Entlastung des Schönefelder Raums vom nationalen und internationalen Flugverkehr über eine Änderung des Landesentwicklungsplans einen zweiten Flughafen in Brandenburg zu entwickeln. Das aber will im Landtag bislang niemand.

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